Dass Premier Xavier Bettel (DP) eine parlamentarische Anfrage zur Krankenhauspolitik erhält, ist ungewöhnlich. Am Mittwoch vergangener Woche aber bekam er eine, ausgerechnet vom LSAP-Abgeordneten Mars Di Bartolomeo, bis 2013 Gesundheitsminister und seit 2018 Vorsitzender des parlamentarischen Gesundheitsausschusses.
Di Bartolomeo will von Bettel wissen, was die Regierung von dem Vorschlag hält, den die Verwaltungsratspräsidenten der vier großen Krankenhausgruppen unterbreitet haben: Schaffung einer „zentralen Struktur“, um auf eine Epidemie wie Covid-19 reagieren zu können. Die „Struktur“ würde zum einen den Bestand an Schutzausrüstung aus der nationalen Reserve verwalten, den die Spitäler in einer Epidemie benötigen. Zum anderen erhielte sie für schwer Erkrankte hundert Intensivbetten. Alles offenbar nicht an einem bestehenden Spital, sondern an einem Standort für sich. Dazu würden Centre hospitalier de Luxembourg (CHL), Centre hospitalier Emile Mayrisch (Chem), Centre hospitalier du Nord (CHdN) und die Hôpitaux Robert Schuman (HRS) einen gemeinnützigen Verein gründen.
Eigentlich sind Spitalvorhaben Sache der Gesundheitsministerin, was Mars Di Bartolomeo natürlich weiß. Doch nicht nur Paulette Lenert (LSAP) erhielt einen Brief mit der Absichtserklärung der vier Verwaltungsratsvorsitzenden, sondern auch Finanzminister Pierre Gramegna (DP), Sozialminister Romain Schneider (LSAP), Verteidigungsminister François Bausch (Grüne) und – der Premier. Alle gleichzeitig. Das ist ebenfalls ungewöhnlich. Es macht die Angelegenheit zu einer für die gesamte Regierung. Vielleicht der Covid-Seuche und des Notstands wegen, so dass alles ganz schnell gehen müsste?
Jean-Louis Schiltz scheint das so zu sehen. Der frühere CSV-Minister ist Präsident der Robert-Schuman-Krankenhausstiftung. „Sagt die Regierung, unsere Idee ist gut, fangen wir an“, erklärt er dem Land. Damit meint er vor allem das Spezialkrankenhaus. Covid-19 habe bewiesen, wie schwer es ist, Spitäler auf Epidemie-Betrieb umzustellen: Chirurgische Eingriffe wurden verschoben, ambulante Analysen abgesagt, nur dringende Behandlungen vorgenommen und Notfallmedizin natürlich. „Heute dagegen ist es nicht leicht, zum Normalbetrieb zurückzukehren.“ Die Spezialklinik wäre für „schwere Fälle“ da, für Patienten, die Intensivbehandlung und vielleicht künstliche Beatmung benötigen. So etwas zu haben, mache „absolut Sinn“.
