Zuerst ein paar Appetithäppchen: 30 Ländern wird im Legatum Prosperity Index 2014 hoher Wohlstand attestiert, jeweils 41 Länder rangieren in der oberen und unteren Mittelklasse und nur 30 Länder firmieren unter niedrigem Wohlstand. Weil Neuseeland bei Social Capital und persönlicher Freiheit stark zugelegt hat, konnte es weltweit auf den dritten Platz aufsteigen. Russland hat dieses Mal am schlechtesten in Europa abgeschnitten und rangiert nur noch auf Platz 68. Venezuela ist weltweit am meisten abgesackt, um 22 Plätze auf Rang 100. Die Vereinigten Staaten von Amerika stehen weltweit an zehnter Stelle. Sie sind im Wirtschaftsindex sieben Plätze auf-, im Freiheitsindex aber fünf Plätze abgestiegen. China steht weltweit auf Platz 54, in der Wirtschaftsrangliste aber auf Platz 6. Es verliert 6 Plätze beim Freiheitsindex, wo es nur Rang 117 zugesprochen bekommt. Sierra Leone ist letzter beim Gesundheitsindex, ein wesentlicher Grund, warum es, im Gegensatz zu Nigeria, Ebola nicht eindämmen konnte. Das wohlhabendste Land weltweit ist Norwegen, gefolgt von der Schweiz. Unter den 30 wohlhabendsten Ländern befinden sich 20 europäische Länder. Luxemburg steht auf Platz 16.
Die globale Sicht wird immer wichtiger. Es ist kein Geheimnis, dass Europa weltweit im Wettbewerb steht. Für die Länder der Europäischen Union genügt es schon lange nicht mehr, sich miteinander zu vergleichen, sie müssen nicht nur innerhalb der EU, sondern weltweit bestehen können. Wie die eigene Nation und die Heimatregion dasteht und, vor allem, warum das so ist, das zeigt in spannender Weise der Legatum Prosperity Index 2014.
Der Index misst seit 2007 den Wohlstand der Nationen mit Hilfe der acht Parameter Wirtschaft, Unternehmertum und Chancengerechtigkeit, Regierungsqualität, Erziehung, Gesundheit, Sicherheit, persönliche Freiheit und Social Capital. Diese acht Parameter werden am Ende zu gleichen Teilen gewichtet. 80 Prozent aller Daten, die ausgewertet werden, müssen vorhanden sein, damit ein Staat in den Index aufgenommen wird. 2007 waren es nur 50 Staaten, 2014 sind es schon 142. Die 142 Länder entsprechen 96 Prozent der Weltbevölkerung und 99 Prozent des Weltbruttosozialprodukts. Die Herausgeber sind ehrgeizig. Sie wollen nicht nur den Wohlstand messen, sondern auch die Werkzeuge aufzeigen, die die Politik anwenden kann, um den Wohlstand ihrer Nation zu erhöhen. Damit zielen sie vor allem auf die sich entwickelnden Länder. Damit beschwören sie aber auch Fragen darüber herauf, wer sie sind, welche Ideologie sie vertreten und welche Ziele sie verfolgen.
Das Legatum Institute mit Sitz in London firmiert als eine unabhängige Denkfabrik, gegründet 2009. Sie ist verbunden mit der Legatum Foundation, die seit 1999 existiert. Finanziert werden beide Organisationen durch den Neuseeländer Christopher Chandler, der 2006 in Dubai die viele Milliarden Dollar schwere Investmentfirma Legatum gegründet hat. Laut Forbes hat Christopher Chandler, Sohn eines Bienenzüchters, 1986 gemeinsam mit seinem Bruder Richard den Erlös aus dem Verkauf des elterlichen Kaufhauses in den Hongkonger Wohnungsmarkt investiert und damit die Basis für sein großes Vermögen gelegt. Sein Bruder hat den gemeinsamen Geschäftsansatz einmal so definiert: „Wir haben altruistische Motive, die manche Investoren nur schwer verstehen. Wir investieren in Werte mit einem Sinn für Verantwortung, aber wir sind keine Aktivisten.“ Die ideologische Ausrichtung ist dementsprechend liberal und marktorientiert und lässt sich am Anschaulichsten dadurch charakterisieren, dass Jeffrey Gedmin von 2011 bis 2014 das Legatum Institute geleitet hat. Gedmin war von 2007 bis 2011 Präsident und CEO von Radio Free Europe/Radio Liberty und 1997 einer der Erstunterzeichner des „Projekts für ein neues amerikanisches Jahrhundert“, eine neo-konservative Denkfabrik, die bis 2006 existiert hat. So weit, so rechts. Diese Einordung sollte aber nicht davon abhalten, den Wohlstandsindex ernstzunehmen. Seine Befunde sind immer wieder erstaunlich. Erfrischend ist die Transparenz. Schon die Studie hat eine umfangreiche Bibliographie. Zur Methodologie hat das Legatum Institute sogar eine eigene Broschüre herausgegeben.
