Wie sich Luxemburg zwischen seinen beiden großen Nachbarn, das heißt, wie es oft zwischen den Stühlen sitzt, ist eine Frage, die älter ist als die Erfindung seiner nationalen Identität. Michel Rodange verspottete die Sitzakrobatik als Opportunismus: „Fransous och beim Champagner, / Beim Rhäinwäin si mer Preiss“, Batty Weber überhöhte sie zur „Mischkultur“. Die politische Kultur ist dagegen nicht vermischt: Das Herz der Linken und der Arbeiterbewegung schlägt stets für Frankreich, die Heimat der Revolutionen, der Résistance und von Mai ’68. Das liberale Bürgertum schwärmt für die antiklerikale Republik und demonstriert seine Disctinction sociale mittels der Langue de Voltaire, sogar wenn es gerade sein Geld mit dem Zollverein oder der Deutschen Bank verdient. Die Rechte, die Kirche und die ihnen ergebene Bauernschaft sprechen, Protestantismus hin oder her, lieber deutsch, halten es mit preußischer Disziplin und lassen sich von CDU-Kanzlern als Juniore adoptieren. Auch die Grünen sind ein Spross aus dem mythischen deutschen Wald.
So sympathisieren viele Luxemburger heftig bei Wahlen in den großen Nachbarstaaten – belgische Innenpolitik bleibt für sie ein Buch mit sieben Siegeln – und rechnen sich die Auswirkung des Wahlergebnisses auf die heimischen Verhältnisse aus: Cattenom, Bankgeheimnis, Autobahnmaut, Kerneuropa... Bei den Präsidentschaftswahlen am Sonntag in Frankreich fällt das Sympathisieren so schwer, wie lange nicht mehr. Das französische Parteiensystem ist nur noch ein Scherbenhaufen, zerbrochen an einer gesellschaftlichen Pattsituation, weil die einen nicht mehr wollen und die anderen nicht mehr können, nämlich aus der bald einzigen Atommacht der Europäischen Union ein deutsches Musterländle der Euro-Zone zu machen.
Der amtierende Präsident François Hollande traute sich nicht, noch einmal zu kandidieren, seine Sozialistische Partei hat ihren aus einer Urabstimmung hervorgegangenen Kandidaten Benoît Hamon prompt fallengelassen. Auf der Rechten brachte eine Urabstimmung mit François Fillon einen Kandidaten hervor, den zuerst der Parteiapparat und nach Bekanntwerden seiner zahlreichen Affären auch die Parteibasis nicht unterstützen. Die einst in der Regierung vertretenen Grünen hat das Schicksal der früher mächtigen Kommunisten ereilt. Im Vergleich zu den französischen Schwesterparteien sind die Luxemburger Parteien ein Hort der Stabilität, weil sie durch das Entern fremder Besteuerungsgrundlagen bis auf weiteres ein deutsches Musterländle der Euro-Zone verwalten dürfen.
So wurde mit Emmanuel Macron ein karrieristischer Nachwuchspolitiker aus dem Stall Rothschild zum Favoriten des liberalen Bürgertums, der Unternehmer, der Europäischen Zentralbank, des Internationalen Währungsfonds und damit auch der Luxemburger Regierung. Dem einfachen, sich von der Linken verlassen fühlenden Volk dient sich die negationistische Familie Le Pen mit dem Versprechen an, für seine seit Jahren zunehmende Armut noch ärmere Sündenböcke zu finden. Selbst der rechte Rand der ADR meidet lieber eine solche Familie. Vom Zusammenbruch der Linken will auch der ehemalige sozialistische Minister Jean-Luc Mélenchon profitieren, dessen Wucht als Volkstribun von déi Lénk bewundert wird. Die größte Partei, die der Nichtwähler, wird am Sonntagabend dank Wahlzwang hierzulande keine Schwesterpartei haben.
Die Meinungsumfragen und Wahlprognosen drohen wieder falsch zu liegen, und seit Brexit und Donald Trump hält man sich besser mit Vorhersagen zurück. Die Entscheidung fällt sowieso erst in vierzehn Tagen und anschließend bei den Parlamentswahlen im Juni, wenn der neue Präsident eine Mehrheit in der Assemblée nationale braucht.