So ähnlich sieht das auch Jean Feidt, Verwaltungsratschef am CHdN. Er berichtet jedoch, am Anfang habe nicht die Idee gestanden, eine Epidemie-Klinik müsse her. Vielmehr hätten Gesundheitsministerin Lenert und Luc Feller, der Hochkommissar für nationale Sicherheit, die vier Präsidenten kontaktiert, um zu beraten, wie nach Aufhebung des Notstands die nationale Reserve an Schutzausrüstung verwaltet werden soll. Weil die Ausrüstung im Krisenfall sowieso an die Spitäler geht, habe Paulette Lenert vorgeschlagen, dass die den Bestand übernehmen. „Nach dem Treffen haben wir unter uns weiterdiskutiert: Brauchen wir nicht eine spezielle Klinik für schwere Fälle? Und wenn ja, sollten wir die Ausrüstung nicht ebenfalls dort zentralisieren, sie wiederauffüllen, wenn etwas zur Neige geht?“ Die Logistik zu übernehmen, sei quasi beschlossene Sache. Die Klinik dagegen sei lediglich ein „Denkanstoß“. Schon möglich, dass die Regierung Nein dazu sagt. „Dann machen wir das eben nicht.“
Am CHL heißt der Verwaltungsrat Verwaltungskommission. Ihr Präsident Paul Mousel weiß ebenfalls davon zu berichten, wie schwer es war, „im März innerhalb von nur einer Woche die Spitäler auszuräumen, von den Patienten heimzuschicken, wen wir heimschicken konnten“. Und: „Kommt eine neue Infektionswelle, finden wir nie in den Normalbetrieb zurück. Ist das den Spitälern zuzumuten?“ Andererseits glaubt Mousel nicht, dass die Spezialklinik-Idee sich rasch realisieren ließe. „Da besteht noch ganz, ganz viel Diskussionsbedarf.“ Und fiele eine positive Entscheidung, würde der Bau vermutlich zwei bis fünf Jahre dauern. „Schließlich wäre das keine Klinik zum Aufblasen, sondern etwas Solides, wie wir in Luxemburg zu bauen gewohnt sind.“
Zwei bis fünf Jahre – damit wäre die Klinik nicht gerade eine Hilfe gegen die Seuche, die momentan umgeht. Interessanterweise scheinen die Geister der Präsidenten sich in diesem Punkt zu scheiden. Jean-Louis Schiltz findet, dass auch über eine kurzfristige Lösung nachgedacht werden sollte. Denn im Herbst könnten die Covid-19-Fälle wieder zunehmen und damit auch die Zahl der schwer daran Erkrankten. Paul Mousel dagegen macht die Aussicht, vielleicht erneut in den Krisenmodus gehen zu müssen, plötzlich gar keine so großen Sorgen: „Kann sein, dass Coronavirus kommt dann massiv zurück. Vielleicht aber auch nicht, das erste Sars-Virus verschwand 2003 plötzlich. Kann auch sein, von so einem Markt wie in Wuhan kommt was anderes. Ich habe keine Ahnung. Ich höre so viel.“
Vielleicht weiß Mousel als der dienstälteste Präsident einer Krankenhaus-Trägerorganisation am besten, wie politisch die Spezialklinik-Idee der Präsidenten-Viererbande ist und wie abwegig auf den ersten Blick: Keine drei Monate ist es her, dass Premier Bettel in seinen Covid-Pressebriefings von den diplomatischen Mühen sprach, die die Regierung auf sich nahm, um zu verhindern, dass die Nachbarländer ihr Gesundheitspersonal beschlagnahmt und Luxemburg mit seiner starken Abhängigkeit von Grenzpendler-Pflegern und -Ärzten in eine „Katastrophe“ gestürzt hätten. Diese Gefahr würde ein Extrakrankenhaus mit 100 Intensivbetten, immerhin 60 Prozent mehr als die laut staatlichem Spitalplan landesweit 169, nicht gerade kleiner machen.
Ist die Idee also realistisch? „Wir sind keine Experten“, räumt Jean Feidt ein, der im Hauptberuf am Neuropsychiatrischen Krankenhaus in Ettelbrück das an die Klinik angegliederte Altenheim und die Sozialdienste leitet. Mousel ist wie Schiltz Geschäftsanwalt. Präsident des Chem ist Georges Mischo, Sportlehrer und Escher député-maire der CSV. Er reagierte auf die Anfrage des Land um ein Gespräch nicht. Gedanken, wie man die Personalfrage für das Projekt lösen könnte, haben die vier sich aber gemacht. Weil ein Epidemie-Spital nicht immer benötigt würde, sollen die 100 Intensivbetten „lits dormants“ sein. Das Personal, sagt Paul Mousel, könnte entweder aus einem „Reserve-Bataillon“ kommen, „zum Beispiel pensionierte Gesundheitsberufler, die noch fit sind, vielleicht 57 Jahre alt“. Oder die Spitäler würden Personal dafür abstellen. „Die Personalfrage ist ganz wichtig und nicht leicht zu beantworten.“
Dass sie nicht leicht zu beantworten sein wird, dafür haben die vier unter anderem selber gesorgt. Jedenfalls wenn die Antwort am Ende auf einen solidarischen Kraftakt aller Kliniken hinausliefe. Ihr „Brainstorming“, wie Mousel es nennt, haben die Präsidenten allein unternommen, es fand nicht im Krankenhausverband FHL statt. Das könnte noch für Krach sorgen, werden die Spitäler doch allesamt über ein Globalbudget der CNS finanziert. Sich über eine Idee, die zu einem Extraspital führen könnte, innerhalb der FHL abzustimmen, müsste eigentlich dem guten Ton entsprechen. Hat es in dem Fall aber nicht. Mousel begründet das damit, dass „es nur vier große Akutspital-Gruppen gibt, die spezialisierten Krankenhäuser sind eher Nischen-Player“. FHL-Präsident Paul Junck wollte sich dazu nicht äußern: „Im Moment kommuniziere ich zu diesem Thema nicht“, schrieb er dem Land in einer E-Mail. Was vielleicht darauf hindeutet, dass sich schon ein Sturm zusammenbraut.
