Nachdem er die Tripartite mangels Einigung über die von ihm vorgeschlagene Indexmanipulation abgebrochen hatte, trat Premier Jean-Claude Juncker am 5. Mai vor das Parlament und kündigte in seiner Erklärung zur Lage der Nation neue Ausführungsbestimmungen des Indexgesetzes für den Herbst und eine weitere Indexmanipulation an: „Doch zuerst versuchen wir es noch einmal zu drei in der Tripartite.“
Aber das ist Schnee von gestern. Denn inzwischen haben selbst Juncker Zweifel am Sinn der von ihm angekündigten Herbst-Tripartite beschlichen. Denn wenn sie noch einmal ergebnislos abgebrochen würde wie im Frühjahr, wäre dies eine weitere politische Niederlage für ihn.
In den nächsten Wochen will er noch einmal Einzelgespräche mit Unternehmern und Gewerkschaften über die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit führen. Falls sich eine Einigung abzeichnet, so der Premier am Freitag, findet bestenfalls „eine Tripartite im engen Rahmen“ statt, „damit wir schnell zu Ergebnissen kommen“. Was an die Anfangzeiten der alten Tripartite erinnert, als es eine Vollversammlung, ein Koordinationskomitee und ein Steeringkomitee der Tripartite mit jeweils unterschiedlichem Umfang gab.
Aber für den derzeit wahrscheinlicheren Fall, dass sich keine Einigung abzeichnet, findet, anders als noch in der Erklärung zur Lage der Nation versprochen, „keine Tripartite statt“. Denn die „alte Tripartite mit ihrem mediatisierten Begleitspektakel“, so wie sie noch im Frühjahr stattfand, habe „sich ausgelebt“, meinte Juncker.
Wobei das Begleitspektakel für die Fernsehkameras von RTL nur ein frommer Vorwand sein dürfte. Denn in Wirklichkeit drohten die Unternehmer, die Sozialpartnerschaft aufzukündigen, sich nach dem Boykott des Wirtschafts- und Sozialrats auch aus der Krankenkassenleitung zurückzuziehen und ihre Zeit nicht mehr in der Tripartite zu verlieren, wenn die Gewerkschaften nicht konzessionsbereit würden. Und auch die Gewerkschaften drohten schon, der Tripartite fern zu bleiben, wenn dort lediglich über Indexmanipulationen diskutiert würde. Mangels Sozialpartnern liefe Jean-Claude Juncker also in Wirklichkeit Gefahr, alleine in der Tripartite zu sitzen, weil die Positionen von Unternehmern und Gewerkschaften seit dem vergangenen Herbst so unversöhnlich geworden sind wie schon lange nicht mehr.
Als Vertreter von OGB-L, LCGB, Aleba, FNCTTFEL und Syprolux diese Woche noch einmal zur Kundgebung am nächsten Donnerstag gegen die Benachteiligung der Grenzpendler bei der Kindergeldreform aufriefen, waren sie sich nicht ganz einig, ob das nun eine Generalprobe für den großen Protest gegen die Sparmaßnahmen der Regierung sein soll. „Der 16. September ist kein 16. Mai“, betonte vorsichtig Nico Clement vom OGB-L in Anspielung auf die große Vorwahlkundgebung vergangenes Jahr. Aber Aleba-Präsident Marc Glesener meinte, dies könnte nur eine Etappe des gewerkschaftlichen Widerstands sein, der bis zum Generalstreik führen könnte.
Der Erfolg oder der Misserfolg der Grenzpendler-Kundgebung wird jedenfalls ein Argument sein, wenn sich die Gewerkschaftspräsidenten Ende des Monats zu einem Spitzengespräch treffen, um über das weitere Vorgehen zu beraten. Thema wird dabei nicht nur sein, ob die von Jean-Claude Juncker angekündigte Indexmanipulation notfalls mit einem Generalstreik verhindert werden soll, sondern auch, wie viel Widerstand gegen die bereits im Sommer als Gesetzentwurf vorgelegten Steuererhöhungen zur Sanierung der Staatsfinanzen geleistet werden soll.
