Oh oh! Gilles Gardulas Brille scheint förmlich „Achtung, kreativ“ zu schreien, in der Art wie die Brille des grünen Abgeordneten Claude Turmes immer „Achtung, politisch korrekter, grüner, frauenverstehender Baby Boomer“ schrie. Auf den ersten Blick völlig lächerlich.
Seine Sehhilfe hat der Industriedesigner Gilles Gardula selbst entworfen. Oco Eyewear heißen seine Brillen. Beim Weihnachtsmarkt von Lëtz go local hat er die ersten verkauft, geliefert werden sie in Kartonschachteln, die von Insassen der Schrassiger Haftanstalt gefertigt werden. Sie werden aus hautverträglichen Polymeren auf einem 3-D-Printer gedruckt. „Das ist das einzige meiner Produkte, das ich nicht in Luxemburg produzieren kann“, bedauert Gardula. Eigentlich sollten seine Kunden die Brillen selbst am 3-D-Drucker herstellen können. Aber das Material, frei von Allergenen und recyclierbar, sei zu fragil für die DIY-Methode. Werde es falsch weiterverarbeitet, verändere es sich, wenn es der Sonne ausgesetzt wird. „Es dehnt sich aus, dann werden die Gläser locker.“ „Schweiß“, fügt er hinzu, sei ein nicht zu unterschätzendes Problem. Also zieht er es vor, die Brillenteile von Profis drucken zu lassen.
Angefangen hat Oco Eyewear mit der Idee, eine widerstandsfähige Kindersportbrille zu entwerfen. Ein Bekannter von Gardula, Chinese, habe Probleme, hier in Europa eine passende Brille zu finden, weil seine Gesichts- und Kopfform nicht dem westeuropäischen Standard entspreche. So entstand die Idee der Brille nach Maß zum Krankenkassentarif, sprich 120 Euro. Das Ziel hat der Designer nur um ein paar Euro verfehlt. Als Franchise soll Oco Eywear an Luxemburger Optikergeschäfte verkauft werden. Findet ein Kunde keine passende Brille im Sortiment, kann er mit Gardula einen Termin zum Maßnehmen ausmachen. Er zeichnet dann das 3-D-Modell, die Teile werden gedruckt und von Luxemburger Optikern montiert. Die kreisrunde Form der Gläser erlaube es, sie auch bei hohen Dioptrien möglichst dünn zu schleifen und damit das Gewicht zu mindern und den Tragekomfort zu steigern. „Eine ergonomische Entscheidung“, die Form sei dabei eher Nebensache gewesen. Gardula selbst braucht ziemlich dicke Gläser, erklärt er. Seine Brille ist plötzlich weniger lächerliche Zierde, denn ein gut durchdachtes Produkt.
Fünf Jahre hat Gardula, der eigentlich Architekt werden wollte, Industriedesign an der Cambre in Brüssel studiert. Entdeckt hat er sein Fach erst beim Besuch der Uni, als der Schlossersohn Studenten herumwerkeln sah und fragte: „Was machen die da?“ Die Ästhetik steht für ihn bei gutem Industriedesign nicht an erster Stelle. Für Gardula stehen qualitative und soziale Werte im Vordergrund. „Nichts gegen die Eliten“, sagt er entschuldigend. Aber gute Produkte nach ökologischen Kriterien, lokal zu einem für die breite Masse erschwinglichen Preis herstellen zu lassen, das sei sein Ziel, wenn das dazu noch in einer schönen Form möglich sei, umso besser. „Ein Disasterprojekt für einen Geschäftsmann“, lacht er.
Eine ansteckende Energie geht von ihm aus, wenn er darüber spricht, die Worte fließen nur so aus ihm heraus. Er glaubt daran. Und er engagiert sich dafür, dass in Luxemburg das Bewusstsein für gutes Design wächst und dafür, den Austausch zu fördern. Zum Beispiel in der Vereinigung In Progress, die in ihren Ausstellungen neuen, jungen Designer die Möglichkeit gibt, sich vorzustellen. Er arbeitet an einem Konzept, wie er frischgebackenen Uniabsolventen Verträge als freie Mitarbeiter seiner Firma G Design geben kann, um sie für sich arbeiten zu lassen und sie mit Aufträgen zu versorgen, bis sie bereit sind, ihr eigenes Studio aufzumachen. „Ich habe in den letzten Jahren alles dafür getan, um von meinem Beruf als Industriedesigner leben zu können“, stellt Gardula fest. Noch reicht es nicht aus. Aber nicht nur deshalb unterrichtet er im Lycée technique des arts et métiers digitale Produktion, ein Modul, an dessen Ausarbeitung er beteiligt war. Dass er vor seiner schicksalhaften Visite an der Cambre noch nie etwas von Industriedesign gehört hatte, hat ihn geprägt. Er will anderen die Möglichkeiten aufzeigen, die es gibt.