Und noch sind nicht mal die vier Krankenhausgruppen, um die es vor allem geht, einheitlich informiert. Während Jean-Louis Schiltz erklärt, er liege mit Claude Schummer, dem Generaldirektor der Schuman-Spitäler, „auf einer Linie“, hatte Paul Mousel zumindest Anfang der Woche noch nicht einmal seine Verwaltungskommission über den Denkanstoß an die Regierung ins Bild gesetzt. Der Buschfunk am CHL aber scheint darüber schon berichtet – und informelle Reaktionen ausgelöst zu haben, wie sie für die Gesundheitsszene hierzulande typisch sind: Vergangenen Samstag schrieb im Tageblatt der frühere CHL-Infektiologe und Aids-Mediziner Robert Hemmer: „L’idée d’un hôpital destiné seulement à hospitaliser les patients atteints du Covid-19 est absurde.“ Worauf er sich dabei bezog, erwähnte Hemmer nicht, fuhr aber schweres Geschütz auf: Allein schon wegen der vielfältigen Komplikationen von Covid-19 in schweren Fällen würden in einem solchen Spital Pneumologen, Kardiologen, Pädiater, Immunologen, Diabetologen, Neurologen, Nierenfachärzte und natürlich Intensivmediziner gebraucht. Stünden die nicht bereit, „la personne infectée risquerait de mourir parce qu’elle n’a pas accès aux soins accessoires indispensables“. Wie Schuman-Generaldirektor Claude Schummer das Problem lösen würde, war nicht zu erfahren: Es sei „verfrüht, ins Detail zu gehen“, schrieb Schummer dem Land.
Letzten Endes müsse „die Regierung entscheiden“, sagt Schiltz, „das ist erstmal ein Vorschlag an sie“. Mousel erklärt, Fragen wie „Woher das Personal nehmen?“, würden sich auch für das geplante Militärspital stellen. Das ist ein interessantes Moment. Die Idee, in Luxemburg ein Nato-Militärkrankenhaus einzurichten, hatte in der vorigen Regierung LSAP-Verteidigungsminister Etienne Schneider ausgebrütet. Sie nahm auch ihren Lauf, aber einen langsamen. Nach dem Regierungswechsel 2018 und dem Ministerwechsel von Schneider zu François Bausch wurde es um das Vorhaben stiller. Bis Bausch es im April im parlamentarischen Verteidigungsausschuss aus der Versenkung holte. Die vier Krankenhauspräsidenten haben das bemerkt und in ihrer Brief-Offensive an die Regierung erklärt, die Epidemie-Klinik könne „Synergien“ mit dem Militärspital schaffen. „Wir haben der Gesundheitsministerin gesagt, ohne uns könnt ihr das Militärspital nicht machen“, verrät Paul Mousel. Mit François Bausch habe es aber noch keine Gespräche gegeben. Jean Feidt sagt, die hundert Intensivbetten im „Denkanstoß“ kämen daher, dass Bausch von so vielen Betten für das Militärspital gesprochen hat. „Unsere Klinik könnte Partner des Militärspitals sein. Das heißt aber nicht, dass wir das Militärspital stellen würden.“ Jean-Louis Schiltz, der einstige Verteidigungsminister, äußert sich zurückhaltender. „Das muss alles die Regierung entscheiden.“ Die Intensivbettenzahl, sagt er, habe nichts mit dem Militärspital zu tun. Sondern damit, dass Paulette Lenert Ende April bei der Bekanntgabe der Exit-Strategie der Regierung aus der Kollektiv-Quarantäne erklärt hat, würden 90 Intensivbetten von Covid-Patienten belegt, sei eine Grenze erreicht. „Die Betten wollen wir bereitstellen. Vielleicht 90, vielleicht hundert. Nageln Sie mich da nicht fest.“
