Die CSV wird Oppositionspartei

Merci an awar

d'Lëtzebuerger Land vom 15.11.2013

Eines der lustigen Paradoxa der Politik ist, dass rechte Parteien wie die CSV und viele ihrer konservativen Schwesterorganisationen in anderen Ländern sich immer wieder als oberste Vertreter von Law and Order darstellen, sie aber in Wirklichkeit deutlich weniger legalistisch als linke oder liberale Parteien sind. Das gilt vor allem, wenn es um die Machtfrage geht. Es hat vielleicht mit einem Gefühl der Schwäche oder einer gewissen Naivität linker und liberaler Parteien zu tun, aber es hat vor allem damit zu tun, dass rechte Parteien und die Dauerregierungspartei CSV mehr als alle anderen überzeugt sind, dass sie einen natürlichen Anspruch auf die Macht haben.

Rechte Parteien sind nicht weit davon entfernt, ihren demjenigen der katholischen Kirche nicht ganz fremden Führungsanspruch als Ausdruck eines irgendwie Verfassung und Gesetz übergeordneten Naturrechts zu empfinden. Bewusst oder möglicherweise sogar unbewusst halten sie ihre Herrschaft für den Normalzustand und einen Machtverlust für eine pathologische Abweichung vom ordnungsgemäßen Lauf der Welt. Das führt sie, wie nun gerade der CSV geschehen, immer wieder in Versuchung, andere Parteien, die an die Macht kommen, in die Nähe von Usurpatoren und Putschisten zu rücken. So geschehen während der merkwürdigen Pressekonferenz, bei der Präsident Michel Wolter und Vizepräsident Claude Wiseler kurz nach den Wahlen ihre wütende Ratlosigkeit in Abwesenheit des müden Spitzenkandidaten und des vorsichtigen Generalsekretärs vorführten.

Doch spätestens nächsten Monat, wenn die neuen Minister vor laufenden Fernsehkameras vereidigt werden und Xavier Bettel in Jean-Claude Junckers abgenutztes und verrauchtes Büro einzieht, wird es der CSV dämmern, dass sie tatsächlich die Macht verloren hat. Wenn dann laut Parteisatzung spätestens neun Monate nach den Wahlen die Parteigremien neu besetzt werden müssen, wird unter anderem der Parteipräsident die Verantwortung für die Niederlage übernehmen müssen, die er hartnäckig als Sieg darzustellen versuchte. Weil dann die Macht einen kurzen Augenblick auf der Straße liegt, trauen sich nun wieder CSJ-Aktivisten und Nachwuchspolitiker, das Erbe Jean-Claude Junckers mit denselben Rufen nach Öffnung, Demokratie und Modernisierung zu beanspruchen, wie einst die Werner- und dann die Santer-Erben.

Die Partei, die mit der harmonischen Losung „Mir mam Premier“ in den Wahlkampf gezogen war, hat bereits – und angesichts diverser Affären nicht nur zu Unrecht – in Jean-Claude Juncker den Hauptschuldigen ihres Unglücks ausgemacht. Nun scheint endlich der Augenblick gekommen, um seine durch allerlei Verirrungen der europäischen Politik immer wieder aufgeschobene Nachfolge zu regeln. Deshalb kann Jean-Claude Juncker sich seit Tagen kaum noch der Mitleidsbekundungen erwehren, des widerlichsten aller Versuche, moralische Überlegenheit zu demonstrieren. Die Parteifreunde stehen Schlange, die ihm öffentlich wünschen, dass er doch noch einen seinen Talenten angemessenen internationalen Posten möglichst weit weg von zu Hause bekleiden kann. Rasch vergessen ist, dass es Jean-Claude Juncker war, der die 1989 begonnene Erosion der CSV aufzuhalten und zu verhindern wusste, dass sie zu einer Partei wie all die anderen wurde – was ihr nun wieder blühen könnte.

Die Verhandlungen über die Zeit nach Juncker ist auch eine Verhandlung über die politische Ausrichtung der größten Partei im Land, über den Einfluss eines rechtsliberal-technokratischen, eines volkstümlich-gewerkschaftsnahen, eines klerikal-konservativen Flügels und anderer Gesinnungen in der Volkspartei. Doch die Nachfolgeregelung wird dadurch nicht einfacher, dass Junckers potenzielle Thronfolger inzwischen in einer kaum besseren Verfassung als er selbst sind.

Romain Hilgert
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