Rückblick auf den Vortrag von Wolfgang Dahmen

Die Siebenbürger Sachsen und die Suche nach der „Urheimat“

d'Lëtzebuerger Land du 06.06.2025

Kamen die Siebenbürger Sachsen wirklich aus Luxemburg? Diese Frage stand im Mittelpunkt eines Vortrags von Prof. Dr. Wolfgang Dahmen, dem ehemaligen Inhaber des bundesweit einzigen Lehrstuhls für Rumänistik und Emeritus der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Die Veranstaltung wurde vom Institut grand-ducal organisiert und fand vergangenen Freitag vor ausgebuchtem Saal in der Nationalbibliothek statt. Die Ausführungen kondensierten die Ergebnisse einer langjährigen Forschungstätigkeit, die sich in zahlreichen Fachpublikationen niederschlägt.

In der Mitte des 12. Jahrhunderts folgten Auswanderer aus dem westlichen Teil des Heiligen Römischen Reiches einem Ruf des ungarischen Königs Géza II. und ließen sich in Siebenbürgen nieder. Als Gegenleistung für die erhaltenen Privilegien, darunter steuerlicher Art, sollten sie die Region urbar machen und die Grenze gegen das turkstämmige Reitervolk der Kumanen sichern. Die Quellenlage erlaubt keine Schlüsse über die genauen Abstammungsgebiete der Siedler. Fest steht hingegen, dass sie keine Sachsen im herkömmlichen Sinn waren, denn der zeitübliche Begriff „Saxones“ bezeichnete nicht ihre geografische Herkunft, sondern ihren rechtlichen Status. Nachrichten über diese Bevölkerungsgruppe erreichten Luxemburg durch die Aufzeichnungen des Forschungsreisenden François-Xavier de Feller, der im Zuge eines Aufenthalts in Siebenbürgen 1768 Ähnlichkeiten zwischen dem dortigen und dem heimatlichen Idiom feststellte.

Nach dem ungarisch-österreichischen Ausgleich und der Entstehung der Doppelmonarchie 1867 gerieten die lange Zeit weitgehend autonomen Sachsen ins Visier einer offensiven Magyarisierungspolitik. Darauf reagierten sie mit der verstärkten Hinwendung zur eigenen Geschichte, die die fränkische Herkunft miteinbegriff; eine intensive, linguistisch begründete Suche nach den „Lebenskräften der alten Heimat“ (Adolf Schullerus) setzte ein. Romantische Vorstellungen von der Einheit von Sprache und Nation, aber auch die Geburt der Vergleichenden Sprachwissenschaft hatten für diese Anstrengungen einen geeigneten zeitlichen und kulturellen Kontext geschaffen. Siebenbürger Sprachforscher wie Georg Friedrich Marienburg (1845), Georg Keintzel (1885), Gustav Kisch (1891) und Richard Huß (1907) vermuteten das Ausreisegebiet der Sachsen im moselfränkischen, dann – immer engere Kreise zeichnend – im luxemburgischen Sprachraum und schließlich in der Gegend Vianden-Echternach.

Dass die „Urheimat“ nicht mit den Mitteln der Sprachforschung zu verorten war, wurde 1905 deutlich, als eine von Schullerus angeführte sächsische Delegation im Großherzogtum eintraf, die Kommunikation mit den Einheimischen jedoch weniger erfolgreich verlief als angenommen. Karl Kurt Klein sollte 1966 die Aporien in den Thesen seiner Vorgänger endgültig offenlegen. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Diskurs rund um die Luxemburger Abstammung der Sachsen indes längst die hiesige Intellektuellenschaft in seinen Bann gezogen. Auch dafür waren die historischen Umstände günstig gewesen: Bei der Neuordnung Europas nach dem Wiener Kongress (1815) hatte Luxemburg unverhofft seine Selbstständigkeit erlangt; das neue – und ab 1839 territorial auf die Hälfte geschrumpfte – Staatsgebilde musste jetzt eine eigene nationale Identität entwickeln. Zu den entstehenden Selbstkonstruktionen gehörte auch die Solidarität mit dem kleinen sächsischen „Brudervolk“ (Nikolaus Steffen, 1869) beziehungsweise das „souvenir de leur parenté“ (Martin Schweinsthal, 1904). Das Gefühl der Zusammengehörigkeit sollte im Laufe der Zeit manch grundlegende Differenz überstehen, etwa die den
Luxemburgern nicht behagende affirmative Haltung vieler Sachsen zum Hitler-Regime.

Kamen die Siebenbürger Sachsen nun aus Luxemburg? Die Antwort ist, so Prof. Dahmen, ein eindeutiges „jein“. Die Zusammensetzung der Auswanderer war zu heterogen, als dass ihre geografische Herkunft eindeutig bestimmt werden könnte; diese liegt zwar im moselfränkischen Raum, aber nicht unbedingt beziehungsweise nicht ausschließlich in Luxemburg. Auch erfolgte ihre Ansiedlung in Siebenbürgen in mehreren Wellen. Die sprachliche Nähe des Sächsischen zum Luxemburgischen sorgt ihrerseits heute noch für Fehldeutungen, denn beide Idiome gehören derselben Dachsprache an und sind daher ohnehin füreinander verstehbar; zudem hatte das habsburgische Schulsystem eine deutliche Nivellierung des Sächsischen zur Folge.

Aber was vermögen schon nüchterne wissenschaftliche Erkenntnisse, wenn Emotionen im Spiel sind? Der Glaube an die luxemburgische Abstammung der Sachsen – wobei der Bezeichnung „Luxemburger“ in Rumänien eine ähnliche Unschärfe anhaften kann wie dem Begriff „Sachse“ in Luxemburg – ist in beiden Ländern nach wie vor präsent. Oft mit erfreulichen Konsequenzen, wie der gemeinsame Titel von Luxemburg und Sibiu/Hermannstadt als Europäische Kulturhauptstadt 2007 belegt, um nur das markanteste Beispiel zu nennen.

Dem lässt sich aus luxemburgistischer Perspektive hinzufügen, dass der „Urheimat“-Topos für das Großherzogtum weitere wertvolle Impulse enthielt: Dahingehend regte beispielsweise „die Jahrzehnte dauernde Diskussion über die siebenbürgische Frage“ (Vorwort des Luxemburger Wörterbuchs, 1950) die Erforschung des Luxemburgischen maßgeblich an. Darüber hinaus geben literarische und publizistische Quellen Anlass zu der Vermutung, dass die Vorstellung einer (fast) luxemburgischen „Kolonie“ in Osteuropa ein kompensatorisches Moment für die kleine Dimension des Landes lieferte, wobei der territorialen Kleinheit umso größere zivilisatorische Leistungen entgegengehalten wurden.

*Daniela Lieb ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Centre national de littérature in Mersch und kommt nachweislich aus Siebenbürgen

Daniela Lieb
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