Alles ist platt und wir dann auch. Wer hätte das gedacht wer hätte denn das gedacht! Dass er tut was er sagt. Es war alles gesagt worden, wer kann denn ahnen, dass? Dass einer tut was er sagt. Der Mann mit dem niedlichen Quietschentennamen. Da sind wir aber verblüfft.
Es war kein Bluff. Alles platt. Plattgemacht. Manches geht wie von selbst. Fliegt in die Luft. Menschen flogen in die Luft durch die Luft wir beobachteten sie im Video wie es Menschen regnete in Echtzeit. Nur ein paar, keine Massen, nur ein paar Kollateralschädlinge, die nach einem Hochgewirbeltwerden seltsam sanft dem Himmel aus dem Schoß fielen.
Gazam delendam est, lautete das Gebet, der Fluch, die Floskel, der Beschwörungsspruch, und immer noch ist dieses Gaza nicht weg vom Fenster. Immer noch vermasselt es die Aussicht. Die ist doch so schön. Wäre. Das Meer. Die Traumstrände. Was man da bauen könnte. Aufbauen. Investieren. Ein Eldorado. Trump träumte. Wenn die nicht wären. Weil. Da bewegt sich noch was. Hin und her und her und hin und von Norden nach Süden und zurück. From the river to the sea, psst, nicht sagen! Nicht zu sagen wagen. Nicht laut schreien, auf den Straßen Europas! Das könnt ihr in Gaza tun. Schreit sowieso zum Himmel, Gaza.
Auch wenn die Welt, oder das, was sich dafür hält, es rücksichtsvoll totschweigt. Allenfalls gepflegt drüber plappert. Gibt ja kaum noch Journalist/innen, die aus Gaza berichten. Totgebombt. Totgeschossen. Nur der Papst hat noch angerufen, ein treuer Angehöriger, Tag für Tag. Dann nicht mehr.
Und plötzlich, auf einmal, gibt es Stimmen die sich erheben, zaghaft aber doch. Jetzt, wo die Ankündigungen nur so niederprasseln. Wo der Mann mit dem Quietschentennamen die Eroberung des Gazastreifens verkündet. „Eroberung“, schreiben die Zeitungen, schamhaft unter Anführungszeichen, klingt wohl unzeitgemäß für eine vielgerühmte Westliche-Werte-Demokratie. In ein steriles Gebiet sollen die Menschen jetzt, dort will er sie vor ihm schützen. Und plötzlich, auf einmal, mehren sich die Stimmen die zweifeln und bedenken und sie werden lauter.
Und überall sind plötzlich die Bilder. In den sozialen Medien tauchen sie auf, Fotos von fröhlichen Kindern die dann eingepackt in einem Body-Bag, was besser klingt als Leichensack, auf einem Betonboden liegen. Das Kind Hind, von dem wir wissen, dass es Stunden lang weinend auf seine Hinrichtung wartet, alleine in einem Auto neben seiner toten Familie, wie so viele kleine Mädchen stolz im rosa Kleid. Und war es eine Hinrichtung, war sie nicht einfach nur ein Kollateralschaden? Wie 50 000 andere? Oder ein Tötungsopfer? Wie wir jedes Wort in diesem Vernichtungskrieg auf die Wortwaage legen, nur kein falsches Wort, wo Zehntausende richtig tot sind. Der Junge mit dem nackten Oberkörper ohne Arme, der uns ansieht ohne uns anzusehen, mit einem Blick jenseits allen Schmerzes, einem Blick dem wir nicht mehr entrinnen werden. Dieser Knaben-Torso, dieses ikonische Bild ist ein gefährliches Bild. Es wird nicht wegzudenken sein.
Während wir hier gedenken. Gemütlich. Gepflegt. Während wir hier gedenken in unserm Gedenkgehege. Schön eingefriedet, der Frieden. Mit feierlicher Musik, bewegenden Reden, man weiß wo man steht, auf der richtigen Seite, wo sonst? Wie schön einig wir uns sind. Wie schön gemeinig. Ein Gedenkreservat, in dem die Guten sich gut vorkommen und die Nachkommen der Bösen ihre Mea Culpa Routine absolvieren, schön reingewaschen strahlen alle einander an. Europas Rechte kommen mit Kippa. Alles ist gut! Super in Yad Vashem!
Vor achtzig Jahren. Vom Übel befreit. Vom Bösen. Nie wieder. Ist das ein exklusives Label? Wird es für immer nur für die Einen gelten, die das Leiden für immer zu den Einzigen macht?
Kinder, die sich um Essen reißen, Kinder die vor einem leeren Fressnapf kauern, die Kinder von Gaza, die Krüppel von Gaza, die Kinderkrüppel von Gaza. Die Gespenster von Gaza. Sie sind plötzlich da, sie gehen nicht mehr weg. Und wenn sie alle nicht mehr da sind, gehen sie erst recht nicht mehr weg. Nie mehr.