Zahnärzte wollen es schon immer gewusst haben: Denta [&] Opti-plus, das Zusatzversicherungspaket der Caisse médico-chirurgicale mutualiste (CMCM) für Zahnersatz- und Optikerleistungen, „konnte nicht hinhauen“. Soll heißen: für Zahnersatz nicht. Was eine außerordentliche CMCM-Vollversammlung letzten Samstag beschloss, scheint das zu bestätigen. Nicht nur steigen die Jahresbeiträge für Denta [&] Optiplus ab 1. Januar kommenden Jahres je nach Alterskategorie um 24 bis 32 Prozent. Die CMCM übernimmt dann auch nur noch 70 Prozent der Kosten für Zahnersatz, die nach der Rückerstattung durch die CNS noch offenbleiben; derzeit sind es 80 Prozent. Und statt maximal 3 000 Euro im Jahr zahlt Denta [&] Optiplus ab Neujahr für Zahnersatz nur noch 2 500 Euro. Man habe, erklärte die CMCM zur Begründung, die Nachfrage unterschätzt. Sie sei in den letzten beiden Jahren drei Mal so hoch gewesen, wie ursprünglich veranschlagt.
Vielleicht könnte man den von der CMCM bestellten Versicherungsmathematikern vorhalten, sich gründlich verrechnet zu haben. Entscheidender ist, dass die Nachfrage nach dieser Zusatzversicherung gerade für Zahnersatz so hoch ist und ihr derzeit 115 000 Personen angehören. Das wirft ein Schlaglicht darauf, dass in keinem Bereich des Gesundheitswesens so sehr Zwei-Klassen-Medizin herrscht wie bei Zahnbehandlungen: Ohne Zusatzversicherung, ob von der Caisse médico oder einer privaten Gesellschaft, bleibt ein Patient nicht nur für Zahnersatz auf CNS-Tarife angewiesen, die kaum ein Viertel der Preise für Brücken oder Kronen decken und für Implantate gar nicht aufkommen. Für verschiedene weniger aufwändige Behandlungen erstattet die CNS die Kosten ebenfalls nicht zurück; etwa für bestimmte Anästhesien.
Doch damit ist das Problem noch nicht erschöpft. Als Anfang des Jahres die CNS die Selbstbeteiligungen der Patienten erhöhte, nahm die an den Zahnarztleistungen am stärksten zu. Vorher hatte sie bei fünf Prozent gelegen – bei einem jährlichen „Freibetrag“ von 49,75 Euro Zahnarztkosten, den die CNS komplett übernahm. Nun stieg die Beteiligung, bei einem leicht auf 60 Euro erhöhten Freibetrag, auf zwölf Prozent wie die an den anderen ambulanten Arztleistungen.
Dass Zahnbehandlungen, die die Patienten so teuer zu stehen kommen, ein Problem für die öffentliche Gesundheit darstellen können, weil sie auf den Einkommensschwächsten besonders stark lasten, scheint dem Gesundheitsministerium klar zu sein: Als es das Meinungsforschungsinstitut TNS-Ilres mit einer Umfrage über die Zufriedenheit der Bürger mit der ärztlichen Versorgung beauftragte und dort eine Frage lautete: „Haben Sie in den letzten zwölf Monaten aus pekuniären Gründen auf die Konsultation eines Arztes oder auf eine Behandlung verzichtet?“, wurde nach Zahnbehandlungen vorsichtshalber nicht separat gefragt. Aber schon die Resultate „über alles“ sahen nicht so gut aus: Von den Befragten mit dem niedrigsten Haushaltseinkommen beantworteten neun Prozent diese Frage mit Ja, ebenso acht Prozent sämtlicher Befragten, die ihren Gesundheitszustand als „schlecht“ einschätzen. Dass auf Zahnbehandlungen noch häufiger verzichtet wird, liegt nahe: Im Jahr 2003 hatte, wie eine Studie des Ceps-Instead ergab, ein Verzicht auf eine Zahnarztbehandlung in 16 Prozent aller Fälle finanzielle Gründe. 2008 hatte Geld in 22,5 Prozent der Fälle die entscheidende Rolle gespielt. Aber das war drei Jahre vor den erhöhten Patientenbeteiligungen beim Zahnarzt.
Ob die CNS nicht bei den Zahn[-]arztleistungen nachbessern könnte, wurde Sozialminister Mars Di Bartolomeo (LSAP) am Mittwochabend im Anschluss an die Herbstsitzung der Krankenkassen-Quadripartite ge[-]fragt. Denn die Gesundheitskasse wird das laufende Jahr nach letzten Schätzungen voraussichtlich mit einem kumulierten Überschuss von fast 140 Millionen Euro abschließen. Das sind noch 18 Millionen mehr als die Prognosen vom Juli ergeben hatten, nach deren Bekanntgabe die Gewerkschaften eine Rücknahme der erhöhten Selbstbeteiligungen verlangten und der Ärzteverband AMMD die zum Jahresanfang gesenkten Medizinerhonorare wieder anheben lassen wollte. Di Bartolomeo wehrte Gewerkschaften wie Ärzteverband ab: Die Zeiten seien „unsicher“, da sei ein finanzielles Polster viel wert. Abgeschafft werden soll, wie die Quadripartite festhielt, lediglich die so umstrittene Poliklinikgebühr von 2,50 Euro.
