Es sei ein Skandal, schrieen die deutschen Medienwächter in ihren Landesmedienanstalten unisono, kaum dass der Abspann der erster Folge der umstrittenen Fernsehserie Big Brother im Frühjahr vor zwei Jahren beim Randgruppensender RTL Zwei gezeigt war. Sie hielten sich weniger an das Zitat "Alles so schön bunt hier" aus Nina Hagens Song TV Glotzer und traten damit eine Diskussion los, die dem Container-Fernseh-Format in Deutschland endgültig zum Durchbruch verhalf. Big Brother war in der ersten Staffel schwach gestartet und blieb die ersten Wochen weit unter den Erwartungen der Produzenten zurück. Erst das kostenlose Marketing der Medienwächter im Chor mit Hinterbänklern der politischen Szene machte die Serie - zumindest in der ersten Staffel - zum Kult und besorgte die gewünschten Einschaltquoten und der deutschen Medienwacht die gewünschte Aufmerksamkeit. Als Frank aus Luxemburg endlich in den Container gelassen wurde, war das Format in Deutschland längst ein Flop, weil auch die Verantwortlichen in den Landesmedienanstalten eingesehen hatten, dass sie gegen Neuerungen und Trends in der deutschen Fernsehlandschaft machtlos sind und hin und wieder der Trend es schneller richtet als eine Landesmedienwacht. Ein Fakt, der den Medienherren bereits vor zehn Jahren hätte einleuchten können, als sie mit Nachdruck die Flut von täglichen Talkshows in den privaten Fernsehprogrammen und Formate des Reality-TV eindämmen und damit eine öffentlich-rechtliche Fernseherfindung verbieten wollten. Schließlich hatte das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) bereits zwanzig Jahre zuvor mit dem weitaus brutaleren Aktenzeichen XY ungelöst völlig unbeanstandet das Reality-Format erfunden. Zu einer Zeit als Sesamstraße und Die Sendung mit der Maus viel eher das Unbehagen der damaligen deutschen Medienwarte erregten, von Indizierung der beiden Kinderserien war sogar die Rede. Heute werden die Landesmedienanstalten von der Öffentlichkeit in Deutschland - außer besagten Aufschreien im Fünfjahres-Turnus - wenn überhaupt, dann kaum wahrgenommen. Von ihrer Existenz geschweige denn von ihrem Auftrag haben die wenigsten Bundesbürger eine Ahnung oder gar eine Vorstellung. Fernsehen ist nicht mehr eine kulturelle Veranstaltung für Wenige, sondern ein Massenmedium. Privatfernsehen ist akzeptiert, ebenso der ein oder andere Ausrutscher des Genres. Die Einschaltquote wird es ohnehin früher oder später richten.
Dabei tut Medienaufsicht Not, gerade in Deutschland. Mit der Einführung des dualen Rundfunksystems entstand Mitte der achtziger Jahre die vierte Rundfunkordnung in Deutschland seit der Einführung des elektronischen Mediums im Jahr 1923.
Die Rundfunkgeschichte begann mit der privatwirtschaftlichen, aber unter staatlicher Aufsicht und Kontrolle stehenden Einführungsphase in der Weimarer Republik. Daran schloss sich während der Nazi-Diktatur der gleichgeschaltete, totalitäre und propagandistische Staatsrundfunk an. Aufgrund dieser Erfahrungen führten die Westalliierten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Westdeutschland den sich selbst verwaltenden, staatsfreien und interessen-unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein. In der späteren DDR wurde der Rundfunk als staatliches Medium in den Dienst der Partei und Propaganda gestellt. Einige Jahre vor der Vereinigung der beiden deutschen Staaten begann mit der Zulassung privatwirtschaftlicher Sender zunächst in den so genannten Kabelpilotprojekten begann das duale Rundfunksystem - begleitet durch entsprechende Landesmediengesetze, denn Rundfunk ist in der Bundesrepublik Ländersache. Das erste Dorf, das die duale Fernseh- und Rundfunkwelt außerhalb eines Kabelprojekts genoss und somit in den Zuständigkeitsbereich einer Landesmedienanstalt fiel, war im Sommer 1984 Trassem unweit der deutsch-luxemburgischen Grenze. Und weil in Deutschland alles seine Ordnung haben muss, wurde das Nebeneinander von privatem und öffentlich-rechtlichem Rundfunk durch einen Rundfunkstaatsvertrag der Bundesländer im April 1987 offiziell eingeführt. Dass sich damit die Medienlandschaft radikal veränderte, war den Verantwortlichen durchaus bewusst. Empfing vor der dualen Rundfunkära der westdeutsche Durchschnittshaushalt 3,5 Fernsehprogramme, so waren es im Herbst 1987 bereits sieben und eine Dekade später 33 unterschiedliche Programme. In diesen zehn Jahren entwickelte sich Deutschland zum Fernsehmarkt mit dem umfangreichsten Programmangebot der Welt. Heute kann der Durchschnittsdeutsche zwischen 35 verschiedenen Sendern wählen. Mit der Einführung der digitalen Übertragung werden weitere Ressourcen für die Übertragung weiterer Sender geschaffen, doch der Zuschauer kann immer nur ein Mal hinsehen.
