Eine Zeitschrift, die nur für Ärzte gemacht wird – kann das funktionieren in Luxemburg? Der Markt dafür ist schließlich beschränkt: der Ärzteverband AMMD zählte Ende vergangenen Jahres 1470 Ärzte und 396 Zahnärzte hierzulande.
Aber schon im März 2008 erschien zum ersten Mal das Monatsmagazin Semper Luxembourg, das sich ausschließlich an Mediziner und Apotheker wendet. Seinem Chefredakteur Eric Mertens darf man unterstellen, dass er weiß, worauf er sich eingelassen hat. Als er Semper Luxembourg vor zwei Jahren aus der Taufe hob, konnte er auf eine siebzehnjährige Laufbahn als Medizinjournalist und Verlagsmanager zurückblicken. Zuvor hatte der studierte Allgemeinmediziner im Raum Namur dreieinhalb Jahre lang eine eigene Praxis betrieben. Im Frühjahr 2008 war er Chef der Medizin-Sparte bei Roularta, dem größten Medienkonzern Belgiens.
Und zum Portfolio der Roularta-Gruppe gehörte auch Semper, ein Lifestyle-Magazin auf Hochglanzpapier. Es war nicht für eine bestimmte Facharztdisziplin konzipiert, wie die anderen Medizin-Titel von Roularta, sondern für die gesamte belgische Ärzteschaft.
„Semper Luxembourg war jedoch nie als eine Kopie von Semper Belgique geplant“, sagt Mertens. „Es war von Anfang an selbstständig und sollte Lesern in Luxemburg möglichst viele luxemburgische Inhalte anbieten.“ Auch ein Roularta-Produkt sollte die Zeitschrift nie sein. Eher ein Privatvorhaben von Mertens: Für die Titelnutzungsrechte von Semper erwarb er von Roularta eine Lizenz, und verlegt wird die Zeitschrift von der in Mamer ansässigen DSB Communication s.a., der Mertens als Generaldirektor und seine Ehefrau Corinne Rosman als einzige Verwaltungsrätin vorstehen. Fast könnte man die Herausgabe der Zeitschrift für ein Familienprojekt halten.
Mertens gefällt dieser Gedanke. Vor allem seine Ehefrau, die wie er in Lüttich Medizin studierte, verbinde viel mit Luxemburg. Sie stamme aus einer Arloner Familie, in der Areler Platt gesprochen wurde. Die Eltern zogen mit ihr nach Luxemburg-Stadt, sie ging hier zur Schule und legte ihr Abitur am Athenäum ab. „Eine ganze Zeit lang“, sagt Mertens, „erwogen wir, uns als Ärzte in Luxemburg niederzulassen.“
Letzten Endes aber ist das Interesse des Verlegerpaars Mertens-Rosman an Luxemburg doch mehr geschäftlich als nostalgisch. Wie groß der Erfolg von Semper hierzulande wird, könnten allerdings die „luxemburgischen Inhalte für Luxemburger Leser“, die Eric Mertens so betont, ganz wesentlich miteintscheiden.
Denn Semper ist ein Business-to-Business-Produkt und wird jeden Monat an 450 Allgemeinmediziner, 870 Spezialisten, 220 Zahnärzte und 140 Apotheker gratis versandt. Folglich muss die Sorge des Verlegers und Chefredakteurs nicht der Entwicklung des Kiosk-Verkaufs oder der Abonnentenzahlen gelten. Ohnehin darf Semper nicht frei verkauft werden: In Ärztezeitschriften steht Arzneimittelreklame, und die muss von Gesetz wegen auf ein Fachpublikum limitiert sein. Aber wenn der Gratisvertrieb an einen beschränkten Leserkreis für Semper nicht über kurz oder lang zum Entwicklungshindernis werden soll, muss Mertens die Werbeeinnahmen, aus denen Semper sich ausschließlich finanziert, weiter steigern.