Wird es von den Plänen des Verteidigungsministers abhängen, ob aus dem Denkanstoß der vier Krankenhauspräsidenten mehr wird? Die Sprecherin der Gesundheitsministerin lässt wissen, es handle sich „im Moment nur um eine Idee, zu der das Ministerium noch keine offizielle Position bezieht“. Nächste Woche aber wird darüber schon diskutiert werden. „Dann sprechen wir mit der Gesundheitsministerin und den Spitälern darüber, was man kurzfristig unternehmen kann“, sagt Philippe Wilmes, der amtierende Präsident des Ärzteverbands AMMD. Soll heißen: Wie man sich auf das alles andere als unwahrscheinliche Szenario einstellt, dass im Herbst die Covid-Fälle wieder zunehmen, die saisonale Grippe hinzukommt und die Spitäler erneut besonders gefordert werden könnten.
Die AMMD hatte in den letzten Wochen öffentlich dafür plädiert, statt in allen vier Akutspitälern Covid-Patienten zu behandeln, sie nur auf eines zu konzentrieren. „Unsere Idee ist etwas anderes als die der AMMD“, betont Paul Mousel. Philippe Wilmes aber findet darin den Konzentrationsvorschlag des Ärzteverbands wieder. Und er hat auch Ideen, wie eine Klinikstruktur, die „schläft“ bis zur nächsten Krise, in der Zwischenzeit genutzt werden könnte: „Als Ausbildungsstätte für Studenten und als Trainingsort für Armee und CGDIS zum Beispiel.“ In der Schweiz etwa würden bestimmte Krankenhäuser regelmäßig für Manöver der Armee genutzt.
Für Wilmes steht fest, dass eine Epidemie-Klinik in der Nähe eines bestehenden Spitals eingerichtet werden müsste, damit Ärzte zwischen beiden Häusern hin und her wechseln könnten. Dann hätte die Spezialklinik auch alle nötigen Fachärzte zur Verfügung. Woher das zusätzliche Paramediziner-Personal kommen könnte, „müsste man analysieren“. Vorstellen könnte Wilmes sich, dass das Pflegepersonal von „administrativen Aufgaben“ entlastet würde. „Ich schätze, die nehmen 25 bis 30 Prozent der Arbeitszeit in Anspruch, davon könnte man etwas abschaffen.“ Aber noch sei die Spezialklinik ja nicht in Sicht. Für den Herbst müsse deshalb eine „modulare“ Lösung her. Vor allem darüber wolle die AMMD mit Paulette Lenert nächste Woche diskutieren.
Wenn der Ärzteverband eine Idee aus den Krankenhäusern als seine ansieht, während zumindest einer der vier Präsidenten das Gegenteil behauptet, dann deutet sich an, dass es bei dem Brainstorming auch um die künftige Kliniklandschaft gegangen sein muss: Starke Spitäler versus „schlanke“, und Auslagerungen leichterer Fälle in Ärztehäuser, was die AMMD vertritt. Ein Epidemie-Spital könnte sich auch lesen lassen wie eine Komponente im System, die es den in Luxemburg mehrheitlich freiberuflichen Klinikärzten erlauben würde, in ihren Krankenhäusern mit den gewohnten Aktivitäten weiter Geld verdienen zu können. Ärzte, die im Krisenfall zwischen Haupt-Klinik und einer nahegelegenen Epidemie-Klinik hin und her pendeln, würden dem Arbeitsalltag liberaler Ärzte zwischen Cabinet und Spital ähneln, wie er vor 20 Jahren für das Hôpital Kirchberg erdacht wurde. Weshalb der Denkanstoß, den die vier Präsidenten gemacht haben, von Jean-Louis Schiltz vielleicht am stärksten getragen wird.