Das duale Rundfunksystem der Bundesrepublik Deutschland hat mit seinem Nebeneinander von öffentlich-rechtlichem und privatwirtschaftlichen Rundfunk zu einem ungleichen Wettbewerb unterschiedlicher Partner um unvergleichbare Ziele geführt. Programmauftrag, Finanzierungsmöglichkeiten und unternehmerisches Selbstverständnis der Akteure unterscheiden sich fundamental. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat alle seine gesetzlichen Vorgaben, seinen Programm- und seinen Grundversorgungsauftrag zu erfüllen. Derzeit gewährleisten dies die zehn Landesrundfunkanstalten der 16 Bundesländer, organisiert in der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD), das ZDF und der ebenfalls zur ARD gehörende, jedoch nach Bundesrecht organisierte und aus dem Bundeshaushalt finanzierte Auslandsrundfunk Deutsche Welle. Die Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten erfolgt in erster Linie über die Rundfunkgebühren. Der Satz für ein TV- und ein Hörfunkgerät je Haushalt liegt derzeit bei 16,15 Euro; Nichtanmelden nutzt wenig, denn die Gebühreneinzugszentrale (GEZ) macht gerne in den späten Abendstunden Hausbesuche, die neuesten Adressen erhält die GEZ in Nordrhein-Westfalen etwa vom Einwohnermeldeamt. Ein weiteres Standbein der Finanzierung sind Werbeeinnahmen. Hier sind die Öffentlich-Rechtlichen reglementiert: Werbung nach zwanzig Uhr sowie an Sonn- und Feiertagen ist verboten, darüber hinaus ist die maximale Werbezeit auf zwanzig Minuten beschränkt und in ein enges Zeitfenster zwischen 18 und 20 Uhr gesperrt. Dies wissen ARD und ZDF geschickt durch das Sponsoring einzelner Fernsehsendungen auszuhebeln, etwa indem Unterhaltungssendungen wie Wetten Dass von Firmen präsentiert werden. Dennoch muss sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk den privaten Anbietern stellen, will er nicht gänzlich seine Akzeptanz bei der Bevölkerung verlieren und schließlich ist es eine Frage des Prestiges, denn wer die Eins im Titel trägt, will auch die Nummer Eins in der Gunst der Zuschauer sein.
Wenn es um Übertragungsrechte für Kinofilme, Sportlizenzen und Engagements von Stars und Sternchen geht, sind ARD und ZDF Konkurrenz erwachsen, was die beiden Sender gerade in Sachen Fußball Mitte der Neunzigerjahre schmerzlich erfahren musste, als Sat Eins die Rechte an der Bundesliga erwarb und die ARD den Klassiker Sportschau mangels Zeigbarem aus dem Programm nehmen musste. Dann werden mitunter schwere Geschütze aufgefahren, wie zum Beginn der laufenden Fußball-Bundesliga-Saison, als die inzwischen insolvente Kirch-Gruppe dem ARD-Nachrichten-Flaggschiff Tagesschau die höchstrichterlich garantierte freie Neunzig-Sekunden-Berichterstattung reglementieren wollte, was wieder auf höchstrichterlicher Ebene entschieden werden musste. Die Verantwortlichen bei den Öffentlich-Rechtlichen müssen stets genau abwägen, welchen Anteil der Gebühren sie in derartige Prestigesendungen stecken und wie viel für die Grundversorgung übrig bleibt. Erfüllen die beiden Sender diesen Auftrag nicht, verlieren sie den Anspruch auf die Gebührenfinanzierung. Der Grundversorgungsauftrag umfasst Programme für alle gesellschaftlichen Gruppen. Deutlich zu sehen war dies noch zu Beginn der Achtzigerjahre als das Zweite Deutsche Fernsehen vor allem Samstags um die Mittagszeit Sendungen für ausländische Mitbürger in deren Landessprache ausstrahlte - gewiss kein Quotenknüller.
