Als Déi Gréng am Dienstag über den Koalitionsvertrag und ihre vier Regierungsmitglieder abstimmten, mussten auch vor der Tür des Sitzungssaals Stimmen gezählt werden. Der Edmond-Dune-Saal mit dem schweren Holzgebälk unter dem Dach der Abtei Neumünster war viel zu klein für den außerordentlichen Parteitag, der so gut besucht war wie noch keiner zuvor: „220 Anwesende, das ist Rekord!“, rief Partei-Kopräsident Christian Kmiotek begeistert. Damit den Mitgliedern vor der Tür nichts entging, war ein Internet-Livestream geschaltet worden.
Dass die Grünen den Koalitionsvertragsentwurf einstimmig und so gut wie diskussionslos annahmen, hatte aber wahrscheinlich nicht nur mit der Aussicht zu tun, 30 Jahre nach Gründung der Partei endlich ihren Einzug in eine Regierung mitzuerleben. Es war auch die Dramaturgie des zweistündigen Kongresses, die die Parteimitglieder zum positiven Votum tragen half. Ehe der grüne Koali-tionsverhandlungsführer und neue Justizminister Felix Braz die vielen gesellschaftspolitischen Vorhaben der neuen Regierung aufzählte – von den geplanten Verfassungsreferenden über die Abschaffung des Religionsunterrichts bis zur Strafbefreiung der Abtreibung –, hatte Kmiotek zwanzig Minuten lang den „historischen Moment“, die „historische Chance“ und die „dunkelgrüne Tinte“ beschworen, mit der „mehrere Kapitel“ des Regierungsprogramms geschrieben worden seien.
So viel Geschichte und gezieltes Eigenlob hoben die Stimmung hoch genug, dass nicht ohne Weiteres auffiel, wie selektiv Braz’ Darstellung war und die Erwartungen im Saal bedienen sollte: Trennung von Kirche und Staat und Strafrechtsreform konnten alle erfreuen. Die Zusicherung, am Gehälterabkommen für den öffentlichen Dienst werde nicht gerüttelt, war ein Signal an die grünen Beamten, die Ankündigung, der Jugendschutz werde reformiert, eines an die Erzieher und Sozialarbeiter in der Partei und die 40-Prozent-Geschlechterquote in Parteien und Verwaltungsräten eines an die Feministinnen.
Dass „gespart“ werden müsse, konnte dann in einer Fußnote angefügt und im selben Satz erklärt werden wie die Notwendigkeit, Luxemburg aus Wettbewerbsgründen ein Image „fiskalischer Berechenbarkeit“ zu verleihen. Ob die grüne Idee einer „ökologischen Steuerreform“ daran gescheitert ist, wurde lieber nicht erörtert. Genauso wenig wie das ökonomische Leitmotiv der Dreierkoalition, das Luxemburger Modell auch weiterhin auf möglichst hohes Wachstum zu gründen und den heimischen Finanzplatz zur besten europäischen Drehscheibe auch für Hedgefonds und Private Equity entwickeln zu wollen. In ihrem Wahlprogramm hatten die Grünen noch die „internationalen Finanzmärkte bändigen“ wollen und ein „gutes Leben“ in einer „qualitativ“ wachsenden Volkswirtschaft mit vielen Klein- und Mittelbetrieben, grünen Jobs und Energieeffizienz als Geschäftsmodell versprochen. Eine Art energetischen New Deal soll es zwar tatsächlich geben, aber über die große wirtschaftliche Zugmaschine, die Finanzindustrie, erzählte Braz lieber die Geschichte von „ethisch und sozial verantwortlichen Investitio-nen“ und den Plänen, Offshore-Zentrum für den Renmimbi-Handel werden zu wollen.
Die Angst, der grünen Basis zu viel ganz gewöhnlichen Kapitalismus zuzumuten und zu wenig Ökologie zu verkünden zu haben, erwies sich am Ende aber als unbegründet. Ganz gleich, wie viele Parteimitglieder das Regierungsprogramm, das am Montag unerwartet sogar öffentlich geworden war, von vorne bis hinten gelesen und festgestellt haben mochten, dass die grüne Handschrift abgesehen von der Gesellschaftspolitik vor allem in den Kapiteln Energie und Transport erkennbar wird: Die Basis war sich wohl bewusst, dass die „historische Chance“ nicht im Einstieg in den ökologischen Umbau Luxemburgs besteht, sondern im Ausstieg aus dem CSV-Staat. „Heute“ sei „der schönste Tag der nächsten fünf Jahre“, erklärte einer der lediglich zwei Diskussionsredner in Richtung der Parteispitze. Und dass man aufpassen müsse, die Grünen in der neuen Regierung „sichtbar“ zu halten. Da war für ein paar Momente die Stimmung ziemlich nüchtern im Saal.