Verkehrspolitik und Sprachkunde gehören zu den demokratischsten Künsten. Denn jeder Stammtisch und jeder Leserbriefschreiber weiß, wo Umgehungsstraßen hingehören und wie man richtig spricht. So erklärt sich auch die Leidenschaft, mit der nicht nur Ingenieure, sondern auch der Mann und die Frau auf der Straße seit bald 20 Jahren, seit der Veröffentlichung der Luxtraffic-Studie 1993, über den Bau einer hauptstädtischen Straßenbahn debattieren. Zwar unterscheiden die Laien nicht immer im Detail zwischen BTB, Bahn-Hybrid, Bus-Tram-Bus, Null-Variante, leichter Tram und den unterschiedlichen Streckenführungen, doch den Fachleuten geht es keineswegs besser, wie die Widersprüchlichkeit ihrer Studien zeigt. Was liegt im Zeitalter der wahllosen Micro-trottoir also näher, als eine kommunale, wenn nicht gar nationale Volksbefragung über eine Straßenbahn? DP-Bürgermeisterin [-]Lydie [-]Polfer hatte schon im Wahlkampf 1999 das Kommunale zum Nationalen machen wollen und hauptstädtische Busse aneinanderhängen lassen, um über die angebliche Monstrosität einer Straßenbahn in der Nei Avenue abstimmen zu lassen.
Allerdings ist eine landesweite Volksbefragung nicht so einfach. In der Regierungserklärung von 1999 war zwar ein Gesetz versprochen worden, das ein Referendum vorschreibt, falls „50 000 ageschriwwe Wieler ee Referendum“ verlangten. Denn „wann ee groussen Deel vum Vollek sech esou tëscht de Wale wëllt Ge[-]héier verschafen, da muss d’ganzt Vollek gehéiert ginn“, so Premier Jean-Claude Juncker (CSV). Doch diese Möglichkeit wurde bis heute nicht geschaffen. Denn nach dem unerwartet knappen Ausgang des Referendums über den Euro[-]päischen Verfassungsvertrag 2005 und dem 2009 in der Lächerlichkeit versunkenen Versuch eines Referendums über die Vormachten des Großherzogs ist Regierung und Parlament die Lust an Referenden gründlich vergangen.
Um die anderen Parteien in Verlegenheit zu bringen, reichte der ADR-Abgeordnete Jacques-Yves Henckes am4. Februar 2010 einen Gesetzesvorschlag „relative à l’orga[-]nisation d’un référendum national concernant la réalisation soit du projet ‚City-Tunnel’ soit du projet ‚tram léger’“ ein. Denn laut Artikel 51 der Verfassung kann das Parlament schon heute solche Referenden organisieren.
Der ADR liegt die Straßenbahn besonders am Herzen, seit die ehemalige Rentnerpartei sich auf der verzweifelten Suche nach Wahlkampf-themen zur Fürsprecherin eines wunderschön abstrusen „City-Tunnels“ gemacht hat. Deshalb soll laut Gesetzesvorschlag auch über die zwei Behauptungen „Ech si fir de Projet ‚City-Tunnel’“ und „Ech si fir de Projet Tram“ abgestimmt werden. Obwohl der parlamentarische Ausschuss der Fraktionssprecher und das Kammerplenum im März 2010 Henckes’ Gesetzesvorschlag für zulässig erklärt haben, wollen die Regierung und ziemlich alle anderen Parteien im Parlament selbstverständlich ein solches Referendum mit allen Mitteln verhindern. Denn Referenden sind seit jeher ein gefundenes Fressen für Demagogen aller Art.
Dabei hatte sich der ADR-Abgeordnete und Rechtsanwalt Henckes redlich Mühe gegeben. Zu seinem Gesetzesvorschlag von drei Artikeln gehören sogar das Modell eines dreisprachigen Wahlzettels und eine Fiche financière: Danach soll die Organisation des Referendums 1,5 Millionen Euro kosten, die Fördervereine von Straßenbahn und City-Tunnel sollen 300 000 Euro Zuschüsse für Propaganda erhalten und zwei Postwurfsendungen sollen 61 000 Euro kosten.
Doch vor zwei Wochen war es am Staatsrat, den Gesetzesvorschlag abzublocken. In einem längeren Gutachten wirft er ihm „Widersprüche und Zusammenhanglosigkeit“ vor sowie „unvereinbar mit Verfassung und Gesetz“ zu sein. Der Staatsrat droht mit zwei formellen Einsprüchen, weil der Straßenverkehr alleine in den Zuständigkeitsbereich der Gemeinden falle, so dass ein nationales Referendum über eine hauptstädtische Straßenbahn gegen die Gemeindeautonomie verstoße. Außer[-]dem soll laut Henckes landesweit die Wählerschaft der Gemeindewahlen und nicht die auf Staatsbürger beschränkte der Kammerwahlen abstimmen, was im Widerspruch zum Referendumsgesetz von 2005 stehe. Doch die Einwände sind dürftig, da die Straßenbahnstudien fast alle aus dem Transportministerium und nicht aus der Gemeinde stammen, und das Referendumsgesetz von 2005 stellt keine höhere Rechtsnorm als ein Referendumsgesetz von 2011 dar. Das scheint auch der Staatsrat zu befürchten. Deshalb untermauert er seine ablehnende Haltung mit dem für Gesetzesgutachten ungewohnten Versuch, weniger die drei vorgeschlagenen Gesetzesartikel zu beanstanden, als Widersprüche zwischen den Artikeln und Henckes’ einleitendem Motivenbericht aufzuspüren.
Nächste Woche soll der parlamentarische Ausschuss der Institutionen und Verfassungsrevisionen das Gutachten des Staatsrats nach Argumenten abklopfen, mit denen eine Parlamentsmehrheit im Plenum ein Straßenbahnreferendum ablehnen kann, ohne als schlechte Demokraten dazustehen, die den Volkswillen missachten. Schließlich versuchen inzwischen auch die halbe CSV und die ganze LSAP, sich an der seit der Regierungserklärung von 1999 immer wieder versprochenen Volksbefragung über die große Verfassungsrevision vorbeizudrücken (d’Land, 25.2.11). Die Erfahrung lehrt nämlich, dass die meisten Referenden anders ausgehen, als geplant.