An seinem Küchentisch in der Wohnung über dem Schlosseratelier seines Vaters sitzend, sagt er: „Das ultimative Ziel wäre, hier eine echte Manufaktur aufzubauen, die auch von anderen genutzt werden könnte.“ Wie ein Atelier, eine Werkstube stellt er sich das vor, wo Materialien getestet und Prototypen gebaut werden können. Er zeigt auf den Arbeitsbereich am anderen Ende des Raums, sein Büro, wo er alleine arbeitet. „Das ist das Schwierigste überhaupt. Sich ständig kritisch mit sich selbst auseinanderzusetzen.“ Auch deshalb sucht er den Austausch mit anderen, versucht die Gemeinschaft zu fördern. Er sucht nach stimulierendem Input.
Vielleicht liegt es daran, dass er in einem Schlosserbetrieb aufgewachsen ist – „deshalb weiß ich, wie diese Leute funktionieren“. Oder daran, dass er nicht selbst herstellt und auf die Handwerker angewiesen ist, um seine Ideen umzusetzen. Gardula verfügt scheinbar über ein großes Netzwerk an Handwerkerm, kennt hier jemanden, der das kann, da jemanden, der dies kann. Er redet mit viel Enthusiasmus von den Betrieben, mit denen er zusammenarbeitet. Zum Beispiel der Gießerei Massard aus Kayl, bei der er Gos hat herstellen lassen, seine Abschlussarbeit. Gos ist ein Gasherd aus Gusseisen, mit allerlei Funktionen, die Hobbyköchen professionelles Kochen ermöglichen und dabei noch Energie spart. Weil der Herd bisher nicht homologiert ist – Gardula hätte ihn an große Hersteller im Ausland verkaufen können, doch das wollte er nicht, ihm fehlen Zeit und Geld dafür – hat er Gos 2.0, entwickelt. Eine gusseiserne Platte, die auf den Gasherd gelegt wird und so aufgrund ihrer hohen Wärmespeicherkapazität als energiesparende Kochplatte genutzt werden kann oder zum Grillen. Auf dem Tisch kann sie zum Warmhalten von Speisen eingesetzt werden. Neun Kilo wiegt Gos 2.0, das gibt ordentlich Dellen in den Fußboden, wenn sie herunter fällt. „Die Platte dünner und damit leichter zu machen, war nicht möglich, ohne sie nach dem Gießen nacharbeiten zu müssen“, erklärt Gardula. Für das Gos-Projekt hat er viel recherchiert, Spitzenköche besucht, sich mit ihnen über Techniken und Anforderungen unterhalten. Guss gehört für den jungen Mann, der aus seinem Wohnzimmer Ausblick auf den letzten stehenden Hochofen in Belval hat, zum Luxemburger Technik- und Kulturgut. Deshalb ist Gos vielleicht das Projekt, das seinen Anspruch der lokalen, ethischen, hochwertigen Produktion am besten umsetzt.
200 Euro kostet eine Gos 2.0 von denen er 25 hat produzieren lassen. Eine Stange Geld vielleicht, aber im Vergleich zu einem Kochtopf von Le Creuset vergleichsweise günstig, wenn man dazu noch bedenkt, dass sie in limitierter Stückzahl in Kayl gegossen wurde. „Stellen Sie sich mal vor, wie günstig die Platte wäre, hätte ich tausend davon machen lassen.“ Verkaufen tut Gadula Gos wie seine anderen Produkte – abgesehen von den Brillen – nur direkt, über seine Webseite oder auf Messen, um zu verhindern, dass die Preise steigen, weil Zwischenhändler und Geschäftsleute ihre Marge draufschlagen. Ob er auf diesem Weg die nötige Nachfrage generieren kann, bleibt abzuwarten.
Bei den hohen Löhnen zu günstigen Preisen mit Luxemburger Betrieben produzieren, mag vielen als Oxymoron erscheinen. Dass dem so ist, liegt laut Gilles Gardula auch daran, dass sie vor allem Einzelstücke herstellen, kaum jemand in Serie nach vorgefertigten Formen arbeitet. Auf seinem I-Pad zeigt er Fotos eines Gestells, das er im Atelier des Familienbetriebs selbst zusammengeschweißt hat. Es ist die Form, die der Schreinerbetrieb Moma aus Bissen benutzen soll, um das Holz für den Computertisch zu formen, den Gardula und Moma-Chef Guy Masselter im April vorstellen wollen. „Denken sie an ein Eames Chair“, sagt er, um zu erklären, wie die geschwungenen Kanten des Tischs, der gleichzeitig Computergehäuse sein wird, aussehen sollen. „Tisch und Computer mit Bildschirm zusammen sollen ungefähr so viel kosten, wie ein I-Mac“, sagt er, „nur dass es bei uns einen hochwertig verarbeiteten Tisch dazu gibt.“ Möglich sei das, weil der Computer, der im Tischgehäuse verschwinden soll, nur aus Standardteilen besteht, statt dass wie bei Apple Miniaturkomponenten verwendet werden. „Die Form war das Schwiergiste“, erzählt er. Er musste zwei Versuche starten. „Doch wenn sie erst einmal richtig ist, kann sie immer wieder benutzt werden.“ Formen zu nutzen, sagt Gardula, sei eine Möglichkeit, Luxemburger Betrieben Aufträge und damit Arbeit zu geben, ohne dass der Faktor Arbeit zu teuer wird. Ende Dezember soll ein erster Prototyp des Computer/Schreibtisch fertig sein.