Am 1. Januar trat eine Serie von Steuererhöhungen und staatlichen Ausgabenkürzungen in Kraft, deren oberstes Ziel nach Angaben der Regierung ein ausgeglichener oder gar überschüssiger Staatshaushalt am Ende der Legislaturperiode sein soll. Doch selbst die sehr liberale Zentralbank vermutete in ihrem rezenten Gutachten zum Staatshaushalt und Zukunftspak, dass „die Gesamtheit dieser Maßnahmen im Vergleich zum bestehenden System einen negativen Umverteilungseffekt“ haben wird (S. 75). Das heißt, dass die Haushaltspolitik von DP, LSAP und Grünen eine Umverteilung von niedrigen Einkommen zugunsten von Vermögen und hohen Einkommen verursachen wird.
Gegenüber der eigenen Wählerbasis kann die Regierung diese nicht nur von der Zentralbank, sondern auch von der Salariatskammer und den Gewerkschaften beanstandete Umverteilung aber nicht anstandslos durchsetzen. Schließlich hatte das LSAP-Wahlprogramm eine „Trendwende“ hin zu „mehr Ausgewogenheit bei der Besteuerung von Arbeit und Kapital“ versprochen, und die traditionell gutgläubigen LSAP-Wähler waren davon ausgegangen, dass eine Stimme für den forschen Etienne Schneider eine Stimme gegen die Austerität sei. Die ebenfalls um keine Peinlichkeit verlegene DP hatte im März 2010 für alle leistungsfreudigen Besserverdiener im Land einen Ideenwettbewerb Initiativ géint Steiererhéijungen organisiert, der nun mit Mehrwersteuererhöhung und Impôt d’équilibrage budgétaire temporaire seinen krönenden Abschluss gefunden hat.
Damit sie nun nicht ständig beim Regieren vom Vorwurf der sozialen Unausgewogenheit gestört wird, beschloss die Koalition, Gewerkschaften, LSAP-Basis und leistungsfreudige Mittelschichtler damit zu vertrösten, dass die soziale Ausgewogenheit folgen werde, sobald der Haushalt saniert sei. Zu diesem Zweck versprachen die Parteien in ihrem vor einem Jahr verfassten Koalitionsabkommen eine Steuerreform, die spätestens im Gemeindewahljahr 2017 in Kraft treten soll. Premier Xavier Bettel nannte sie in seiner Regierungserklärung sogar eine „große Steuerreform“. Ihm hatte niemand gesagt, dass wirklich große Steuerreformen nicht bloß Jahre, sondern manchmal Jahrzehnte brauchten – an der großen Einkommenssteuerreform von 1967 wurde sogar 23 Jahre lang gearbeitet.
Dabei liegt die Priorität der Regierung in Wirklichkeit bei der Unternehmensbesteuerung. Deshalb hatte die DP gleich Steuerberater an den Koalitionsverhandlungen beteiligt und den Direktor der Handelskammer zum Finanzminister gemacht, während sich die LSAP- und Grünen-Vertreter diskret zurückhielten. So strotzt das von den Liberalen geprägte und einer streng angebotsorientierten Wirtschaftspolitik gehorchende Steuer-Kapitel des Koalitionsabkommens auch nur so von Ideen, wenn es um Konzernzentralen, Transferpreise, geistiges Eigentum, Mutter-Tochter-Beziehungen, Steuererklärungen in Fremdwährungen, Steuervorentscheidungen, steuerfreie Investitionsrücklagen und fiktive Zinslasten geht.
Bei einer Steuerreform für Privathaushalt gibt sich das Koalitionsabkommen dagegen anspruchsloser. Denn sie sollte anfänglich vor allem als buntes Geschenkpapier dienen, in das die unansehnliche Mehrwertsteuererhöhung eingewickelt würde. Deshalb beschränkt sich das Koalitionsabkommen auf drei Klassiker von Einkommenssteuerreformen: den Mittelstandsbuckel, die Freibeträge und die Individualisierung. Selbst die von der DP in der Opposition stets verlangte Anpassung der progressiven Steuertabelle an die Inflation zur Vermeidung „kalter“ Steuererhöhungen konnte mangels Inflation übergangen werden.
Das Koalitionsabkommen sieht vor, den Abstand und den Steuersatz der Einkommensstufen in der Steuertabelle zu überprüfen, um den Mittelstandsbuckel abzuschwächen, das heißt die bald nach dem Eingangssteuersatz sich beschleunigende Progressivität, über welche die Mittelschichten ewig klagen. Dies Beseitigung des Mittelstandsbuckels ist ein Versprechen, das fast so alt ist wie die hierzulande 1913 eingeführte Steuerprogressivität und das bei keiner Steuerreform eingelöst wird – denn der Staat kassiert am liebsten bei der großen Masse. Im neoliberalen Rausch hatte die Juncker/Asselborn-Koalition sogar am 22. Mai 2008 bei der Steuerverwaltung eine Studie über die Einführung einer einheitlichen Flat tax in Auftrag gegeben, also die vollständige Abschaffung der seit dem späten 19. Jahrhundert von den Sozialisten verlangten Steuerprogressivität. Die Steuerverwaltung beschrieb den Vorschlag in ausgesucht höflichen Worten als Unfug.
