Das ökonomische Fear of missing out war am Dienstag in der Handelskammer während der Lux-AI-Hub-Pressekonferenz mit den Händen zu greifen. „Le Luxembourg doit agir sans délai“, steht fettgedruckt im Handout der Handelskammer. Die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes beruhe maßgeblich auf dem Einsatz digitaler Technologien – Luxemburg müsse „agir vite, fort et de façon coordonnée“. Fett hervorgehoben steht darin ebenfalls: „Le Luxemburg doit affirmer des ambitions fortes.“ Gérard Hoffmann, Generaldirektor von Proximus Luxemburg und Mitglied des Verwaltungsrats des ICT-Luxemburg, forderte während der Konferenz, die Regierung solle aktiv werden, damit Luxemburg auf der Weltbühne als KI-Hub wahrgenommen wird. Ihm schwebt Nation Branding rund um das Thema künstliche Intelligenz vor. „Luxemburg könnte sich anderen Ländern auch als Laboratorium anbieten – ausländische Unternehmen könnten ihre Produkte hier testen.“ Unter anderem so könne man die hiesigen Filialen dazu bewegen, dass sie ihre Mutterhäuser motivieren, KI-Projekte hier anzusiedeln. Die technologischen Umbrüche seien derart zentral, dass der Premier sie zur „Chefsache“ erklären soll, so Hoffmann weiter. Zumindest in seiner Rede zur Lage der Nation vor einer Woche sparte CSV-Premier Luc Frieden nicht mit KI-Visionen. Luxemburg wolle führend bei Künstlicher Intelligenz werden, dozierte er am Rednerpult der Chamber; man werde durch Pionierleistungen im Bereich Datenökonomie auf sich aufmerksam machen. Deshalb sollen drei Milliarden Euro in den folgenden sechs Jahren aus öffentlichen und privaten Quellen in die KI-Transformation fließen.
Im Handout der Handelskammer empfiehlt diese, der KI den bedrohlichen Charakter zu nehmen, „afin de maximiser les retombées économiques“. Sind Ängste vor möglichen Jobverlusten nicht berechtigt? Carlo Thelen verneint in einem Anschlussgespräch: „Pénibel a repetitiv Aarbechte kënnen ersaat ginn“, will er optimistisch stimmen. Er denke an Fliesenleger, gefährliche Bauarbeiten oder Lastwagenfahrer. Doch wo werden Geringqualifizierte anschließend auf dem Arbeitsmarkt fündig – der Spielraum für eine berufliche Umorientierung dürfte für sie begrenzt sein. „Sie können dann körperlich weniger fordernde Berufe ausüben“, betont Carlo Thelen die Vorteile der Automatisierungsindustrie. Gérard Hoffmann sieht nicht in erster Linie Umwälzungen im Handwerkssektor, sondern im Administrations- und Finanzbereich. „Aber auch hier braucht Luxemburg keine Arbeitsplatzverluste zu befürchten. Die KI kann nämlich unseren Mangel an Talenten ausgleichen, Prozesse beschleunigen und so die Produktivität erhöhen.“ Erhöht sich die Wettbewerbsfähigkeit, würde man zugleich attraktiv für „Toptalente“. „Es mag kontraintuitiv klingen, aber die KI bringt nicht anspruchslosere, sondern anspruchsvollere Jobs hervor, weil Arbeitnehmern durch KI mehr abverlangt wird“, ist Hoffmann zuversichtlich, dass Luxemburg als Gewinner aus der Tech-Umwälzung hervorgeht.
