Der Kinderbeauftragte soll unabhängig werden und mehr Personal erhalten. Überfällig, aber nicht genug

Nachbessern!

d'Lëtzebuerger Land vom 16.02.2018

Was müssen Jugendliche auf dem Kerbholz haben, das ihr Einsperren in einem Erwachsenengefängnis ohne Resozialisierungsprogramm rechtfertigt? Die Frage stellt sich, nachdem das Land vor zwei Wochen enthüllt hatte, dass auch nach der Eröffnung des Sicherheitstrakts für straffällig gewordene Jugendliche in Dreiborn weiterhin Minderjährige in der Schrassiger Strafvollzugsanstalt untergebracht sind.

Sie stellt sich umso mehr, weil eine Anfrage unserer Zeitung bei der Justiz zu den Profilen der Jugendlichen nur insofern beantwortet wurde, als dass sie laut Pressestelle „schwere Straftaten“ begangen haben sollen. Was das genau heißt, wollten die Jugendrichter nicht präzisieren (siehe Kasten). – Und weil der Kinderrechtsbeauftragte René Schlechter, der am Dienstag den Jugendlichen einen Besuch abstattete, selbst zu einer anderen Einschätzung kommt: Die Jugendlichen „gehören nicht dahin“, meinte er, vom Land zu seiner Kontrollvisite in Schrassig befragt. „Seit die Unisec in Betrieb ist, gibt es für mich kein Argument, warum diese Jugendlichen nicht dort unterkommen.“ Zumal die Unité de securité in Dreiborn nur knapp zur Hälfte belegt ist, mit allem Nötigen ausgestattet, dagegen in Schrassig keine Betreuung existiert, die den Namen verdient. Ein Psychologe versucht, einmal die Woche vorbeizuschauen, ebenso ein Lehrer. Der einzige Fernseher stammt aus den 1980-er Jahren.

Was also sind die schweren Straftaten, die den Richtern als Rechtfertigung dienen, diese Minderjährigen ohne adäquates Ausbildungs- und Beschäftigungsangebot, neben verurteilten Schwerverbrechern einzusperren? Unseren Informationen nach sitzt ein Jugendlicher wegen Diebstahls oder Einbruchs ein. Bei einem zweiten Jugendlichen soll es sich um einen – straffällig gewordenen – unbegleiteten Flüchtling handeln. Hier ist ebenfalls unklar, welche Taten ihm konkret vorgeworfen werden. Sicher ist allerdings, dass internationale Kinderrechtler sich seit Jahren dagegen aussprechen, Jugendliche in Erwachsenengefängnisse einzusperren, und dies für minderjährige Flüchtlinge ebenso gilt. Die Europäische Vereinigung der EU-Ombudspersonen für Kinderrechte (Enoc), in dem Luxemburg Mitglied ist, hält im Handbook on European law relating to the rights of children fest, Haft sei für Flüchtlingskinder nach Europäi-schem Recht nur als „letztes Mittel“ legitim und dass „sie niemals im Gefängnisunterbringung inhaftiert sein sollten“. Darüber hinaus bemängelte René Schlechter nach seiner Visite noch, dass die Jugendlichen nicht streng genug von erwachsenen verurteilten Straftätern getrennt sind.

Nur: Was zählt die Einschätzung des Kinderrechtsbeauftragten? Die Richter wähnen sich im Recht, denn das Jugendschutzgesetz verbietet das Einsperren in Erwachsenenhaft nicht und gibt den Gerichten einen großen Ermessensspielraum. Außerdem schreibt das Gesetz von 2002, das die Aufgaben des Ombudskomitees für Kinderrechte (ORK) bislang regelte, vor, es habe in laufenden juristische Verfahren nicht einzugreifen. Streng genommen bedeutet das, dass sich der/die Kinderrechtsbeauftragte sogar zu so eklatanten Missständen wie Minderjährigen im Erwachsenenstrafvollzug nur bedingt äußern darf, obwohl er doch darüber wachen soll, dass Kindesrechtsverletzungen und Gefahren fürs Kindeswohl aufgedeckt werden. Er kann zu Einzelfällen, aber auch zu Gesetzesentwürfen und zu Prozeduren sein Gutachten sowie korrigierende Empfehlungen abgeben.

