Auch die neue DP/LSAP/Grünen-Mehrheit hatte darauf verzichtet, Großherzog Henri zur Eröffnung der Legislaturperiode und zur Verlesung einer Thronrede ins Parlament einzuladen. Im Zuge eines national bewegten Remonarchisierungsversuchs hatten CSV und DP 2001 dieses Ritual nach 124 Jahren wiederbelebt, aber es schlecht gedankt bekommen und rasch abgeschafft.
Trotzdem schien die Eröffnung der außerordentlichen Kammersession am Mittwoch ungewöhnlich. Schließlich kommt es nur jedes halbe Jahrhundert vor, dass die CSV nicht den Ton angibt, sondern kleinlaut auf der Oppositionsbank sitzt.
Wie zum Schulanfang nach der Sommerpause gaben sich deshalb alle Beteiligten am Mittwoch demonstrativ gut gelaunt. Obwohl die geschäftsführenden CSV-Minister und CSV-Kammerpräsident Laurent Mosar wussten, dass sie Minister und Erster Bürger auf Abruf waren, sie in einem Monat wieder simple Abgeordnete sein werden. Eine Gewissheit, die noch einigen LSAP-Minster fehlt, welche dem Ruf nach Erneuerung in ihrer Partei zum Opfer zu fallen drohen und sich sicherheitshalber schon nach einer prestigevollen Ersatzbeschäftigung im Parlament, im Staatsrat, in Europa oder der Privatwirtschaft umsehen.
Nach dem Regierungswechsel düften zu den sieben Neulingen – Yves Cruchten, Franz Fayot und Dan Kersch von der LSAP, Corinne Cahen und Lex Delles von der DP, Justin Turpel (déi Lénk) und Roy Reding (ADR) – noch einige weitere Berufsanfänger nachrücken.
In den nächsten Wochen werden dann auch alle Fraktionsvorsitzenden ausgewechselt, angefangen am kommenden Montag bei der CSV-Fraktion, die Jean-Claude Juncker zu ihrem Präsidenten wählen will. Die bisherigen liberalen und grünen Fraktionssprecher sollen Minister werden, der sozialistische wurde nicht mehr wiedergewählt.
Verfassungsgemäß wurde die konstituierende Kammersitzung am Mittwoch zur symbolischen Überprüfung der Wahlergebnisse unterbrochen. Formateur Xavier Bettel nutzte gleich die Gelegenheit für eine Photo op auf der Regierungsbank mit seinem künftigen Vorgänger, Premier Jean-Claude Juncker. So führten beide vor, wie sie sich, frei von Affekten, im Interesse des Landeswohls zusammenzusetzen verstehen, nachdem sie sich am Tag nach der Wahl gegenseitig auszutricksen versucht hatten.
Nach der Vereidigung der ersten 46 Abgeordneten – der Rest folgt nach dem Abgang der geschäftsführenden Regierung in einem Monat – redete die ehemalige Erziehungsministerin des konservativen „back to basics“, Anne Brasseur (DP), als Alterspräsidentin ihren Kollegen ins Gewissen. Unter Berufung auf einen Satz aus den Réflexions sur une démocratie sans catéchisme von Camus rief sie die Abgeordneten, die nach dem Sturz der alten Regierung in ihrer Mehrheit den Wechsel und Aufbruch verkörpern sollen, zur christlichen Tugend der Bescheidenheit auf.