Die privaten Sender sind an solche Vorgaben nicht ganz so strikt gebunden. Sie können auch karfreitags um drei Uhr und am Heiligabend kurz nach der Bescherung werben, jedoch ist eine maximale Anzahl von Werbeminuten und Werbeunterbrechung pro Sendestunde vorgegeben. Einen Programmauftrag gibt es nicht und so können sich die Privaten unverblümt an die kauffreudige, markenartikelorientierte Zuschauergruppe der 14- bis 49-Jährigen richten, auf die sie ihr ganzes Programm ausrichten. Dabei schlagen die privatwirtschaftlich organisierten Fernsehsender gerne über die Stränge, was die Medienwächter auf den Plan ruft.
Diese sind seit der Einführung des dualen Rundfunksystems in der Bundesrepublik Deutschland in so genannten Landesmedienanstalten organisiert - pro Bundesland gibt es eine Anstalt, die sich um alle Belange des Rundfunks kümmert, nur Berlin und Brandenburg unterhalten eine gemeinsame Medienanstalt. Auf Bundesebene sind sie zusammengeschlossen in der Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten in der Bundesrepublik Deutschland (ALM). Im bevölkerungsreichsten Bundesland ist es die Landesanstalt für Rundfunk Nordrhein-Westfalen (LFR) mit Sitz in Düsseldorf. Ihre Aufgaben sind in erster Linie privaten "Veranstaltungsgemeinschaften" die Zulassung für die "Veranstaltung von Rundfunk" zu erteilen (Lizenzierung), die Weiterverbreitung von Rundfunkprogrammen in TV-Kabelanlagen des Landes zu regeln und die Rundfunkprogramme der privaten Veranstalter zu beobachten und nach den gesetzlichen Bestimmungen und den entsprechenden Richtlinien zu bewerten. Eine von einer Landesmedienanstalt erteilte Lizenz gilt - nach dem Prinzip der Arbeitsteilung und wenn nicht ausdrücklich eingeschränkt - für das gesamte Bundesgebiet. Maßgebend ist die Medienanstalt des Bundeslandes, in dem der Sender seinen Sitz hat. So ist der Kölner Sender RTL in Düsseldorf lizenziert, der Sender Sat Eins bei der rheinland-pfälzischen Landeszentrale für Private Rundfunkveranstalter (LPR) in Ludwigshafen. Weitaus zeitraubender ist die Kontrolle des täglichen Programms der Privaten: Mit Stoppuhren und hehren Ansprüchen sitzen die Damen und Herren in den Anstalten vor der Apparaten und überwachen ihre lizenzierten Sender, messen, ob die Werbeeinschränkungen eingehalten werden, bewerten, ob dem Jugendschutz genüge getan wird, und entrüsten sich, ob neuer Trends und neuer Sendeformate. Wird ein Verstoß festgestellt, wird ein wenig in der Öffentlichkeit geräuspert, gerügt und gemahnt - ernsthafte Konsequenzen, etwa der Entzug einer Lizenz, hat es bisher noch nicht gegeben. Das Aufgabenspektrum der Medienanstalten sieht abgestufte Sanktionen bei Regelverstößen vor - meist sind dies Geldstrafen, doch gesendet, bleibt gesendet und die Einnahmen einer zusätzlichen Werbeminute zählen mehr, denn eine Überweisung an eine der Anstalten. Die Düsseldorfer LFR verfügte 2000 über einen Haushalt von mehr als 4,7 Millionen Euro. Um ihr Aufgabenportfolio öffentlichkeitswirksamer zu gestalten, haben sich die Medienanstalten nun Medienkompetenz, Medienerziehung und Medienforschung auf die Fahnen geschrieben. Doch auch dies geschieht von der Öffentlichkeit weitestgehend unbemerkt.