Da trifft es sich gut, dass die Regierung die Rechtsgrundlage des Kinderrechtsbeauftragten, künftig der Einfachheit halber Kinderbeauftragter genannt, stärken will. Könnte man meinen. Neben der lang erhobenen Forderung, das Amt unabhängig vom Familienministerium und somit von der Regierung zu machen und stattdessen der Abgeordnetenkammer zu unterstellen, findet auch der Passus zur Nichteinmischung Eingang in den neuen Text. Er steht in ähnlicher Form im Gesetz zum Office national de l’enfance. Dass niemand sich in laufende Gerichtsaffären einmischen darf, ist für eine reibungslose unabhängige Justiz in einem Rechtsstaat unerlässlich. Doch wenn es eine Gerichtspraxis gibt, die aus kinderrechtlicher Sicht berechtigte Fragen oder Zweifel aufwirft, sollte diese dann nicht kritisierbar sein und gegebenenfalls korrigiert werden können?

Auftrag des Kinderbeauftragten bleibt laut Entwurf aus dem Erziehungsministerium, die Missachtung („non-respect“) von Kinderrechten den zuständigen Autoritäten zu melden (wobei nicht präzisiert ist, wer die sind) sowie Empfehlungen zu geben, wie sie abzustellen ist. René Schlechter wandelt mit seiner Stellungnahme zu den Zuständen in Schrassig an der Grenze des ihm Gestatteten. Dass die Richter Journalisten Informationen darüber vorenthalten, welche Straftaten Anlass für eine Inhaftierung von Minderjährigen im Erwachsenenstrafvollzug geben, ist übrigens ebenfalls schwer nachvollziehbar: Wie soll die Presse sonst ihrer Pflicht nachkommen, als vierte Gewalt auch den Rechtsstaat zu kontrollieren? Jugendschutzgründe oder Persönlichkeitsrechte, etwa dass das Strafmaß oder Straftaten etwas über die Identität der Eingesperrten verraten hätte, scheinen wegen der Anonymität der Jugendlichen abwegig.

Die geplante Reform des ORK riskiert nicht nur in diesem Punkt ein Weiter so und den traurigen Status quo beizubehalten: So ist der Kinderrechtsbeauftragte, der künftig alle acht Jahre genannt werden soll, statt wie bisher maximal zwei Mal fünf Jahre, berechtigt, in Schulen, Kindergärten, Heimen und anderen (para-)staatlichen Institutionen die mit Kindern zu tun haben, nach dem Rechten zu sehen, sowie Informationen von Behörden und Ämtern zu erhalten, die Kinder betreffen. Jedoch fehlen im Entwurf Sanktionen, ja nicht einmal Fristen sind vorgesehen. Schlechters Vorgängerin, Marie-Anne Rodesch-Hengesch, hatte in der Vergangenheit darüber berichtet, dass Schulen ihr den Zutritt verweigert hatten, weil sie das Gesetz nicht kannten.

Das bedeutet im schlimmsten Fall, dass der/die Kinderbeauftragte bei Verdacht auf Unregelmäßigkeiten in punkto Kinderrechte, seinen/ihren Anspruch vielleicht nur mit Anlauf durchsetzen kann und sogar riskiert, weniger Rechte zu haben als gewöhnliche Bürger: Die DP/LSAP/Grüne-Regierung war mit dem Versprechen angetreten, für mehr Transparenz zu sorgen. Ein erster Entwurf für einen Informationszugang zu Verwaltungsinformationen, der sowohl von Nichtregierungsorganisationen als auch vom Presserat scharf kritisiert wurde, sah eine Antwortfrist binnen eines Monats vor. Ämter, die einem Informationsersuchen nicht stattgeben, hätten dies begründen müssen. Außerdem sollten Bürger gegen Negativbescheide Einspruch erheben können. Der Entwurf nennt keine Prozedur und keinen Mechanismus, was als nächster Schritt zu tun ist, sollten staatliche Stellen die Zusammenarbeit mit dem ORK verweigern. Damit bleibt der Beauftragte für Kinderrechte hinter den Möglichkeiten der Ombudsperson, auch Mediateur genannt, der immerhin bei Nicht-Erfüllung als letztes Mittel die Abgeordnetenkammer anrufen kann.

Auch das Zusammenspiel von ORK, Mediateur, Antidiskriminierungsstelle und Menschenrechtskommission, sollte der Entwurf in der Form vom Parlament verabschiedet werden, wird nicht geregelt. Zwar gibt es Pläne, die verschiedenen Institutionen zentral an einem Ort zu bündeln. Aber über eine organisatorische Annäherung hinaus bleibt eine inhaltliche Auseinandersetzung und Klärung der verschiedenen Kompetenzen aus: Vorstellbar wäre gewesen, im sechsköpfigen ehrenamtlichen Expertenkomitee RepräsentantInnen der jeweiligen Institutionen einzubinden. So könnten sich sinnvolle Synergien ergeben und double emploi vermeiden lassen.

