Unterrichtsministerin Mady Delvaux-Stehres (LSAP) hat sich viel vorgenommen. Auf 55 Seiten summiert sich das Pressedossier zur diesjährigen Rentrée scolaire, die das Motto „Chancë ginn, Chancen notzen“ hat. Ein dicker Brocken, wobei der Schwerpunkt dieses Jahr auf die Sekundarschulreform fällt. Ernst und konzentriert trug die Ministerin der im Lycée Esch-Belval versammelten Presse ihr Anliegen vor.
Konzentration, Kraft und insbesondere taktisches Geschick wird sie brauchen, denn mit der Reform der Sekundarstufe beginnt die kniffeligste Etappe der von der sozialistischen Ministerin angestoßenen Schulreformen – und womöglich eine ihrer letzten, sollte sie, wie es Stimmen aus ihrem Umkreis flüstern, wirklich kein weiteres Mal für das Amt zur Verfügung stehen.
Dass der Umbau der Sekundarschulen zum Kraftakt wird, zeigt sich bereits an ersten heftigen Reaktionen. Nachdem die Lehrergewerkschaft Apess interne Unterlagen mit Vor-überlegungen über eine mögliche neue Bewertung an die Öffentlichkeit weiter gegeben hatte, hat das Ministerium beschlossen, das heikle Thema bis zum Herbst auszuklammern. Dabei hatte Mady Delvaux-Stehres bei der Grundschulreform noch darauf gepocht, die neue Bewertung in die Schulen zu bringen, obwohl Gewerkschaften gewarnt hatte, die Lehrer seien noch nicht genügend vorbereitet. Delvaux’ Begründung damals lautete, dass für die Umsetzung der neuen pädagogischen Methoden die neue Bewertung unabdingbar sei. Jetzt lautet das Argument anders herum. Zunächst will das Ministerium Konsens über die großen Linien der Reform – weniger Spezialisierung, mehr autonomes Lernen, gestraffte Programme – erzielen, bevor es das heiße Eisen Evaluation auf die Tagesordnung setzt.
Der Strategiewechsel hat mindestens zwei Gründe. Erste Vorüberlegungen für eine Evaluation auf der Grundlage von Kompetenzen haben gezeigt, wie schwierig dieses Unterfangen eigentlich ist. Schließlich geht es beim kompetenzorientierten Unterricht darum, die Fähigkeiten und Defizite von Schülern in der Wissensanwendung zu erkennen – und zu messen. Es geht also mehr um den Lernprozess und Methoden und etwas weniger um abfragbares Wissen. Wie aber lässt sich das rechnerisch auf einer 60-Punkte-Skala ausdrücken? Dass sie an den 60 Punkten festhält, hatte Mady Delvaux-Stehres vor über einem Jahr unmissverständlich vorgegeben.
Auch hier spielt taktisches Kalkül eine Rolle: Anders als bei den Grundschullehrern, wo vielen die Reformen mit einer ansehnlichen Gehältererhöhung versüßt werden konnten, ist dies bei den Sekundarschullehrern nicht der Fall. Im Gegenteil: Da ist zum einen die Reform des Beamtenstatuts. Demnach sollen Beamte künftig auch nach ihrer Leistung bewertet werden; die Lehrer eingeschlossen. Entsprechend gereizt ist die Stimmung bei vielen. Den Gewerkschaftsvertretern stecken zudem noch die Verhandlungen von 2006 in den Knochen, mit der die Tâche der Sekundarschullehrer leicht ausgedehnt wurde. Die Apess lässt keine Gelegenheit aus, um auf die angeblich ungerechte Bezahlung hinzuweisen und pocht darauf, den alten Abstand zwischen Sekundarschul-„proffen“ und Grundschullehrern wieder herzustellen. Aber auch das OGBL-assoziierte SEW bewertet die Reformpläne überaus skeptisch und warnt vor einer „Absenkung nach unten“.