Allerdings liegen bereits dunklere Prognosen bezüglich des Arbeitsmarktes vor. Laut einer Analyse von Goldman Sachs dürfte generative KI weltweit dreihundert Millionen Vollzeitarbeitsplätze gefährden. Starke Verluste verzeichnet aktuell bereits die Informatikbranche; die US-Regierung beobachtete, dass in den vergangenen zwei Jahren etwa ein Viertel der Programmierposten eingestampft wurden. Die Direktorin der Adem Isabelle Schlesser sagte vergangene Woche in einem Land-Interview, Junior-Informatiker seien nicht mehr gefragt, es würden höhere Fachkenntnisse verlangt, eine Entwicklung, die durchaus mit künstlicher Intelligenz zusammenhängen könnte. Daron Acemoglu, Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger, legte in der MIT News und Harvard Business Review dar, dass KI nur unter bestimmten Bedingungen die wirtschaftliche Produktivität und menschliches Wohlbefinden voranbringe. Derzeit sei dies aber kaum der Fall, denn der Fokus liege vordergründig auf Automatisierung und nicht auf der Vermittlung von Fachwissen. Schädliche Auswirkungen habe KI zudem, wenn sie „menschliches Nachforschen und Erfahrungslernen“ entmutigt, also kognitive Passivität auslöst. Erste Hinweise auf eine solche Nebenwirkung liegen vor: In der Zeit erschien vor drei Wochen ein Artikel, der nahelegt, die Fähigkeit des deep-reading, des konzentrierten Lesens, würde bei jungen Erwachsenen nachlassen. Andere Autoren wie Erik Brynjolfsson vom Stanford Institute for Human-Centered AI meinen, man befinde sich auf einem Pfad, der die Tech-Oligarchie ermächtigt, große Abhängigkeiten der Nutzer zu schaffen und die Verhandlungsposition von Arbeitnehmern zu schwächen. Denn für Uber, Meta und Amazon ist Robotik, KI und Softwareautomatisierung mindestens genauso attraktiv um Arbeitsplätze wegzurationalisieren, als Arbeit angenehmer zu gestalten.
Ihrem Handout stellte die Handelskammer zwar eine vielversprechende Zahl voran: Einer Studie zufolge könne das BIP zwischen 2028 und 2034 in Luxemburg um neun Prozent steigen. In einer Konstellation allerdings, in der menschliche Arbeit fortlaufend durch performante Maschinen entwertet wird und Tech-Unternehmen ihre Monopolstellung halten können, wird der BIP-Mehrwert jedoch kaum in den Taschen der Arbeiterschaft landen. Die Schere zwischen Arm und Reich wird durch KI sehr wahrscheinlich weiter auseinanderklaffen. Das kann demokratiegefährdende Auswirkungen haben: Hohe Ungleichheit fördert Populismus und Rechtsradikalismus. Hinzu kommen Trollfarmen, die auf die Verbreitung von Falschmeldungen aus sind, sowie Algorithmen, die die Social-Media-Sucht der User ankurbeln.
„Natierlech ass d‘Thema kënschtlech Intelligenz iwwerall am Moment“, leitete die Justiz- und Beigeordnete Medienministerin Elisabeth Margue (CSV) am Montagmorgen eine Pressekonferenz ein. Und es sei eben auch in der aktuellen Regierung angekommen. Chat-Gpt begleite „uns im Alltag, im Büro, am Handy und im Privatleben“. Man lerne Begriffe wie GPU und welche geopolitischen Herausforderungen damit zusammenhängen. Gemeinsam mit Digital- und Hochschulministerin Stéphanie Obertin (DP) und Wirtschaftsminister Lex Delles (DP) führte Margue in die neue Strategieinitiative für „digitale Souveränität“ ein. Der Grundtenor war wie auch in der Handelskammer derart zuversichtlich, dass jeglicher Spielraum für kluges Abwägen verloren ging. Die Regierung steht unter Zugzwang und ignoriert dabei die Kehrseiten der neuen Technologien. Vielleicht wollte man so den Appell vorwegnehmen, den die Handelskammer am Dienstag formulierte – der Staat solle Luxemburg als wirkmächtigen Akteur im KI-Umfeld präsentieren, um Investoren anzuwerben.
