Schon mal von schweißfußvermeidenden Socken gehört? Es gibt sie schon seit einigen Jahren. Ihre Fasern enthalten Nanopartikel aus Silber. Das Edelmetall ist seit der Antike für seine antibakterielle Wirkung bekannt und kann auch gegen Fußgeruch helfen.
Das Problem ist nur, dass Forscher von der Arizona State University vor zwei Jahren zeigen konnten, dass die neuartigen Socken ihr Nano-Silber verlieren: offenbar wird es mit der Zeit einfach ausgewaschen.1 Das ist riskant. Wenn Nanopartikel aus Silber ins Abwasser gelangen, könnten sie das ordnungsgemäße Funktionieren von Kläranlagen ebenso beeinträchtigen wie womöglich Wasserlebewesen bedrohen, falls die Partikel ihren Weg in die Wasserläufe finden.
Könnte, falls und womöglich: Leider weiß man über die Umweltwirkungen der winzigen Teilchen bisher nur sehr wenig. „Ihre Einflüsse auf den menschlichen Organismus hat man studiert; was passiert, wenn man sich mit einer Sonnenschutzmilch einreibt, die Nanopartikel enthält, ist einigermaßen klar“, sagt Arno Gutleb, Toxikologe an der Abteilung für Umweltforschung des Centre de Recherche public Gabriel Lippmann. Was sich im Badesee abspielt, in dem der Sonnenhungrige sich später erfrischt und die Nano-Schutzhülle abspült, ist dagegen eine der Fragen, denen sich die Forschung erst allmählich zuwendet. Über den Zusammenhang von Silber-Nanoteilchen und der Umwelt etwa gebe es bisher weltweit lediglich an die 20 Publikationen in Wissenschaftszeitschriften, berichtet Gutleb. Wobei „Umwelt“ mehr meint als allein Wasserschutz.
Auf diesem noch weitgehend unbeackerten Feld sieht man im CRP Gabriel Lippmann neue Betätigungsmöglichkeiten. Immerhin ver-fügt das in Beles ansässige Institut nicht nur über die Abteilung für Umweltforschung und Biotechnologie, sondern auch über eine Abteilung für Materialwissenschaft, die schon seit Jahren in der Nano-Analyse aktiv ist. „So eine Kombination ist ausgesprochen selten. In Europa gibt es das nur noch an der Universität Dublin und im Karlsruhe Institute of Technology“, sagt Damien Lenoble, Projektleiter im Labor für Materialwissenschaft. Genau genommen sei die Konstellation bei Lippmanns sogar einzigartig: In Dublin und Karlsruhe befänden die beiden Abteilungen sich auf ein und demselben Campus, in Beles dagegen in ein und demselben Gebäude. Die kurzen Wege seien auf keinen Fall zu unterschätzen, sagt Lenoble: „Nanopartikel verhalten sich in jedem Medium anders. Schon sie zu lange der Luft auszusetzen, kann ein Messergebnis verfälschen.“
Was allerdings auch andeutet, auf welch schwieriges Terrain sich begibt, wer an der Umwelttoxikologie von Nanopartikeln forscht. Sie sind zum einen winzig: definitionsgemäß sind sie in mindestens einer Dimen-sion kleiner als 100 Nanometer, messen häufig nur 20 Nanometer oder noch weniger. Eine rote Blutzelle, zum Vergleich, ist 7 000 Nanometer lang, ein DNA-Strang im Zellkern 2,5 Nanometer breit. Ein 20 Nanometer großes Teilchen verhält sich im Größenvergleich zu einem Fußball wie dieser sich zu unserem Planeten.
Doch je kleiner ein solches Teilchen wird, desto größer wird seine so genannte spezifische Oberfläche. Ein kugelrundes Teilchen von einem Zentimeter Durchmesser trägt lediglich ein hunderttausendstel Prozent seiner Atome an der Oberfläche. Bei einem Nanopartikel von zehn Nanometern sind es zehn Prozent – und das macht Nanopartikel so ausgesprochen reaktionsfreudig mit ihrer Umgebung. Ein anderer wichtiger Faktor ist die Gestalt der Partikel: Ob sie röhrchen-, pyramiden- oder kugelförmig sind, kann eine große Rolle spielen. Und es gibt noch andere, komplexer zusammengesetzte Formen.
„Wir wollen ermitteln, wo die jeweils treibende Kraft für eine toxische Wirkung der Nanopartikel liegt“, sagt Arno Gutleb. Das heiße, alle möglichen Faktoren einzubeziehen und die toxische Wirkung sowohl auf einzelne Organismen wie auch auf größere ökologische Zusammenhänge zu betrachten. Das ist Neuland: Über eine alles verbindende Theorie verfügt derzeit noch niemand. Dafür wächst die Nutzung der Nanopartikel rasch. Lag die Zahl der die winzigen Teilchen enthaltenden registrierten Produkte im Jahr 2003 bei 54 weltweit, waren es im Jahr 2009 bereits 1 015.
Start für die Nano-Umweltforschung am CRP Gabriel Lippmann ist ein Projekt, bei dem die Wirkung verschiedener Partikel aus Nano-Silber, Nano-Zink, Nano-Silizium und Nano-Titandioxid auf verschiedene Wasserlebewesen untersucht wird. In einer Woche soll sich entscheiden, ob der Nationale Forschungsfonds das Nachfolgeprojekt unterstützt.
Arno Gutleb und Damien Lenoble denken schon weiter. „Haben wir ermittelt, welche die ‚treibenden Kräfte’ für die toxischen Wirkungen von Nanopartikeln auf die Umwelt sind, werden wir maßgeschneiderte Nanomaterialien entwickeln können, die unbedenklich sind“, sagt Lenoble. Die Anwendungen dafür sind mannigfaltig, der potenzielle Markt enorm: Die US-amerikanische Na-tional Science Foundation schätzte vor vier Jahren, dass er bis 2015 auf 1 000 Milliarden US-Dollar weltweit wachsen könnte. Womöglich könnte sich für Luxemburg die Chance bieten, nach und nach eine industrielle Hightech-Nische zu erschließen.
Ob für die Arbeit in dem Beleser Forschungszentrum die Weichen tatsächlich in diese Richtung gestellt werden, hängt allerdings noch von ein paar Entscheidungen ab – im Verwaltungsrat des CRP, doch wahrscheinlich auch auf Regierungsebene. Investitionen werden gebraucht, „aber achtzig Prozent der nötigen Ausrüstung haben wir schon“, sagen Lenoble und Gutleb. Längerfristi-ge politische Unterstützung dürfte ebenfalls nötig sein: Drei Jahre lang sei der unmittelbare wirtschaftliche Nutzen des Vorhabens „sicherlich gleich Null“, schätzt Gutleb. In zehn Jahren aber könnten erste Patente hinterlegt oder die erste Firma gegründet sein. Die Frage, wie weit es Nano- und Umweltforschung hierzulande gemeinsam bringen könnten, wirft demnach auch die auf, wohin man bei der ökonomischen Diversifizierung in Richtung Ökotechnologien im kleinen Lande strategisch hinsteuern will.