Pressedaten

Die Krise ist angekommen

d'Lëtzebuerger Land vom 30.09.2010

„Mit Spannung warten Redaktio­nen, Verleger und Werbewirtschaft Jahr für Jahr auf die neuen Zahlen der Studie ‚TNS-Ilres-Plurimedia’“ über die Leserzahl der Luxemburger Presse, berichtete das Luxemburger Wort im Juli 2009 aufgeregt. Um so enttäuschter müssen seine Leser im Juli 2010 gewesen sein, als sie auf die neuen Zahlen warteten. Denn die Verlagshäuser Saint-Paul, Editpress und die RTL-Werberegie IP, welche die vom Staat bezuschusste Umfrage über die Reichweite ihrer Medien in Auftrag geben, hatten beschlossen, auf das jährliche Pressekommunikee zu verzichten.

Die Marktforschungsfirma TNS-­Ilres betont auf Nachfrage, dass sie das Kommunikee mit den von ihr ermittelten Reichweitenzahlen zwar jedes Jahr unter ihrem Namen verbreite, aber dass es die Verleger als zahlende Kunden seien, die darüber entschieden. Was die Ursache anbelangt, weshalb die Zahlen unter Verschluss gehalten werden, gibt es bei den Interessenten unterschiedliche Erklärungen und eine kleine Neigung, der Konkurrenz die Verantwortung zuzuschieben: Es gebe Meinungsverschiedenheiten über die Stichprobe der Umfrage, der Rückgang mancher Zeitungen sei beschämend oder der Wechsel der Satellitenfrequenz habe Fernsehzuschauer abgeschreckt.

Aber vielleicht ist der nicht ganz souveräne Umgang mit den Umfrageergebnissen das Indiz dafür, dass die Krise der Presse mit der gewohn­ten Verspätung nun endgültig in Luxemburg angekommen ist (d’Land, 23.4.10). Darauf deutet die Entwicklung der Rechweite der beiden größten Tageszeitungen hin, über die als einzige mehr als zehn Prozent der Befragten angaben, das entsprechen­de Blatt gerade gelesen zu haben. Trotz aller Versuche, den Lesererwartungen entgegen zu kommen, das Angebot zu vergrößern oder das Format zu verkleinern, verzeichneten Luxem­burger Wort und Tageblatt im Laufe des zurückliegenden Jahrzehnts einen stetigen Rückgang. Er führte dazu, dass das Luxemburger Wort, das vor 15 Jahren noch eine Reichweite von 62 Prozent aufweisen konnte, inzwischen auf 41 Prozent gefallen ist. Das Tageblatt, das noch vor zehn Jahren eine Reichweite von 22 Prozent hatte, ist heute bei 12 Prozent gelandet.

Einen Teil ihrer Leser verloren Luxemburger Wort und Tageblatt anfänglich an die Konkurrenz aus dem eigenen Haus, ihre französischsprachigen Schwesterzeitungen La Voix du Luxembourg beziehungsweise Le Quotidien. Doch zumindest letztere gewann keine neue Marktanteile, sondern ist die Fortsetzung der Lokalausgabe des Républicain Lorrain. Und beide Titel müssen mittlerweile ebenfalls einen Rückgang ihrer Reichweite feststellen, unter anderem weil sie ihrerseits Leser an die Konkurrenz aus dem eigenen Haus verloren, die Gratisblätter L’Essentiel und Point24. So dass beide Verlage in den letzten Jahren insgesamt weniger Tageszeitungen verkauften.

Nicht minder besorgniserregend ist die Entwicklung der tatsächlichen verkauften Auflage im zweiten Quartal 2010, wie sie das Brüsseler Centre d’in­for­ma­tion sur les médias (Cim) für die Zeitungen und Zeitschriften von Saint-Paul und Editpress feststellte, die einschließlich der Gratiszeitungen über 95 Prozent der Gesamtauflage der Luxemburger Presse ausmachen:

2/2009 2/2010

Lux. Wort 69 253 68 079 –1,70 %.

La Voix 4 438 4 234 –4,60 %.

Tageblatt 15 855 15 077 –4,91 %.

Quotidien 5 089 4 667 –8,29 %.

Le Jeudi 2 923 2 736 –6,40 %.

Revue 19 375 18 352 –5,28 %.

Télécran 32 760 31 846 –2,79 %.

Die Verlage und Redaktionen versuchen mit unterschiedlichen Mitteln, wie schriller Berichterstattung, Synergien, Internet und Nebeneinkünften, ihre Auflagen oder zumindest Bilanzen zu stabilisieren, aber die Erfahrung im Ausland lehrt, dass es keine Patentlösung gibt. Zwar sind viele Luxemburger Tageszeitung besser gerüstet als ausländischen Titel, um der Branchenkrise zu begegnen, weil sie gleichzeitig nationale Zeitungen, Lokalzeitungen und Parteiblätter mit einem hohen Anteil an Abonnenten sind, was eine größere Loyalität der Leser bedeutet. Aber ein struktureller Auflagenrückgang, um den es sich inzwischen handeln dürfte, führt zu gefährlichen Rückkoppelungen. Denn eine geringere Auflage bedeutet weniger Ver­kaufserlös und niedrigere Anzeigentarife, also den Zwang zu Einsparungen, das heißt weniger Journalisten und weniger Seiten, also ein geringeres Interesse der Leser, also ein weiterer Rückgang der Auflage undsoweiter...

Romain Hilgert
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