Um dieses KI-Umfeld herzustellen, sagte das Ministertrio am Montag, stünden sechs Hebel zur Verfügung: Unter anderem wolle man „Talente“ anziehen – „dat ass evident“, so Margue. Die Universität müsse Prompter und Programmierer liefern und durch „Upskilling und Reskilling“ könnte man das zur KI-Software passende Personal ausbilden. Damit schließlich Unternehmen und Dienstleister adäquat von KI profitieren könnten, müssten sie bei der Umsetzung ihrer Projekte begleitet werden – die AI-Factory solle dabei die Brücke zwischen Wirtschaft und staatlich finanzierter KI-Forschung herstellen. Elisabeth Margue nennt sich und ihr Ministerium einen „First Mover“; Luxemburg sei das erste Land, das einen Gesetzesentwurf des EU-AI-Act vorgelegt hat. Darüber hinaus hält die Regierungsbroschüre fest, Luxemburg arbeite an Digital-Technologien „centrées sur l‘humain“. Und Margue versprach am Montag: „KI wird den Menschen nicht ersetzen, er wird immer die ultimative Kontrolle behalten.“
Die Strategie der Regierung sei es, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Das gehe Hand in Hand mit einer Förderung von Innovation und Wettbewerbsfähigkeit durch Daten – den „Rohstoff“, mit dem KI angetrieben wird, versicherte die Digitalministerin Stéphanie Obertin. Und auch sie trumpfte mit einigen Anglizismen auf - die „Daten-Literacy“ müsse allgemein in der Arbeitnehmerschaft erhöht werden. Unter anderem so könne man sich durch eine „smarte Datennutzung“ von größeren Ländern abheben. Eine zentrale administrative Anlaufstelle solle die Daten „verarbeiten und bereitstellen“. Sie schwärmt von einer effizienten Datennutzung, die die Reaktivität der öffentlichen Dienstleistungen, Forschung und Unternehmen steigere – „am Déngscht vum Mënsch“. Der Staat wolle für „digital Souveränität“ sorgen und die Kontrolle über seine Daten behalten, diese optimieren sowie „Innovation stimulieren und Lösungen für soziale, politische und ökonomische Herausforderungen“ finden. Künftig könne man „neit Wësse méi séier erschléissen a ganz nei Froestellungen ugoen“.
Die Wirtschaftslobby auf dem Kirchberg strebt ebenfalls eine ungesund anmutende Koppelung von Wissenschaft und Wirtschaft an. So beklagte Gérard Hoffmann, die Kommerzialisierung von Wissen komme nicht voran; die Uni sei zwar „exzellent“ – aber sie bringe kaum Start-ups hervor. Wer Wissenschaft allerdings vordergründig als profitables Geschäft gestaltet, vernachlässigt möglicherweise Fragestellungen die das Gemeinwohl betreffen sowie langfristig angelegte Grundlagenforschung, die für die Medizin wichtig ist. Aber die Handelskammer will, dass die Unternehmen kaum Distanz zu Wissenschaft und Staat halten; sie fordert auch einen verstärkten Zugang zu öffentlichen Daten, um neue KI-Modelle zu trainieren.
Einige Flagship-Projekte der Regierung klingen in der Tat vielversprechend. Premier Frieden erläuterte während der Rede zur Lage der Nation, ein KI-Sprachmodell werde demnächst Gesetzgebungen bürgergerechter vermitteln und bei Behördenanfragen helfen. Wirtschaftsminister Lex Delles führte weitere Anwendungen von KI an, wie zeitnahe Berechnungen des Elektro-Netzwerks, um dessen Belastung besser auszutarieren, sowie präzisere Vorhersagen zu Klimaimpakten durch Datenauswertungen des europäischen Meteodienstes Kopernikus. Im Bereich der Gesundheit, der Bildung und des Umweltschutzes können die neuen Technologien Lösungen herbeiführen. Aber sie sind ambivalent, sie können auch ein Sicherheitsrisiko darstellen; aus Expertenkreisen heißt es, KI-basierte Biowaffen und automatisierte Waffen seien eine massive Bedrohung. Das Ministertrio sagte es am Montag nicht, aber die Handelskammer am Dienstag: „Die größte Anwendung wird wohl in der Verteidigungsindustrie stattfinden.“
Zumindest öffentlich scheint die Regierung die Herausforderung des Doppelcharakters der neuen Technologien nicht wirklich anzugehen. Sie sieht sich unter Zugzwang und „et geet drëm vir mat bäi ze sinn“, erklärte Lex Delles am Montagmorgen, deshalb investiere der Staat ebenfalls in Quantentechnologien. Sie seien noch „mysteriös“, so wie es die KI vor zehn Jahren war. „Haut ass se nach wäit ewech, se wäert awer an Zukunft kënne Fënsteren opmaachen“, verspricht Delles. Wer rechtzeitig investiere, könne Vorreiter werden. Die Handelskammer ihrerseits beklagte das risikoaverse Investitionsklima in Europa. Wer zu schnell oder falsch investiert, kann sein Geld an der Tech-Front jedoch gnadenlos verbrennen. Manchmal lohnt sich deshalb die europäische Abwartepolitik – abwarten, bis die Preise fallen. Auf Fachblogs wird derweil spekuliert, ob ein KI-Winter bevorstehe: Ob also auf den aktuellen Hype-Zyklus eine Phase der Ernüchterung folgt – mit sinkenden Finanzierungsvolumen und nachlassender Forschungsaktivität.