Unnötig in der Pause in die Lobby zu wechseln: Bereits im Publikumsbereich ist der Austausch von Lektüreerfahrungen zu Abi-Zeiten unüberhörbar. Jaja, man habe Frischs Roman gemocht; nein, Faust sei der Liebling gewesen. Ach, ja nun, lang’ sei’s her. Jean-Paul Maes wusste um volle Häuser, nostalgische Rückblicke, jugendlichen Besuch und reges Gespräch im Lande, als er sich zur Dramatisierung dieses Prosawerks entschloss.
Zunächst sei im Kontext des Gattungstransfers – hier vom Roman zum Drama – Grundsätzliches zu bemerken: Ein Anspruch auf Texttreue lässt sich weder im Sinne der zeitlichen Enge, noch im Sinne der Unabhängigkeit künstlerischer Arbeit rechtfertigen. Maes hat seinen Homo Faber inszeniert. Dazu fällt auf, dass im Programmheft (im Gegensatz zur Kaleidoskop-Netzpräsenz) der Name Max Frisch keine Erwähnung findet. Der Schweizer Autor schleicht sich lediglich auf das Billet des Cape. Es stünde Maes demnach eigentlich zu, frei zu interpretieren. Und doch: Seine Produktion ist eben auch eine Bühnenbearbeitung von Frischs Vorlage. Am Vergleich kommt er deshalb nicht vorbei. Diese Einschränkung ändert hingegen nichts daran, dass ihm Lektüre-, Raffungs- und Regie-Freiheiten in Maßen gewährt bleiben.
Und diese Freiheiten sind allgegenwärtig: Intelligent löst Maes das Problem der unterschiedlichen Erzählperspektiven. Mal mimt Neven Nöthig die Titelfigur handelnd, mal kommentierend im Geschehen, bisweilen aus der Distanz am seitlichen Pult, mal aus der radikalen Distanz des Romanvortrags. So entsteht ein dynamisch-plastisches Spiel mit Erzählebenen, denen Frischs Roman zugrunde liegt: Der nüchterne Techniker Walter Faber versucht die Ereignisse berichtend zu dokumentieren, die zum Beischlaf mit und zum Tode von seiner eigenen Tochter führen. Mantraartig beschwört er die Berechenbarkeit des Lebens und versucht dann doch zu verharmlosen, dass sein eigenes ihm aus den Händen gleitet. Selbstreflexion, kathartische Eingeständnisse und der Einsturz seiner statischen Rollenbilder sind weitere Stufen, die einer komplexen Erzählstruktur bedürfen. Maes nutzt die Vorzüge des Theaters diesbezüglich konsequent.
Auch ist der Einfall mit einem überdimensionalen Segeltuch originell. Es liegt anfangs längs und gefaltet auf der Bühne und wird im Laufe der Szenenwechsel mal zum Wüstenboden, mal zum Brautschleier, mal zum Kleinkind umfunktioniert. Wie ein cremefarbener Faden verknüpft die Regie das Geschehen so auf eine simple, aber wirksame Weise. Auch sorgt die rötliche Schatten-Projektion von Sabeth als tanzende Erinnerung für jene Momente der Besinnung, die dieser Abend im Übrigen zu oft vermissen lässt.
Eine Produktion, die ganze 150 Minuten ohne Pause umfasst und deren Textmasse sich überwiegend auf zwei Darsteller verteilt, erfordert Textkontrolle. Lapidar gesehen, ist Rosalie Maes (Hanna/Sabeth) und Neven Nöthig, daneben der überzeugende Tim Olrik Stöneberg (vier Nebenrollen), dieses Vermögen hoch anzurechnen. Gerade Rosalie Maes muss zwischen zwei zentralen und völlig konträren Rollen wechseln und ihnen Mimik und Haltung anpassen. Diese Feststellung darf jedoch aus theaterkritischer Perspektive nicht reichen. Bei Differenzierung von darstellerischer Leistung (Aufgabe der Schauspieler) und Figureninterpretation (Aufgabe von Schauspielern und Regisseur) ergibt sich folgende Beobachtung: Die bewusst nüchtern vorgetragene Lektüre unterscheidet sich zu wenig von der zu erwartenden emotionalisierten Sprache des Geschehens. Muss Fabers Bericht-Sprech noch so zynisch-sachlich gedacht sein, so wird auch dem restlichen Text kaum Leben eingehaucht. Er klingt nicht nur dort vorgetragen, wo dies passt. Das sorgt für Unterkühlung dann, wenn es um den Kern einer Bühnenarbeit geht: Die Spannung zwischen den handelnden Figuren ist so leblos wie Fabers distanzierter Bericht. Als der Ingenieur etwa erfasst, dass seine Jugendliebe Hanna die Mutter von Sabeth ist, reagiert Nöthig viel zu unbeteiligt. Ist dies gewollt, so ist es unlogisch: Maes löst Fabers Sprache von der Berichtebene und müsste sie demnach emotionalisieren.
Dieser Mangel an Intimität, den Faber bei Frisch nur leugnen, nicht aber vermeiden kann, ist nur eine Unzulänglichkeit. Als völlig unverständlich erweist sich Maes’ Entschluss, Statisten unbeholfen Kurzbeiträge sprechen und sie so manche Kurz-Choreografie darbieten zu lassen, um einigen Szenen Variété-Charakter samt Schenkelklopfer zu verpassen. Mit dem Umstand auch, dass Hanna, die als Archäologin „die Vergangenheit zusammenkleistert“, mit Kleid, Perücke und Handschuhen wie eine Reinigungshilfe wirkt, gibt Maes die Tragik der Lächerlichkeit preis.
Im Programmheft wird dem Theatermacher ein Interesse am „gesellschaftspolitischen Volksstück“ bescheinigt. In dieser Tradition mag die Einarbeitung von Choreografie, Geräuschkulisse und Musik zu rechtfertigen sein. Dem Volksstück wird in der Literaturwissenschaft der ernste Grundton jedoch nicht abgesprochen, der diesem Abend regelmäßig abhanden kommt. Bei Frisch ist Walter Faber bisweilen eine lächerliche, groteske Figur. Komisch ist sie aufgrund der tragischen Schuld jedoch nie. Aller Regie-Einfälle zum Trotz: Homo Faber muss eine tragische Geschichte bleiben, in der ein Mann (und zeitweise dessen Jugendliebe) sich aufgrund festgefahrener, pervertierter Rollenbilder in eine Phase organischer, seelischer und ideologischer Dekonstruktion begibt. Insbesondere der männliche Part opfert dabei das Leben seines eigenen Kindes.
Viele Einfälle des Regisseurs sind fraglos originell. Mit seiner lockerleichten Variété-Umarbeitung überschreitet das Kaleidoskop-Ensemble die Grenzen zumutbarer Deutungsfreiheit aber zu stark, weil zu grundsätzlich.