Dass das Finanzpolster „Spielraum für punktuelle Verbesserungen“ biete, sagte der Minister allerdings auch. Doch ausgerechnet zu den Zahnbehandlungen, deren Kostenfrage ihm während seiner Zeit als Oppositionsabgeordneter so am Herzen lag, wollte er sich um keinen Preis festlegen.
Die Vorsicht dürfte einerseits damit zu tun haben, dass mehr Kostenrückerstattung durch die CNS für Zahnbehandlungen kaum ohne eine Reform der Zahnärzte-Gebührenordnung zu haben wäre. Weil laut der aktuellen Gebührenordnung der Zahnarzt die Preise für verschiedene Leistungen, bei denen besondere Materialien zum Einsatz kommen, frei kalkulieren darf, müsste in einer solchen Reform entschieden werden, worin das „Nützliche und Notwendige“ besteht, für das die CNS laut Gesetz eigentlich aufkommen muss, und wo die Gewinnspanne für den Zahnarzt beginnt. Wie politisch anspruchsvoll diese Übung wäre, illustriert schon, dass die Gesundheitsreform vom letzten Jahr in dem einzigen die Zahnbehandlungen betreffenden Punkt noch nicht umgesetzt ist: Seit 1. Januar schreibt das Sozialversicherungsgesetzbuch der CNS vor, im Rahmen des „utile et nécessaire“ auch die Kosten für Zahnimplantate zu übernehmen. Einen Tarif gibt es dafür bis heute nicht.
Das Kapitel „Zahnbehandlungen“ ist jedoch noch aus einem anderen Grund ein schwieriges. Würde man von den Problemen der Einkommensschwächsten mit Zahnarztkosten einmal absehen, ließe sich argumentieren, die Caisse médico-chirurgicale mutualiste helfe ganz entscheidend, die größten Kostenprobleme abzutragen. Das liegt nicht allein am Paket Denta [&] Optiplus: Schon in ihrem Régime commun kommt die Mutualität für Zahnarztkosten auf, die die CNS entweder nicht oder nur teilweise erstattet. Da dem Régime commun der CMCM derzeit 285 000 Bürger angehören, ließe sich behaupten, die Zahnarztkostenfrage sei eigentlich ganz solidarisch gelöst durch die Komplementarität von öffentlicher CNS und gemeinschaftlicher CMCM – das Szenario erinnert an die Verhältnisse in Frankreich mit der Grundversicherung über die Allgemeine Krankenkasse und die Zusatzversicherung durch Mutualitäten.
Doch die Caisse médico gehört zu den kleinen Geheimnissen des Luxemburger Gesundheitswesens: Dass sie so erschwinglich ist, liegt nicht nur an der großen Solidargemeinschaft ihrer Versicherten, sondern auch daran, dass sie auf einem 50 Jahre alten Gesetz über die [-]Mutualitätsvereine gründet. Diese Vereine nach dem Gesetz von 1961 wurden ausgeklammert, als in Luxemburg ab 1973 EU-Binnenmarktrichtlinien über die Versicherungswirtschaft umgesetzt werden mussten. Die aktuell gültige Richtlinie sagt, dass für alle Versicherer, gleich welcher juristischen Form, dieselben Regeln für Solvabilität und Reservenbildung gelten – es sei denn, sie nehmen jährlich weniger als fünf Millionen Euro ein.
Dass Luxemburg diesen Passus aus der EU-Gesetzgebung bis heute nicht übernommen hat, um die Volks-Zusatzversicherung Caisse médico zu schützen, deren Einnahmen 2009 auch ohne Denta [&] Optiplus schon bei 33,4 Millionen Euro lagen, hat bisher nur zu gelegentlichem Murren der Privatversicherer über „Marktverzerrung“ geführt. Nicht aber zu einem regelrechten Aufstand wie in Belgien, wo die Mutualitäten ebenfalls Sonderrechte genossen, seit 1. Juli dieses Jahres aber denselben Kapitalanforderungen unterworfen sind wie die Privatversicherungen – und für die Patienten teurer geworden sind.
Am 1. Januar 2013 aber tritt EU-weit die Richtlinie Solvency II in Kraft, die für die Versicherungswirtschaft so etwas wie Basel III für die Banken ist: Sie stellt strengere Kapitalanforderungen. „Tritt Solvency II in Kraft, müssen wir auf jeden Versicherer mit mehr als fünf Millionen Euro Jahreseinnahmen dieselben Regeln anwenden“, sagt Victor Rod, der Präsident des Commissariat aux assurances, dem Land. Daraus folgt: Welche Rolle die Caisse médico im Gesundheitssystem in Zukunft spielen soll, muss nächstes Jahr geklärt werden.
Im Sozialministerium, das die Aufsicht über die Caisse médico inne hat, gibt es darüber bisher noch keine Vorstellungen. Aber sollte eine Caisse médico, die nach Solvency-II-Regeln funk-tioniert, so teuer werden, dass sie keine Volks-Zusatzversicherung mehr sein kann, könnten gerade Zahnarztkosten bei den gegebenen Verhältnissen von Tarifen und CNS-Rückerstattungssätzen schnell nicht nur für die Einkommensschwächsten zu einer großen Last werden. Vielleicht wird das Finanzpolster der CNS ja am Ende dazu dienen, die Kosten für Zahnbehandlungen in einem viel größeren Umfang zu übernehmen, als der Minister sich heute vorstellen mag.