Über die Sexualerziehung sei nicht gesprochen worden, hieß es auf Land-Nachfrage nach der Sitzung der Arbeitsgruppe Bildung am vergangenen Dienstag. Die Gespräche drehten sich vor allem um den strittigen Punkt Sekundarschulreform (siehe nebenstehenden Text). Auch der Punkt Kinderbetreuung, die womöglich in das Bildungsressort eingegliedert werden soll, kam nicht mehr zur Sprache und soll am heutigen Freitag, sowie eventuell am Montag, diskuiert werden.
Dabei ist die Sexualerziehung vielleicht etwas, das die neue Regierung aus DP, LSAP und Grünen doch einmal genauer unter die Lupe nehmen sollte. Am 17. Juli, also kurz vor der Sommerpause, als eigentlich schon klar war, dass es Neuwahlen geben wird, hatte die CSV-LSAP-Regierung, genauer die sozialistische Unterrichtsministerin Mady Delvaux-Stehres, Parteikollege Mars Di Bartolomeo, CSV-Gleichstellungsministerin Françoise Hetto-Gaasch und ihr Kollege vom Familienministerium, Marc Spautz, noch schnell eine Absichtserklärung zur „affektiven und sexuellen Erziehung“ unterschrieben. Es geht um die sexuelle Gesundheit von Kindern in der Schule und daheim, aber auch von Erwachsenen, die mit Hilfe eines landesweiten Aktionsplans besser gefördert werden soll.
Die Minister versprachen in ihrer Erklärung unter anderem, „de renforcer dans une approche intersectorielle et multidisciplinaire les partenariats existants et de stimuler la création de synergies nouvelles“ auf verschiedenen Ebenen. Die reichen von der Schulmedizin, über den Sexualkundeunterricht in der Schule, die Lehrerausbildung, bis zur Aufklärungsarbeit in den Kindergärten, beim Betreuungspersonal, in den Vereinen, der Altenbetreuung und vieles andere mehr.
Lesen sollte die neue Regierung aber vor allem die „Grundprinzipien“, die das nationale Programm festhält, auf dem auch der Aktionsplan 2013-2016 aufbaut. Demzufolge umfasst der Begriff Sexualität l’„ensemble des caractéristiques physiques qui différencient les sexes, les invidus mâles et femelles ayant la finalité de la reprodction des espèces“. Und: „Ensembles des mécanismes de reproduction physiologiques et psychologiques en lien avec le comportement sexuel, englobant le comportement de reproduction (dans un but de copulation), de comportement érotique (dans le but de la stimulation du corps et des organes génitaux)“. Erst nach diesen Prioritäten finden auch die affektiven und emotionalen Aspekte von Sexualität bei den Autoren Beachtung.
Es ist nicht nur die lustfeindliche biologistische Sprache, die an Schulbücher aus den 1950-er Jahren erinnert, die aufhorchen lässt, sondern die Überbetonung der Reproduktion als Zweck von Sexualität. In Zeiten von Überbevölkerung, sich wandelnden Geschlechterrollen, Teenage-Schwangerschaften, von raschem Sex im Internet klingen diese Grundprinzipien nicht nur altbacken und naiv, sondern geradezu wie eine Rückkehr zur Hochzeit der katholischen Sexuallehre. Im weiteren Verlauf des Papiers, das auf der Webseite des Unterrichtsministeriums eingesehen werden kann, werden weitere Definitionen von Sexualität, etwa der Weltgesundheitsorganisation WHO, geliefert. Die klingt bedeutend neutraler – und zeitgemäßer. Demnach umfasse Sexualität „einen zentralen Aspekt des Menschseins, über die gesamte Lebensspanne hinweg, der das biologische Geschlecht, die Geschlechtsidentität, die Geschlechterrolle, sexuelle Orientierung, Lust, Erotik, Intimität und Fortpflanzung einschließt“.
Es geht nicht bloß um Semantik. Wer den Akzent in seinem Grundsatzpapier auf die Reproduktion legt, setzt womöglich bei der Umsetzung eher auf Verhütung, auf Schwangerschaftsberatung und Aufklärung im Rahmen des Biologieunterrichts. Das ist nicht per se falsch, aber gerade das ist ein Problem des Luxemburger Sexualkundeunterrichts: dass er oft eben nicht über die mehr oder weniger sensible Erläuterung der Sexualorgane und reproduktiven Mechanismen hinausgeht. Es fehlen Mittel und Knowhow, um eine kontinuierliche professionelle Aufklärungsarbeit zu betreiben, die Spaß macht, keine Tabus kennt und sich an alle richtet, unterschiedliche Lebensentwürfe und sexuelle Orientierungen eingeschlossen.
Im Aktionsplan selbst, der von Organisationen wie dem schulpsychologischen Dienst CPOS, der Aidsberatung, von Planning Familial und anderen ausgearbeitet wurde, ist von einer übergreifenden Gesundheitspolitik und Sexualaufklärung die Rede, nicht nur in Schulen, auch in Kindergärten und Jugendhäusern. Zum Teil gibt es sie schon. Sie soll integraler Bestandteil der Lehrerausbildung werden. Dann aber bitte nach den Grundsätzen der WHO und nicht entlang einer Sexualmoral, die zumindest auf dem Papier nach Weihrauch und Mottenkugeln müffelt.
Vernetzung wird, auf dem Papier, groß geschrieben. Wobei sich die Ressourcenfrage stellt: Wer eine bessere Aufklärungsarbeit verspricht, wer mehr Kooperationen der Akteure beabsichtigt, muss auch die nötigen Ressourcen dafür bereitstellen. Da heißt eben nicht nur, die Pille für Frauen unter 25 Jahren und Kondome zur Verfügung zu stellen, sondern mehr Personal einzustellen, mehr Weiterbildungskurse zu organisieren, mehr Informationsmaterial zu verteilen.