Auf dem deutschen Markt scheint - vor der Einführung des digitalen Rundfunks - eine Sättigung eingesetzt zu haben. Neue Sender und neue Senderorganisationen setzen sich - wenn überhaupt - nur langsam durch, etwa Premiere, das Abonnentenfernsehen aus dem Hause Kirch, oder der interaktive Sender Neun Live, ehemals als Frauenprogramm TM Drei gestartet, dann als Fußballsender für Furore gesorgt und einen Platz in den Kabelnetzen der Telekom bekommen.
Die Kapazitäten in den Kabelnetzen sind - noch - begrenzt, um jeden Kanal wird gerangelt. Etwa im Kabelnetz Trier, zu dem mittlerweile auch das Trassemer Netz gehört. Anfang des Jahres - nach Abzug der französischen Streitkräfte - sollten Angebote aus Frankreich und auch das luxemburgische RTL-Programm aus dem Netz verbannt und gegen Dritte Fernsehprogramme aus Ostdeutschland und andere Spartensender ausgetauscht werden. Es ist eng im Netz: Der europäische Kulturkanal Arte muss sich sogar eine Kanalteilung mit dem öffentlich-rechtlichen Kinderkanal (Kika) gefallen lassen. Überhaupt dominieren die Öffentlich-Rechtlichen die Kanäle in den Kabelnetzen. So können sich die 1000 Trassemer das dritte Fernsehprogramm des für den Saargau höchst relevanten Norddeutschen Rundfunks, den Wiederholungssender Drei Sat oder Bundestagsdebatten auf Phoenix anschauen. Nur ein Protest verhinderte, dass das luxemburgische Programm gegen einen weiteren Home-Shopping-Kanal ersetzt wurde - Trassem ist in der Republik ohnehin nicht als Konsumhochburg verschrieen.
Doch die Landesmedienanstalten haben sich um eine weitere Besonderheit der deutschen Fernsehlandschaft zu kümmern: die Offenen Kanäle (OK), eine Konsequenz der Erfahrungen, die Deutschland mit dem Medium Rundfunk in seiner Geschichte gemacht hat. Offene Kanäle sind lokale oder regionale Sender, deren Fernsehsendungen von Bürgern auf eigene Initiative und in eigener Verantwortung produziert und zusammengestellt werden. Im Unterschied zum öffentlich-rechtlichen und privatwirtschaftlichen Fernsehen gibt es im "Rundfunk der Dritten Art" keine Redaktion, kein Sendeschema, keine inhaltlichen und formalen Vorgaben.
Allerdings: Gesponserte Beiträge und Werbung sind im Offenen Kanal verboten. Alle "Programmgestalter" sind für ihre Sendungen selbst verantwortlich. Die Offenen Kanäle stellen Studios, Aufnahmegeräte, technische Einweisungen und Beratung kostenfrei zur Verfügung, eingerichtet und ausgestattet werden diese von den jeweiligen Landesmedienanstalten. Seit 1984 besteht beispielsweise für Bürger in Rheinland-Pfalz die Möglichkeit, mit eigenen Beiträgen Fernsehen zu machen und über lokale, beziehungsweise regionale Kabelnetze kostenfrei zu verbreiten. Das System hat seltsame Blüten getrieben: So wurden die Einrichtungen der OKs gerne für die kostengünstige Produktion von Musikvideos für Newcomer-Bands, von religiösen Gemeinschaften für Glaubensmaterialien auf Videoband genutzt; die Verpflichtung zur Sendung des produzierten Materials galt als erster Testlauf. Das Programm der Offenen Kanäle wird in Großstädten wie Hamburg heute von Sendungen ausländischen Mitbürgern dominiert, die auf diesem Wege ein Stück heimatlicher Identität bewahren wollen oder unverhohlen zu Gewalt aufrufen - für die zuständigen Landesmedienanstalten, die auch diese Sendeformen überwachen, ein Eiertanz zwischen gewollter und nötiger Demokratie im Rundfunk. Die Ludwigshafener Anstalt verfolgte den Demokratieansatz für Rheinland-Pfalz konsequent: In jeder Kabelnetz-Insel wurde ein Offener Kanal eingerichtet. So kam auch Echtershausen zu ihrem eigenen Sender: Seit dem 1. Juli 1992 empfangen die 35 Haushalte in der Eifelgemeinde ihren OK Echtershausen - die Sendereinrichtung untergebracht in zwei Hellbuche-Wohnzimmer-Schränken. Programm nur nach Bedarf.