Als die CSV bei den Kammerwahlen 1974 drei Sitze verlor, verzichtete sie noch am Wahlabend auf eine erneute Regierungsbeteiligung. Am vergangenen Sonntag erlebte sie ihre schwerste Wahlschlappe seit 40 Jahren, verlor erneut drei Sitze und erklärt seither, dass alle zu dumm seien, um zu erkennen, dass sie in Wirklichkeit die Wahlen gewonnen habe. Dass ihr die Einsicht von 1974 heute fehlt, hängt vielleicht mit der augenblicklichen Vakanz von André Heiderscheids Posten zusammen.
DP, LSAP und Grüne ließen deshalb nichts anbrennen und begannen bereits am Montag Sondierungen über eine mögliche Dreierkoalition. Sie wollten verhindern, dass der für seine sehr konservativen Ansichten bekannte Großherzog Henri im verfassungsrechtlichen Niemandsland den bisherigen Premier rasch zum Formateur ernannt hätte, um der Wahlverliererin CSV eine Schlüsselposition zu sichern. Wie recht sie mit ihren Befürchtungen hatten, zeigte sich am Dienstag, als verschiedene Parteivorsitzende nach den Beratungen im großherzoglichen Palast berichteten, wie der offenbar schlecht beratene Großherzog eine CSV/DP-Koalition bevorzuge und nun sich nun Sorgen um die politische Stabilität im Land mache.
Um nicht wieder eine Verfassungskrise auszulösen, verzichtete der Großherzog doch noch darauf, Jean-Claude Juncker einen Auftrag zu erteilen. Er ließ sich lieber von einem unparteiischen Richter informieren, dass die drei Parteien bereits Koalitionsverhandlungen beschlossen hätten und Xavier Bettel fest damit rechne, am heutigen Freitag den Palast mit einem Auftrag zur Regierungsbildung zu verlassen.
Auch wenn der Großherzog sie nicht sonderlich mag, weil sie vor drei Jahren das Euthanasiegesetz gegen seinen und den Willen der CSV verabschiedeten, und der Erzbischof um seine staatlichen Zuschüsse bangt, drücken DP, LSAP und Grüne doch den Wunsch der Hälfte der Wähler nach einem politischen Wechsel aus. Der CSV gab dagegen nur ein Drittel den Auftrag, alles so zu belassen, wie es ist. Unter diesen Umständen ist der mehrheitlich gewünschte politische Wechsel im CSV-Staat schwerlich mit Hilfe der CSV vorstellbar.
Auch über die Stabilität einer vierten Koalition von mehr als zwei Parteien seit Einführung des allgemeinen Wahlrechts braucht man sich keine übermäßigen Sorgen zu machen. Denn zum einen waren es die CSV und ihre Affären, die im Sommer instabile Verhältnisse verursachten und schließlich zum Sturz der Regierung führten. Zum anderen sind die politischen Gemeinsamkeiten nicht zu leugnen zwischen den Liberalen, die sich vor einigen Jahren einen grünen Punkt ins Parteilogo operieren ließen; Grünen, die gleich zwei Kandidatinnen des Unternehmervereins 5 vir 12 auf ihren Listen hatten; und einem Sozialisten, der als Wirtschaftsminister der Fedil Tag für Tag seine lauteren liberalen Absichten beteuern musste.
Wenn alle 40 Jahre eine Koalition ohne Beteiligung der CSV regiert, dann mit dem Ziel einer nachholenden Modernisierung. 1974 sollte sie die seit dem französischen Mai 1968 überfällige Liberalisierung der Sitten und verschiedene arbeitsrechtliche Reformen vornehmen. 2014 soll sie die seit der deutschen Agenda 2010 überfällige Liberalisierung der Wirtschaft und verschiedene arbeitsrechtliche Reformen vornehmen. Das wird nicht ohne Widerstand geschehen. Aber vielleicht ist ihr erst einmal das Glück hold und der Beginn der Legislaturperiode wird von einem lang erwarteten Konjunkturaufschwung aufgehellt.