Schon während der Koalitionsverhandlungen war man sich einig, dass eine Einkommenssteuerreform ein Nullsummenspiel sein müsste, also den Staat nichts zusätzlich kosten dürfte. Vor 14 Tagen betonte Finanzminister Pierre Gramegna (DP) noch einmal während der Haushaltsdebatten vor dem Parlament, dass der Spielraum für eine Steuerreform „ganz klein“ sei, wie aus dem mehrjährigen Haushaltsplan unschwer zu entnehmen sei. Um den Mittelstandsbuckel zu senken, ohne die Besserverdienenden zur Kasse zu bitten, muss die Regierung also den Steuerausfall durch die Senkung oder Abschaffung verschiedener Freibeträge und Abschläge kompensieren, die „sozial und wirtschaftlich selektiver“ werden sollen, so das Koalitionsabkommen.
Solche wurden bereits 2013 vorgenommen beim Pauschalabzug auf Fahrkosten und den Abzugsmöglichkeiten für Zinsen von Verbraucherdarlehen. Im Visier ist nun vor allem die steuerliche Absetzbarkeit von Kreditzinsen und Kfz-Versicherungsprämien; bei Betriebswagen, Lebensversicherungen, Bausparverträgen, Zusatzpensionen oder Essensgutscheinen ist dagegen mit dem Widerstand gut organisierter Lobbys zu rechnen. Ein tatendurstiger Premierminister Jean-Claude Juncker hatte im August 1999 großspurig versprochen, alle Freibeträge abzuschaffen, doch am Ende wurde lediglich der sich ökonomisch als unsinnig erwiesene und gegen europäische Prinzipien verstoßende Freibetrag der Loi Rau für Sicav-Anteile an nationalen Unternehmen gestrichen.
Als drittes Reformvorhaben stellt das Koalitionsabkommen vorsichtig in Aussicht, dass „die Möglichkeit untersucht wird, zur Individualbesteuerung überzugehen“ (S. 27), wie sie von DP und Grünen versprochen worden war, während sich die LSAP diesmal zurückhaltender verhalten hatte. Die seit über einem Jahrzehnt diskutierte Abschaffung der gemeinsamen Veranlagung mit Ehegatten-Splitting setzt eine Entwicklung fort, die bereits mit der 1991 erfolgten Abschaffung der Steuerklassen nach der Kinderzahl und der Kinderfreibeträge begann und bei der Besteuerung keine Rücksicht mehr auf den Familienstand der Steuerpflichtigen nehmen soll.
Während der Koalitionsverhandlungen erklärte die Steuerverwaltung den drei Parteien, dass das bestehende Splitting-System nicht nur eine Bezuschussung der Hausfrauenehe darstellt, sondern angesichts der starken Progressivität der Steuertabelle für mittlere Einkommen zu einem „sehr bedeutenden Einkommenstransfer“ zugunsten von Hausfrauenehen dieser Schicht führe. Deshalb schlug sie vor, eine tatsächliche Individualisierung erst ab dem versteuerbaren Einzeleinkommensanteil über 41 793 Euro vorzunehmen oder die Einzelbesteuerung nur für künftige Ehepaare einzuführen.
Doch auch wenn die Regierung nur eine bescheidene Reform der Einkommenssteuer für Haushalte anstrebt, so könnte die Reform bald eine unerwartete Eigendynamik entwickeln, wie sie noch vom Rententisch in Erinnerung ist. Denn seit die ausländische Presse über die industriell organisierte Gewährung von Steuervorentscheidungen berichtete, ist die Regierung verzweifelt bemüht, allen OECD- und EU-Empfehlungen gerecht zu werden und gleichzeitig die alten Steuervorteile für Unternehmen und Vermögende durch neue zu ersetzen.
Während der Haushaltsdebatten machte die CSV der Koalition sogar Mut, ohne noch lange zu warten den zu diesem Zweck in „taux d’affichage“ umgetauften Körperschaftssteuersatz zu halbieren bei einer gleichzeitigen Erweiterung der Besteuerungsgrundlage. Denn was bisher als Verstoß gegen die soziale Ausgewogenheit angesehen wurde und deshalb politisch kaum durchsetzbar schien, könnte, geschickt genutzt, der politische Schock der Rulings-Veröffentlichungen nun während einer kurzen Zeitspanne möglich machen.
Um dabei den Anschein der sozialen Ausgewogenheit zu wahren, könnte im Gegenzug vielleicht sogar ein Sondersteuersatz von 45 Prozent für Einkommenstranchen über 200 000 Euro eingeführt werden. Damit sie bei den Wahlen 2018 nicht bloß für die Mehrwehrtsteuererhöhung haftbar gemacht wird, verlangt die LSAP in regelmäßigen Abständen einen solchen großspurig „Reichensteuer“ genannten außerordentlichen Spitzensteuersatz. Das rezente Positionspapier der Partei stellt die „Entwicklung von Vorschlägen der LSAP für eine grundlegende und gerechte Steuerreform“ sogar als Schlüsselaufgabe bis zu den nächsten Wahlen dar. Allerdings lehnte die Regierung noch Ende November einen Vorschlag der Gewerkschaften ab, zwei oder drei zusätzliche Einkommensstufen an der Spitze der Steuertabelle hinzuzufügen.
Schließlich könnte die Steuerreform auch eine Eigendynamik entwickeln, weil die Regierung den Sozialpartnern nun zusagen musste, sie ab diesem Jahr an den Vorbereitungen der Reform zu beteiligen. Genau das hatte sie bisher zu verhindern versucht, weil sie befürchtete, dass die Steuerreform dadurch eine Eigendynamik erhielte, je näher die Gemeinde- und Legislativwahlen kämen.