Interessant ist der Blick auf die Entwicklung von 2009 bis 2014. Die USA haben ihren zehnten Platz gehalten, Großbritannien seinen 13. Deutschland ist vom 16. auf den 14. Rang auf-, Frankreich vom 18. auf den 20. abgestiegen, Italien sogar vom 26. auf den 35. Damit fällt es nicht mehr in die Kategorie der wohlhabendsten Länder und ist in die obere Mittelklasse zurückgefallen. Griechenland ist gar 20 Plätze auf nun Rang 56. regelrecht abgestürzt. Russland hat in diesen fünf Jahren nur zwei Plätze verloren und steht nun auf Platz 64. China hingegen ist von 58 auf Rang 51 aufgestiegen. Spektakulär ist der Aufstieg Indonesiens von Rang 85 auf Rang 67, das gleiche gilt für Ruanda, das von Rang 105 auf Rang 86 steigt. Damit tauscht es praktisch die Plätze mit Syrien, das den Preis für den Bürgerkrieg bezahlt und nur noch auf Rang 107 firmiert. Leider werden die EU und die Eurozone nicht wie ein Staat behandelt und in die Liste aufgenommen, so dass den EU-Europäern der nützliche Vergleich mit anderen Ländern vorenthalten wird.
Luxemburg hatte im Index 2014 mit 86 442 US-Dollar das höchste Bruttosozialprodukt pro Kopf aller Länder (gemessen in 2011), Zentralafrika mit 584 US-Dollar das niedrigste. Der statistische Luxemburger ist also fast 150-mal reicher als ein Zentralafrikaner. Zentralafrika ist auch das ärmste Land im Index, der Tschad das zweitärmste. Unter den ärmsten 30 Ländern befinden sich 22 schwarzafrikanische Länder, aber auch, in dieser Reihenfolge, Ägypten, Mauretanien, Pakistan, Irak, Syrien, Haiti, Afghanistan und der Jemen. Hoffnungslosigkeit ist dennoch fehl am Platze. Die Menschen Schwarzafrikas gehören zu den optimistischsten weltweit. Zehn der Länder, die sich am meisten verbessert haben, kommen aus Schwarzafrika. In Schwarzafrika hat der Wohlstand seit 2009 am stärksten zugenommen, stärker noch als in allen asiatischen Regionen. Fast gar nicht oder nur wenig verbessert haben sich Nordafrika und der Nahe Osten, Nordamerika, Europa sowie Australien und Ozeanien. Zentral- und Mittelamerika bilden das Mittelfeld.
Besonders untersucht wurde die Wohlstandsentwicklung seit der Wirtschaftskrise. Das Weltbruttosozialprodukt fiel nach Berechnungen der Weltbank von 2008 auf 2009 von 51 Billionen US-Dollar auf knapp 50 Billionen stieg 2010 auf 52 Billionen und bis 2013 auf fast 55,5 Billionen US-Dollar. Die Erholung einzelner Länder hängt nicht nur von den immer wieder eingeforderten Strukturreformen ab, sondern auch davon, über welche Regierungsqualität und über wie viel Social Capital und persönliche Freiheit ein Land und seine Menschen verfügen. Der unterschiedliche Umgang mit der Krise von Irland und Portugal, verglichen mit Griechenland und Italien unterstreicht das augenfällig. 92 Prozent aller Kanadier sagen, dass sie frei über ihr Leben entscheiden können, in Griechenland und Italien sind es nur 43 respektive 50 Prozent. Bei Social Capital bekommen auf einer Skala von -2,5 – +2,5 Italien, Griechenland und Spanien -1,2, Kanada, Frankreich, Deutschland, Japan, Großbritannien und die USA +0,65. Der weltweite Durchschnitt beträgt +0,02.
In den vergangenen sechs Jahren haben alle acht Parameter zugenommen, so gesehen ist die Menschheit auf dem richtigen Weg. Dennoch gilt, dass Statistiken mit Vorsicht zu genießen sind. Wenn einer ein Huhn isst, ein anderer aber gar nichts, so haben beide statistisch ein halbes Huhn gegessen und der schnelle Leser denkt, sie wären beide satt. Zweifelhaft ist auch, ob man mit Reformen das Social Capital erhöhen kann, wie es der Index suggeriert. Hier gilt wohl eher, was über die Demokratie oft gesagt worden ist, die von Voraussetzungen lebe, die sie nicht selbst geschaffen habe.
Dennoch, ohne Zahlen und Statistik ist unsere Welt weder versteh- noch regierbar. Deshalb schließen wir diesen Artikel hiermit: Die Wahrnehmung, ob es möglich ist, eine Arbeit zu bekommen, ist in Griechenland mit drei Prozent weltweit am niedrigsten. Wer ein Geschäft aufziehen will, sollte dies in Slowenien tun, denn dort hat er null Prozent Kosten. Isländer haben mit 94 Prozent das höchste Vertrauen in Wahlergebnisse. In Luxemburg glauben 98 Prozent, dass Kinder in Gesellschaft lernen. Die höchste Lebenserwartung hat mit 83,5 Jahren Hongkong. Nur 19 Prozent aller Venezolaner fühlen sich in der Dunkelheit allein sicher auf den Straßen. Bosnien und Herzegowina verzeichnet mit 39 Prozent die geringste Zufriedenheit mit persönlichen Wahlmöglichkeiten. In den USA geben 80 Prozent an, dass sie im letzten Monat einem Fremden geholfen haben, auch das der höchste Wert weltweit.
Ohne den Legatum Prosperity Index 2014 hätten wir all dies niemals erfahren. Sind wir jetzt reicher?