Das passt ins Bild. Generell gelten Sekundarschullehrer – nicht nur in Luxemburg – als der härtere Brocken. Nicht wenige haben eine konservative Grundeinstellung, wenn es um ihren Beruf geht. Viele sind Einzelkämpfer und penibelst auf ihre pädagogische Freiheit bedacht, und vor allem: Sie sind politisch besser organisiert. Einen Vorgeschmack darauf, was es bedeutet, die Gewerkschaften geschlossen gegen sich zu haben, bekam die Ministerin, als sie ungeschickterweise die geplante neue Semesterregelung mit einer Vorverlegung des Schulanfangs verband: Die Gewerkschaften liefen Sturm, die Ministerin ruderte daraufhin rasch zurück.
Ein weiterer Faux-pas unterlief dem Ministerium, als es die neuen Schulungen der Lehrbeauftragten mal eben in die Vorbereitungszeit auf den zweiten Concours legte. Die Gewerkschaften nahmen die Steilvorlage dankend an und mobilisierten kräftig dagegen. Die Ministerin musste sich anschließend für die unglückliche Planung rechtfertigen.
Darum legt das Unterrichtsministerium jetzt besonderen Wert darauf, bei den Vorarbeiten zur Reform möglichst viele Akteure einzubeziehen: das Direktorenkollegium, die Programmkommissionen, und auch die Lehrer selbst. Ein Aufruf zum Mitmachen war zuvor an sämtliche Schulen gegangen.
Im unteren Zyklus des Sekundarunterrichts haben Schulen wie das ehemalige Neie Lycée und die Proci-Schulen ohnehin den Anfang gemacht: Wie die Grundschulen arbeiten sie auf Basis von Kompe-tenzsockeln, und mit einem differenzierten Sprachenunterricht und einer neuen Bewertung. Der Ansatz soll nun in andere Schulen übertragen werden, wobei die größte Schwierigkeit für die politisch Verantwortlichen sein dürfte, die klassischen Lyzeen von der Notwendigkeit dieser Umstellung zu überzeugen: Bei den 15 Lycées pionniers, ein Verbund von Schulen, die als Vorreiter der Reformen Best practises austauschen, sind keine ausschließlich klassischen Lyzeen dabei. Deren Direktionen warten lieber ab.
Es gab und gibt auch dezidiert negative Reaktionen, etwa was den Umbau der oberen Klassen angeht. Die Einführung eines Travail d’envergure und kompetenzbasierter differenzierter Sprachniveaus, die Möglichkeit für Schüler ihre Fächerkombinationen flexibler – und eingeschränkt im Examen – wählen zu können, stoßen längst nicht überall auf Begeisterung. Vor allem aus einem Lycée im Süden kommen kritische Stimmen.
Dass sich der Widerstand und die Fundamentalkritik gleichwohl in Grenzen hält, ist wahrscheinlich der Einsicht besonders auf Ebene der Schulleitungen geschuldet: Zum einen braucht Luxemburg dringend mehr höher qualifizierte Absolventen, wenn es im Wettlauf um Fachkräfte und bessere Arbeitsplätze mithalten will. Schon jetzt haben umliegende Länder wie Belgien, Frankreich und Deutschland höhere Abiturquoten und befinden sich unter den Grenzgängern, die in Luxemburg arbeiten, mehr Fachkräfte mit Hochschulabschluss.
Im Ausland ist die Aufteilung in Wahl- und Pflichtfächer sowieso keine große Sache, sondern schon seit Jahrzehnten Gewohnheit. Ebenso die Beschränkung des Schlussexamens auf Haupt- und Nebenfächer. Wer in Bonn, Lyon oder Genf zur Schule gegangen ist, kennt die Abschlussarbeit. Die Experten des Ministeriums haben sich am Ausland inspiriert, als sie nach einem Modell für den Travail d’envergure suchen. Also no big deal?
So einfach ist es nicht: Nicht nur, dass sich mit der Reform der Grundschule herumgesprochen haben dürfte, wie viel Mehrarbeit der kompetenzorientierte und differenzierte Unterricht bei einer immer heterogener werdenden Schülerschaft mit sich bringt. Die Sekundarstufe ist traditionell in sich geschlossener: Lehrer arbeiten weniger oft im Team und sind ihren Kollegen weniger direkt Rechenschaft schuldig. Mit dem Travail d’envergure und mit dem geplanten Tutorat wird die engere Zusammenarbeit und Konzertat