Europas Schuldenkrise wird seit 2010 im Grunde nur von zwei Personen gemanagt: von Bundeskanzlerin Angela Merkel und von Frankreichs Präsidenten Nicolas Sarkozy. Dass das so ist, liegt nicht daran, dass beide so begabte Krisenmanger wären, sondern schlicht an der Größe ihrer jeweiligen Volkswirtschaften und an den Kosten und Risiken, die sie bereit sind, für die Rettung der Griechen zu schultern. Für die übrigen Mitglieder der Euro-Zone ist das eigene Schweigen Ausdruck von Hilflosigkeit und mangelnden Handlungsmöglichkeiten. Merkel und Sarkozy scheint das durchaus recht zu sein. Ihnen reicht es offensichtlich, wenn sie die ihre jeweiligen Positionen erfolgreich miteinander abstimmen können, wie sie das zum Beispiel im Herbst 2010 in Deauville getan haben, als es um die Änderung des Stabilitätspaktes ging.
Beim informellen EU-Finanzministertreffen am vergangenen Wochenende im polnischen Breslau segnete der Ministerrat die neuen Stabilitätsregeln ab. Seit Deauville hat das fast ein Jahr gedauert, so langsam managt die EU die Schuldenkrise. Der Grund für die Verzögerung: Merkel und Sarkozy wollten sich lange nicht den verschärften Sanktionsmechanismen des Europäischen Parlaments (EP) beugen. Am Ende mussten sie es doch – teilweise. Damit nutzt das EP den neuen Spielraum, den es durch den Lissabon-Vertrag in wirtschaftlichen Fragen erhalten hat, von Anfang an konsequent. Merkel und Sarkozy hatten dies nicht auf ihrer Rechnung. Sie könnten sich auch noch in einer anderen Frage verkalkulieren. Es ist keineswegs sicher, dass sich ihre nord- und osteuropäischen Partner auf Dauer so devot verhalten werden wie in den vergangen zwölf Monaten. Es würde nicht nur der Debattenkultur der EU, sondern womöglich auch ihrer Politik gut tun, wenn politische Gegensätze nicht mehr mit dem Knüppel, die deutsch-französischen Lösungsvorschläge seien alternativlos, durchgesetzt würden.
Nicht gesichert ist die Umsetzung des bereits beschlossenen zweiten Rettungspakets für Griechenland und die Einführung des Europäischen Stabilitäts-Mechanismus (ESM) 2013, der so etwas wie ein europäischer Währungsfonds werden soll. Die Ratifizierungsbemühungen laufen. Da jedes Land ein Vetorecht hat, reicht ein einziges Nein zum Scheitern. In den Niederlanden, Österreich und der Slowakei haben die Parlamente noch nicht Ja gesagt, für die Finnen dagegen scheint man eine Lösung gefunden zu haben. Sie bekommen ihr Pfand, werden dafür aber nicht an den Zinsgewinnen der Kredite an Griechenland beteiligt.
Die niederländische Regierung ist auf Duldung von Rechtspopulist Geert Wilders angewiesen, der kürzlich einen Wahlkampfauftritt für eine neue rechtspopulistische Gruppierung im Berliner Landeswahlkampf dazu benutzt hat, seine Partei klar als europakritisch zu positionieren. Noch schwieriger wird es in der Slowakei. Hier spricht sich Parlamentspräsident Richard Sulik klar gegen die Ratifizierung aus. Sein Wort hat Gewicht, seine liberale Partei „Freiheit und Solidarität“ ist Mitglied der Regierungskoalition. Die slowakische Regierung hatte das erste Griechenlandpaket abgelehnt, dieses Mal will sie aber zustimmen.
Richard Sulik hält das für einen schweren Fehler. In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeine Zeitung zeigt er sich entschlossen, europaweit Widerstand gegen die Griechenlandhilfen zu organisieren. Er weist zu Recht darauf hin, dass sich die Slowakei zweimal alleine aus einer Wirtschaftsmisere befreien musste. Für Sulik ist es nur recht und billig, Griechenland pleite gehen zu lassen. Für ihn ist es pervers, von Solidarität zu sprechen, wenn die Slowakei und mit ihr die meisten osteuropäischen Länder schärfere Anpassungsprogramme durchgeführt haben als Griechenland bis heute bereit ist umzusetzen. Die Slowakei ist das zweitärmste Land der EU, in manchen Regionen ist ein Drittel der Menschen arbeitslos und dennoch soll das Land 7,7 Milliarden Euro in den ESM einzahlen. Misst man die Einzahlungen an der Wirtschaftskraft, tragen die ärmeren Länder relativ größere Lasten als die reichen.
Auch Polen, obwohl nicht Mitglied der Euro- Zone, schaltet sich immer wieder in die Diskussionen ein. Es hat schon für Unmut gesorgt, weil es als Land, das in diesem Halbjahr die EU-Präsidentschaft führt, die Teilnahme an den Sitzungen der Euro-Zone verlangt hat. Der polnische Finanzminister Rostowski hat Deutschland im August schon aufgefordert, entweder den Euro zu retten oder die ordentliche Abwicklung auf den Weg zu bringen. Premier Tusk ist konzilianter. Er arbeitet weiterhin daran, dass Polen 2015 dem Euro beitreten kann. Er will sein Land auch währungspolitisch eindeutig positionieren, nicht zuletzt gegenüber Russland. Auch Lettland und Litauen wollen dem Euro nach wie vor beitreten, sie peilen 2014 an. Bulgarien und Rumänien werden es wohl frühestens 2015 schaffen, Tschechien und Ungarn wollen sich noch Zeit lassen.
Die osteuropäischen Beitrittskandidaten haben ebenfalls Anspruch auf Solidarität. Sie haben seit 1989 einen langen wirtschaftspolitischen Leidensweg hinter sich, können aber die Früchte ernten. Verglichen damit, jammert Griechenland noch immer auf hohem Niveau.