Auch auf der Unternehmerseite ist man nach dem Scheitern der Tripartite und der Kundgebung des Handwerkerverbands am 29. Juni vor dem Parlament mehr denn je gewillt, aufs Ganze zu gehen, um die Lohnstückkosten so weit wie möglich auf das Niveau der deutschen Konkurrenz zu drücken – der Jean-Claude Juncker sicherheitshalber schon Sozialdumping vorgeworfen hatte. Da den Unternehmern auch die Vorschläge zur Krankenkassenreform oben liegen, zeichnet sich für den Herbst eine gemeinsame Front von Unternehmerverbänden und Ärztelobby gegen die Regierung ab, zu der sich auch einige Christlich-Soziale gesellen könnten, die der LSAP noch die Euthanasie und die Kritik am Sparpaket heimzahlen wollen. Sie würde dann den sozialistischen Gesundheitsminister zum schwächsten Glied der Kette machen (siehe auch unter Berg, B., Lahure, J.).
Gelingt es ihm nicht, in den bevorstehenden Einzelgesprächen die Gewerkschaften auf die eine oder andere Art von Indexmanipulation einzuschwören und die Unternehmer zu etwas Entgegenkommen zu bewegen, will Juncker den Gordischen Knoten mannhaft durchschlagen und alle Kritiker in der Opposition und in den eigenen Reihen zum Verstummen bringen, die ihm Tatenlosigkeit und Führungsschwäche vorwerfen. Fällt die Herbst-Tripartite aus, kündigte er am Freitag an, dann „schlägt die Regierung dem Parlament die Maßnahmen vor, die sie für angebracht hält“, um die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe zu erhöhen.
Doch Junckers Hieb durch den Gordischen Knoten droht, auch die Regierung zu spalten. Denn sie hatte im Frühjahr ihre Koalitionskrise nur bis in den Herbst aufgeschoben. Damals war ein außerordentlicher LSAP-Parteitag im Fall einer „Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit“ bereit, die Ausführungsbestimmungen des Indexgesetzes zu ändern, und als Gegenleistung und mangels Alternativen hatte Jean-Claude Juncker sich bis auf weiteres zu „dieser Koalition und [...] keiner anderen“ bekannt.
Aber den Unternehmern, der CSV-Fraktion und offenbar auch dem Premier reicht eine Reform der Wirtschaftsindikatoren im großherzoglichen Reglement vom 4. August 1985 nicht aus, mit denen eine offene Krise und die Notwendigkeit einer Indexmanipulation festgestellt werden sollen. Ihnen geht es nicht nur darum, in Krisenzeiten den Index vorübergehend außer Kraft setzen zu können, sondern durch eine endgültige Indexmanipulation die Entwicklung der Lohnstückkosten zu bremsen und so die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu steigern.
Dafür aber haben die sozialistischen Minister kein Mandat, und je heftiger der Widerstand der Gewerkschaften ausfallen wird, um so geringer werden die Aussichten, dass ihre Partei ihnen ein solches Mandat erteilt. Sollte es nicht möglich sein, die Gewerkschaften zu einen Barrel-Preis von nicht viel mehr als 60 Dollar zu bewegen, um das Erdöl aus dem Index-Warenkorb zu streichen, oder zu einer Frist von deutlich über einem Jahr zwischen der Auszahlung von zwei Index-Tranchen, dann steht eine Neuauflage der Koalitionskrise vom Frühjahr bevor und sie wird sich schwerlich noch einmal, das heißt bis nach den Gemeindewahlen, vertagen lassen.
Schon zückte DP-Präsident Claude Meisch wiwder das im Frühjahr vom Luxemburger Wort in Umlauf gebrachte Zauberwort: „Neuwahlen“. Er glaubt offenbar noch weniger als der Premier an eine nächste Tripartite-Runde, denn seit der vom Premier abgebrochenen Tripartite im Frühjahr hätten sich die Sozialpartner nicht aufeinander zu bewegt.
Doch nun im Herbst müssten Entscheidungen fallen, um die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe und die Sanierung der Sozialversicherung voranzutreiben, verlangte Meisch am Dienstag gegenüber RTL. Gelinge dies nicht, erweise sich die Regierung als handlungsunfähig und müsse „fairerweise“ den Platz räumen, um Neuwahlen zu ermöglichen.