Ausgerechnet in Luxemburg stehen die Chancen dafür gar nicht mal schlecht. In Belgien, bilanziert Mertens, sei der Markt an Pharma-Reklame in den letzten Jahren um über zehn Prozent jährlich geschrumpft. Das liege daran, dass im Nachbarland die Zahl der Allgemeinmediziner und die der Spezialisten etwa gleich groß seien. Dadurch würden Anzeigen für spezialisierte Pharmaka zunehmend nur noch in Spezialisten-Zeitschriften geschaltet. Leidtragende dieser Entwicklung seien Magazine, die für Allgemeinmediziner produziert werden.
In Luxemburg sei die Lage anders: Hier gebe es zwar pro Einwohner ähnlich viele Spezialisten wie in Belgien, aber rund zweieinhalb mal weniger Allgemeinmediziner. Folglich finden spezialisierte Pharma-Anzeigen hierzulande ihren Weg in Magazine für die ganze Ärzteschaft. Für diese will, was Nicht-Insider kaum bemerken dürften, nicht nur Semper da sein. Und es überrascht nicht, dass Konkurrenzprodukte vor allem aus Belgien kommen. Doch keine dieser Zeitschriften, die ebenfalls gratis versandt werden, sei „so luxemburgisch“ wie Semper, sagt Mertens, und das ist Strategie: Wer luxemburgische Inhalte anbietet, der wird beweisen können, dass sein Produkt auch gelesen wird.
Luxemburgischer zu sein als die anderen, heißt in der Praxis beispielsweise, auf den 44 Seiten jeder Ausgabe neben einem großen medizinischen Dossier und Kurzberichten von Fachkonferenzen ein ausführliches Personenporträt anzubieten. Darin werden Mediziner nicht nur als praktizierende Ärzte oder Krankenhauschefs erkennbar, sondern auch als Amateursportler, Kunstsammler oder in Entwicklungsländern Engagierte. „Geschichten über Ärzte, die die anderen Ärzte kennen, kommen sehr gut an in Luxemburg“, weiß Mertens. Dasselbe gelte für die Beiträge zur Luxemburger Medizingeschichte, die seit vergangenem Herbst neu im Blatt sind. Und weil das Gros der Luxemburger Ärzte aus Freiberuflern besteht, lässt Mertens Semper vor allem auf Freiberufler-Interessen eingehen: Mit einem Finanzteil sowie mit Politik-Beiträgen, in denen danach gefragt wird, was im Zuge der von der Regierung geplanten Gesundheitsreform aus der ärztlichen Therapie- und Verschreibungsfreiheit wird, oder ob die Tripartite wohl, wie die Arbeitgeberverbände es fordern, eine „Kulturrevolution“ hin zu niedrigeren Lohnstückkosten beschließen werde.
Die Redaktion, die Eric Mertens zur Umsetzung seiner inhaltlich hohen Ambitionen zur Verfügung steht, ist allerdings noch klein. Neben ihm selbst zählt sie derzeit eine Sekretärin und einen Art Director. Texte, die Mertens nicht bei Freelance-Journalisten im grenznahen Raum in Frankreich und Belgien in Auftrag geben kann, schreibt er selbst – in Ermangelung frei schaffender Luxemburger Autoren.
„Noch kann ich nicht von Semper leben“, sagt Mertens lakonisch. Das muss er auch nicht, denn neben seinem Luxemburger Ärztemagazin verfolgt er noch einige andere Projekte. Bei Roularta aber schied er vor einem Jahr als Verlagsdirektor aus und widmet Semper Luxembourg nun mehr Zeit.
Vielleicht auch, um von Luxemburg aus seinen Arbeitgeber von einst zu erinnern, was für ein Erfolgsmodell Semper sei: Die belgische Zeitschrift wurde von Roularta im Frühjahr vergangenen Jahres vom Markt genommen. Was für Mertens eine falsche, eine typische „Konzern-Entscheidung“ war: Mit dem Anzeigenmarkt habe sie nichts zu tun gehabt; Roularta habe im Zuge der Wirtschaftskrise die Personalressourcen für seine vielen Medizin-Titel rationeller strukturieren wollen. Aber dennoch: Semper sei in Belgien bis zuletzt sehr erfolgreich gewesen. Noch in einer letzten Analyse ihrer Leserreichweite habe die Zeitschrift es auf beeindruckende 57 Prozent unter den Allgemeinmedizinern gebracht.