Robert Goebbels dürfte über die jüngste Initiative der Regierung in Sachen gentechnisch veränderter Organismen (GVO) den Kopf schütteln. Ende Juli hatte der sozialistische Europaabgeordnete und frü-here Minister mit einem offenen Brief über „Die Genetik der Dummheit“ eine Sommerlochdebatte ausgelöst und nicht nur GVO-kritische Landwirte und den Verband der Luxemburger Biologen gegen sich aufgebracht, sondern auch die LSAP-Fraktion. Worauf er Ende August in einem Quotidien-Interview noch einmal nachlegte: Luxemburg importiere über 70 Prozent seiner Futtermittel. Davon kämen wiederum über 70 Prozent aus Nord- und Südamerika und seien aus gentechnisch verändertem Soja oder Mais hergestellt. Folglich würden Luxemburger Kühe mit GVO gefüttert.
Goebbels’ Parteikollege und Landwirtschaftsminister Romain Schneider jedoch will Luxemburg zu einem Label verhelfen, mit dem hierzulande produzierte Lebensmittel als garantiert GVO-frei gekennzeichnet werden könnten. Der Minister treibt das Vorhaben schon seit Monaten voran. Eine Arbeitsgruppe, der Vertreter der Bauernverbände und des Handels ebenso angehören wie Abgesandte der heimischen Lebensmittelindustrie und der Umweltschutzorganisation Greenpeace, traf sich am Montag zu ihrer vorerst letzten Sitzung. „Festgehalten wurde dort, dass wir Schritt für Schritt auf ein solches Label hinarbeiten werden“, sagt der Minister dem Land. Zunächst werde definiert, „was GVO-Freiheit heißen soll“. Ein „nationaler Aktionsplan“ könnte sich anschließen.
„Schritt für Schritt“ und „Aktionsplan vielleicht“ klingt vorsichtig, verglichen mit dem Koalitionsprogramm, wo CSV und LSAP im Kapitel zur Landwirtschaft versprechen, „toute demarche en faveur des zones sans organismes génétiquement modifiés“ zu unterstützen. Und es überrascht durchaus, dass der Schneider sein Label-Projekt noch nicht viel stärker öffentlich gemacht hat: Zählt die Luxemburger Bevölkerung doch laut einschlägigen Umfragen zu den GVO-kritischsten der EU und ist für gut vier Fünftel die Aussicht, Genfood auf ihrem Teller vorzufinden, ungeheuerlicher als die Vorstellung, dass an embryonalen Stammzellen geforscht werde. Zu guter Letzt gibt es im Ausland, in Deutschland und Frankreich etwa, GVO-frei-Labels schon seit Jahren.
Doch dem Landwirtschaftsminister stellen sich ein paar Probleme, praktische wie politische. Da wäre zunächst der Umstand, dass europaweit allein im Bio-Landbau GVO-Freiheit garantiert wird. Dass Romain Schneider einräumen muss, dass für konventionell ausgerichtete Bauernbetriebe der Großteil des importierten Soja- und Maisfutters auf GVO basiert, mag auch Illusio-nen von einer „Insellage“ Luxemburgs zerstören. Vor allem aber deutet es an, dass zertifizierte GVO-Freiheit rein praktisch nicht ohne Aufwand zu haben ist: Da bestimmte GVO-Futtermittel in der EU nun mal zugelassen sind und allein nach Luxemburg Jahr für Jahr 60 000 bis 70 000 Tonnen Soja vom amerikani-schen Kontinent importiert werden, kann es zu „Verunreinigungen“ kommen. Und alles und überall zu kontrollieren, ist unmöglich.
Keinesfalls dürfe man glauben, dass in der heimischen Tierhaltung „nur“ GVO-Futter verwendet werde, teilt das Landwirtschaftsministerium auf die Frage mit, was von den tonnenschweren Sojaimporten aus Nord- und Südamerika zu halten sei. „In erster Linie erhalten unsere Tiere Grünfutter.“ Soja und Mais kämen als Eiweißträger in „Kraftfutter“ vor, aber nicht zu hundert Prozent. Selbst Schweine, für die Kraftfutter die Nahrungsgrundlage bildet, erhielten nur rund zehn Prozent Soja mit ihrer Futterration; Rinder bis zu zwei Prozent. Das gelte vor allem für „Hochleistungsrinder“, wie Milchkühe und Maststiere.
Das mag nicht viel sein, aber: Vor allem Soja ist derart eiweißhaltig, dass es als Proteinbombe nicht ohne weiteres verzichtbar ist, weiß man bei der Administration des services techniques de l’agricul-ture im Landwirtschaftsministe-rium. Wer Tieren hohe Leistungen abverlangt, und bei Milchkühen ist das so, kommt an Soja schwer vorbei. Dass Jahrzehnte alte Abmachungen im Gatt-Welthandelsabkommen den Sojaanbau im gro-ßen Stil auf den amerikanischen Kontinent beschränken, wo der GVO-Einsatz zunimmt, macht die Lage nicht leichter.
