In einem Punkt ist Paul Krier formell. „Wir haben als Handwerkskammer von Anfang an die Reform unterstützt, den modularen Unterricht ebenso wie die Ausrichtung auf Kompetenzen.“ Damit, hofft Krier, würden mehr Jugendliche ins Handwerk finden – und dort ihren beruflichen Weg machen. Der Sous-Directeur der Handwerkskammer und Verantwortliche für die Berufsausbildung beobachtet die Entwicklung am luxemburgischen Arbeitsmarkt seit längerem mit Sorge: „Luxemburg braucht mehr und höher qualifizierte Handwerker.“ Die im November 2008 verabschiedete Reform der Berufsausbildung war für ihn überfällig.
Allerdings gebe es einen Wermutstropfen. „Wir sehen die berufliche Orientierung in der Schule als ein Schlüsselmoment. Wenn sie nicht klappt, kann auch das beste Ausbildungssystem nicht viel ausrichten.“ Gegen eine Reform der beruflichen Orientierung hatten sich unter anderem das Ministerium und die für die schulische Orientierung verantwortlichen schulpsychologischen Dienste (Spos und C-Pos) gesträubt: mit der Änderung des C-Pos-Gesetzes vor fünf Jahren waren gerade erst neue Spielregeln eingezogen worden. Nach der Veröffentlichung des OECD-Berichts zur Berufsorientierung von 2002, der insgesamt eine schlechte Note ausstellte, wurde das Forum de l’orientation gegründet. Dort sitzen Vertreter aus den Berufskammern, dem Salariat, dem Ministerium, dem C-Pos und der Adem zusammen. Ihre Überlegungen sollen Ende September vorgestellt und zu einer nationalen Strategie gebündelt werden.
Auch bei der Umsetzung der Großreform hat die Handwerkskammer Abstriche hinnehmen müssen: „Wir hätten eine Pilotphase lieber gesehen. So wurde die Reform überstürzt“, klagt Krier, der aber nach vorne schauen will. Seine Sorge, die komplexe Umstellung des Berufsunterrichts auf Module und Kompetenzen könnte die Betriebe überfordern, scheint berechtigt: Weil noch immer nicht alle Programme Lehrpläne vorliegen, starten ab dieser Rentrée nur 19 Vorzeigeberufe, so genannte Formations phares. Für Januar ist ein erstes Feedback über die Praktikabilität des neuen Modularunterrichts angesetzt.
Die Betriebe in dem 65 000 Beschäftigten umfassenden Sektor, warnt Paul Krier, seien nervös. Denn auch bei den 19 Prototypen weiß eigentlich niemand so genau, ob das, was in Profilen und Programmen festgehalten wird, sich so im Klassenraum umsetzen lässt. Andererseits sind Berufe wie der Schreiner dringend reformbedürftig, die Lehrpläne veraltet. Mit den Modulen und der Kompetenzorientierung soll der alte Mief gelüftet und moderne Lehrmethoden Einzug in den Berufsunterricht halten.
Einfach wird das nicht, ist Krier überzeugt: „Für so fundamentale Änderungen braucht es einen Mentalitätswechsel und der lässt sich nicht per Gesetz verordnen.“ Das sei ein Prozess, und das brauche Zeit. Optimistisch stimmt den Funktionär, dass die Kontakte zwischen Schule und Arbeitswelt mit der Reform enger geknüpft wurden. In den Équipes curriculaires, die die Lehrpläne erstellen, hat die Handwerkskammer bewusst nur Praktiker entsandt, die mit beiden Beinen im Beruf stehen. „Die wissen, wovon sie reden.“ Was die Handwerker an beruflichem Know-how besitzen, fehlt ihnen in der Didaktik. „Sie brauchen ganz praktische Anleitungen, wie sie ihr Praxiswissen in Lehrpläne umsetzen sollen“, meint Krier, der den Ansatz „zu hundert Prozent begrüßt“. Mit dem sei die alte „falsche Hierarchie“ korrigiert: Statt vom Unterricht auszugehen, würde nun zunächst nach dem Anforderungs- und Berufsprofil geguckt, dann die Inhalte definiert und erst zum Schluss die didaktischen Methoden und Lehrpläne erstellt.
Das ist für den Sektor eine nicht zu unterschätzende Kraftanstrengung, denn für die Generalüberholung der Berufsausbildung gilt dasselbe wie für die Grundschulreform: Der Umbau ist eine Großbaustelle, die sich aus vielen kleineren Baustellen zusammensetzt: validation des aquis, Berufsorientierung, lifelong learning. Für all diese Teilstücke gibt es Kommissionen, in denen Vertreter der Arbeitgeber, des Ministeriuma, der Lehrer und der Arbeitnehmer beraten – und dann ist da noch das Tagesgeschäft: die Examensprüfungen, die Betreuung und Begleitung der Lehrlinge.
Vor allem kleinere Handwerksbetriebe stoßen da an ihre Grenzen. Um dennoch eine optimale Beteiligung zu ermöglichen hatte die Handwerkerkammer bei den Beratungen zum Gesetz eine Reorganisation vorgeschlagen: mit nur einer Programmkommission, in der dann professionelle Vertreter der Berufskammer säßen, die sich mit den Betrieben absprechen könnten. Die Idee wurde vom Unterrichtsministerium aber aus organisatorischen und aus Kostengründen nicht zurück behalten.
Und dann drückt die Kammer noch ein Schuh: Das CCP-Zeugnis, das die praktischen Ausbildungen CCM und CITP ablösen wird, sei „ein Amalgam aus beiden. Uns wäre das alte System, dann aber nur mit dem CCM, lieber gewesen.“ Die geringere Qualifikation CCP ist auch für das Ministerium das Sorgenkind. Bei den Betrieben kommen sie nicht gut an – weil sie wenig nachgefragt würden, beharrt Krier. Allerdings haben zur Rentrée 2009/2010 insgesamt über 300 Jungen und Mädchen einen CCM- oder CITP-Lehrvertrag, die Mehrzahl davon im Handwerk, unterschreiben können. Etwa so viele CCM-CITP-Lehrplätze waren von den Betrieben bei der Adem gemeldet worden.
Fakt ist aber auch, dass es eine Schieflage auf dem Lehrstellenmarkt gibt: In manchen Sparten suchen Unternehmen händeringend nach Lehrlingen mit DAP-Abschluss. Gleichzeitig wächst die Anzahl der Kandidaten für CITP- oder CCM-Ausbildungen. Nic Alff vom Unterrichtsministerium, Leiter der Abteilung Berufsausbildung, ist überzeugt: „Niedrigqualifizierte werden auch in Zukunft gebraucht.“ Das Ministerium wüscht sich in dem unteren Lohnsegment mehr und neue Ausbildungsangebote. Dem werde sich die Handwerkskammer nicht verschließen, sagt Krier: „Wir haben da keine Ideologie“, so der Funktionär, der sich eine „gemeinsame Initiative“ vorstellen kann. Ein Prinzip aber steht für ihn fest: „Den Kern der Berufsausbildung bildet das DAP-Diplom.“