Für eine wirkmächtige Aufwertung des Amts bräuchte es jedoch mehr als die Unabhängigkeit und eine bessere personelle und finanzielle Ausstattung, die immerhin kommen soll: Der Entwurf sieht, neben der höheren Entlohnung des Beauftragten, mindestens fünf weitere Posten vor: für die Beantwortung individueller Anfragen, für das Schreiben von Gutachten im Rahmen von Gesetzesverfahren, für das Beschwerdemanagement und für die Kommunikation. Ein wichtiger Aspekt, der in den vergangenen Jahren vernachlässigt wurde.

Dass er nicht öfters in Schrassig nach dem Rechten geschaut und sich eher nicht zu dem Schicksal geäußert habe, begründete Schlechter gegenüber dem Radio 100,7 mit begrenzten Ressourcen. Obwohl die Positionen des aktuellen ORK sich mit denen seiner Vorgängerin decken, fanden Kinderrechtsanliegen unter Rodesch-Hengesch oft mehr Echo in den Medien, was auch daran lag, dass mit Caroline Mart eine gestandene Journalistin im beratenden Expertenkomitee saß. Einen ähnlichen Effekt wird sich vom jüngsten Neuzugang erhofft: Die 100,7-Journalistin Mick Entringer verstärkt seit Januar die Expertenriege. Im Entwurf sind für die Personalkosten insgesamt 624 030 Euro veranschlagt. Das wäre gegenüber den bisherigen zwei Posten (Beauftragter plus Juristin) plus Verwaltung eine deutliche Verbesserung.

Die Gesamtbilanz des ORK ist durchwachsen: Die Scheidungs-, die Sorgerechts- und die Jugendschutzreform, beide ganz oben auf der Wunschliste des ORK, lassen auf sich warten. Positiv ist die Einführung und rechtliche Absicherung des Kinderanwalts zu erwähnen ebenso wie das neue Adoptionsrecht und Maßnahmen gegen Kinderarmut.

Um den Rechten von Kindern über den Einzelfall hinaus gesellschaftlich mehr Gehör und Gewicht zu verschaffen, fordern Kinderrechtler des Sozialverband Ances oder auch der ehemalige Jugendamtsleiter Jeff Weitzel Kinderrechte in die Verfassung einzuschreiben. Warum nicht auch das Amt des Kinderrechtsbeauftragten? Bisher ist das nicht vorgesehen. Der Vorteil einer verfassungsrechtlichen Verankerung wäre, dass der Kinderrechtsbeauftragte damit deutlich mehr Gewicht erhalten würde – auch und gerade gegenüber der Justiz. Allerdings wäre die strikte Gewaltentrennung zwischen Legislative und Exekutive Bedingung: Ein der Abgeordnetenkammer unterstellter Kinderbeauftragter kann keine über das Gesetzgebungsverfahren und die parlamentarische Kontrolle hinausgehende Befugnisse haben. Weisungen erteilen oder Sanktionen aussprechen kann er dann auch in Zukunft nicht.

Schwere Straftaten

Die Justiz begründet die Unterbringung von einem 16- und zwei 17-Jährigen im Erwachsenenstrafvollzug mit der Schwere der Tatendie ihnen vorgeworfen werden. Nähere Angaben zu den Hintergründen will sie nicht geben. Dabei wäre das aufschlussreichum einzuschätzenab wann die Jugendrichter den im November gerade erst in Betrieb genommenengeschlossenen Sicherheitstrakt in Dreiborn nicht mehr für ausreichend hält. Immerhin verfügt die Unisec über Sicherheitspersonaldicke Mauernvergitterte Zäuneein Überwachungssystem. In Deutschland werden unter schwere Straften solche Vergehen und Verbrechen verstandendie nicht nur wegen des Unrechts im Einzelfall schwer wiegensondern auch allgemein als schwere Straftaten angesehen werden und mit einer Mindesthöchststrafe von fünf Jahren bewehrt sind. Ein einfacher Diebstahl wäre demnach kein schweres Verbrechenein mit Waffe begangener Raub allerdings schon. Im Luxemburger Code pénal wird zwischen leichteren Vergehen und Verbrechen unterschiedendabei kommt es auf die Begleitumstände der Straftat an. Sind sie erschwerendkönnen sie sich erhöhend auf das Strafmaß auswirken und eine Bewertung als Verbrechen bewirken. ik

Ines Kurschat
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