Freilich: Es gibt zertifiziert GVO-freies Soja- und Maisfutter, sogar aus dem Hauptanbauland Brasilien. Nur: Es kostet mehr. Viel mehr sogar, sagt Josiane Willems, die Direktorin der Bauernzentrale. „Für eine Tonne GVO-Sojakraftfutter bezahlt man zurzeit 300 Euro, für eine GVO-freie sind es 450 Euro.“ Die Preise seien unlängst gestiegen, da sei vielleicht auch Spekulation im Spiel. Doch wie auch immer steht für die Direktorin des größten Bauernverbands im Lande fest: Ein Bauernbetrieb, der sich einem GVO-frei-Label anschließt, dürfe die Mehrkosten nicht alleine tragen müssen. Während der Landwirtschaftsminister diese Mehrkosten für die gesamte konventionelle Branche auf fünf Millionen Euro jährlich veranschlagt, geht die Bauernzentrale von acht Millionen Euro aus. Und für ihre Direktorin ist es alles andere als ausgemacht, dass der Markt die Merhrkosten einspielt – ungeachtet aller GVO-Antipathie, die die Luxemburger in Umfragen äußern: „Letzten Endes schaut der Verbraucher auf den Preis!“
Die ökonomische Frage ist das vielleicht größte Problem auf dem Weg zum GVO-frei-Label. Ganz abgesehen davon, dass selbst unter den Bauernverbänden kein Konsens über die prinzipielle Haltung zu GVO herrscht: Während Camille Schroeder, der Präsident der Bauerenallianz, der Ansicht ist, so lange die Unbedenklichkeit von GVO nicht zweifelsfrei feststehe, müsse jeder Landwirt den Verbraucher vor GVO-haltigen Produkten schützen, ist für die Direktorin der Bauernzentrale die Unbedenklichkeit von amtlich zugelassenen GVO schon jetzt erwiesen. „Sagen Sie Ihren Lesern ruhig: In unseren Supermärkten liegen tausende Produkte, die GVO enthalten!“
Eine starke Behauptung, aber sie verweist auf ein weiteres Problem, das nur das Landwirtschaftsministerium klären kann: Was unter „GVO-Anteil“ zu verstehen ist, ist zum Teil nationale Definitionssache.
Zwar besteht für Lebensmittel wie für Futtermittel seit 2003 EU-weit Kennzeichnungspflicht, falls der Anteil zugelassener GVO an ihnen 0,9 Prozent übersteigt. Der Schwellwert wurde wegen der nicht auszuschließenden zufälligen Verunreinigungen mit GVO in den Verarbeitungsketten gewählt. Es bedeutet allerdings gleichzeitig, dass vom Bauernhof bis zum Endprodukt GVO-Nachweis und Rückverfolgbarkeit gewährleistet sein müssen.
Bei Lebensmitteln auf Pflanzenbasis funktioniert das einigermaßen, bei tierischen nicht. „In der Milch sind Rückstände aus GVO-Futtermitteln nicht nachweisbar“, weiß Camille Schroeder. Konsequenterweise gilt für alle Milchprodukte dasselbe. Und dass der Nachweis in Fleisch möglich sei, gehe vorläufig nur aus Laborversuchen an Universitäten hervor. Für den Minister, der eine legislative Vorlage zur GVO-Freiheit erstellen will, folgt daraus, dass er festlegen muss, wie lange ein Tier mit GVO höchstens gefüttert werden darf, ehe es zertifiziert GVO-freie Produkte liefern kann. In Deutschland etwa müssen Milchkühe zwölf Monate und drei Viertel ihrer Lebenszeit ohne GVO gefüttert werden, ehe ihre Milch das Label „Ohne Gentechnik“ erhält. Würde ein Label in Luxemburg eingeführt, würde es rückwirkend gelten. Was nicht nur den Schritt-für-Schritt-Ansatz des Ministers erklärt, sondern auch die Skepsis von Landwirten und die energischen Verweise ihrer Vertreter auf die Kosten. Schon fragen manche nach GVO-frei-Beihilfen vom Staat. Worauf Romain Schneider entgegnet, „in einer Anlaufphase“ könne einem Agrarbetrieb vielleicht geholfen werden, wenn er auf GVO-frei umstellen will. Produktsubventionen kämen natürlich nicht in Frage.
Aber vielleicht sind es sogar weniger die Landwirte, die an dem Label interessiert sind, sondern vielmehr der Handel. Denn im Ausland beginnen sogar schon Supermarktketten, eigene GVO-frei zertifizierte Produkte aufzulegen – die Frage könnte sich stellen, ob man in Luxemburg auf einen fahrenden Zug aufspringt. In Deutschland bietet mit der Lidl-Gruppe mittlerweile sogar ein Discounter Milch und Milchprodukte „ohne Gentechnik“ an; was wäre, wenn sie auch nach Luxemburg gelangten?
Über solche Fragen spekulieren Vertreter von Handel und Industrie hierzulande nicht öffentlich, begrüßen das Label-Projekt des Landwirtschaftsministers aber. „Den Kunden ein neues Angebot zu machen, hat erfahrungsgemäß immer funktioniert“, sagt Cactus-Marketingdirektor Henri Jungels. Und Luxlait-Direktor Claude Steinmetz findet: „Das kann ein attraktiver Marketing-Ansatz sein.“
Doch kommt die Rede auf die Kostenfrage, meint der Cactus-Marketingchef vorsichtig, darum müssten sich „zunächst die Produzenten“ kümmern. Claude Steinmetz nennt seinen Markt „schwierig“, denn Lux-lait exportiere 60 Prozent ihrer Erzeugnisse, Tendenz steigend: „Von unseren derzetigen Exportkunden aber fragt keiner nach zertifiziert GVO-freier Ware.“
So dass der Landwirtschaftsminister zum jetzigen Zeitpunkt wohl in der Tat kaum über mehr verfügt als ein prinzipielles „Go“ aus der informel-len Runde. Und zunächst warten alle Beteiligten darauf, dass Romain Schneider definieren lässt, was GVO-frei heißen soll. Dann stellt die Geldfrage sich ohnehin konkreter.