Dass in den staatlichen Heimen für schwer erziehbare Jungen und Mädchen, Schrassig und Dreiborn, nicht alles rund läuft, bemerken besorgte Stimmen wie die Ombudsfrau für Kinderrechte, das Antifolterkomitee, die Menschenrechtskommission und auch das Land seit Jahren. Wie schlimm die Verhältnisse wirklich sind, darauf versucht der neuste Bericht des Service du contrôle externe des lieux privatifs de liberté (CELPL) eine Antwort zu geben. Am Donnerstag präsentierte Ombudsfrau Lydie Err, die im Dezember das Amt von Marc Fischbach übernommen hat, ihren ersten Untersuchungsbericht. Ihr Service CELPL kontrolliere dort, „wo Menschenrechte auf dem Spiel stehen“.
Das ist keine Übertreibung: Im Mädchenheim Schrassig und im Jungenheim Dreiborn sind elementare Rechte der Jugendlichen in Gefahr. Die Strukturen sind marode, Schlafzimmer ohne Belüftung und Toiletten, sodass eingesperrte Jugendlichen nachts per Intraphone um Erlaubnis fragen müssen, aufs Klo gehen zu können. Es schimmelt in den Duschen, der Gebrauch von Cannabis ist verbreitet, Neuankömmlinge werden per Gewaltritual in die heimlichen Hierarchien der Heiminsassen eingeführt. Kurz: Die Jugendanstalten machen zum Teil einen fast verwahrlosten Eindruck.
Überbelegung und Personalmangel in Dreiborn und in Schrassig sind ein Dauerbrenner und wurden bereits von der Ombudsfrau für Kinderrechte angemahnt. Mehrfach. In Schrassig haben die meisten Mädchen immerhin ein Einzelzimmer, in Dreiborn hingegen überwiegen Zweibettzimmer, einige Jungen müssen sich gar zu dritt ein Zimmer teilen – auf einer Fläche, die nicht den gesetzlichen Vorgaben entspricht. Eine Krankenschwester ist verantwortlich für 82 Jungen und Mädchen – und ist derart überlastet, dass Erzieher Medizin austeilen müssen. Auch fehlt die Zeit, um Jugendliche bei ihrer Ankunft systematisch auf ihre Gesundheit zu untersuchen.
Die Mängelliste rückt unweigerlich die Kontroll-instanzen in den Fokus. Das Familienministerium, das die Verantwortung für die staatlichen Kinderheime hat, leitet die Kontrollkommission – von der man sich spätestens jetzt fragt, wie wirksam sie prüft. Ihre Berichte sind nicht öffentlich. Man habe fehlende Ressourcen und marode Infrastrukturen reklamiert, sagt Marc Barthelemy, Prüfer des Unterrichtsministeriums. „Wir schreiben Berichte, wenn es Dinge gibt, die wir beanstanden müssen“, so Barthelemy weiter. Bedenkt man, dass sechs Isolationszimmer seit Jahren ohne Toiletten funktionieren, obwohl die eingesperrten Jugendliche darin 23 Stunden ausharren müssen, und manche Werkstätten laut CELPL-Bericht „keiner Norm mehr“ entsprechen, müssten die Prüfer viel zu notieren gehabt haben. Was die Kommission konkret in den vergangenen Jahren bemängelt hat, möchte Barthelemy aber nicht sagen. Für Kindergärten, Schulen, Altenheime gibt es gesetzliche Auflagen, deren Nicht-Einhaltung zum Entzug der Betriebserlaubnis führen kann. Anders gesagt: Würde der Staat seine eigenen Hygiene- und Sicherheitsstandards ernst nehmen, müsste Dreiborn wohl teilweise zugemacht werden.
Lücken gibt es auch bei der pädagogisch-psycholgischen Betreuung: Der Bericht lobt die Arbeit in den Werkstätten und die der Lehrer, Psychologen und Erzieher. Denn, auch das stellt die Ombudsfrau fest: Wären nicht 13 Kinder auf der Flucht, könnte das Heim gar nicht funktionieren, so problematisch ist der Betreuungsschlüssel, so akut die Raumnot. Die Ursachen hierfür sind vielfältig: Es war schon immer schwierig, Erzieher für Dreiborn und Schrassig zu rekrutieren. Das komplizierte Einstellungsverfahren für Staatsbedienstete macht es nicht unbedingt einfacher. Einige versuchen es, scheitern aber nach wenigen Monaten und suchen entnervt eine neue Stelle, die weniger Stress und mehr Aussicht auf Erfolg verspricht. Manche halten dem Druck nicht stand, melden sich krank. Burnout ist ein Riesenproblem. Diejenigen, die bleiben, versuchen unter schwierigen Bedingungen eine ordentliche Arbeit zu machen – und zum Teil gelingt ihnen das auch. Laut Lydie Err jedoch nicht systematisch genug: Anders als im halboffenen Erwachsenen-Gefängnis, wo jeder Häftling einen Vollzugsplan erhält, der ihn auf das Leben in Freiheit vorbereiten soll, geschieht das im Erziehungsheim für Minderjährige nicht.
Wie kann das sein? Überwacht die Direktion nicht die Arbeit der Psychologen und Erzieher? Im Bericht wird sich für die Zusammenarbeit mit der Direktion bedankt und dennoch drängt sich bei der Lektüre des rund 100-seitigen Berichts der Eindruck auf, beide Erziehungsanstalten hätten vor allem ein Problem: auf der Führungsebene. In den Heimen vor Ort und im zuständigen Familienministerium.
Der Anstaltsdirektor hielt es offenbar nicht für nötig, auf den Bericht der Ombudsfrau schriftlich zu reagieren, die Möglichkeit dazu hatte er. Obwohl offenbar mit der Führung von Schrassig und Dreiborn an der Belastungsgrenze, bekam Direktor Fernand Boewinger noch die Verantwortung für die so genannte Unisec übertragen. Drei Jahre nach der Grundsteinlegung und acht Jahre nach dem Inkrafttreten des überarbeiteten Gesetzes über das staatliche Erziehungsheim, das den geschlossenen Sicherheitstrakt vorsieht, liegt noch kein erzieherisches Konzept dafür vor. Das Land erkundigte sich im Januar danach. Damals hieß es seitens des Ministeriums, es sei „so gut wie fertig“. Zehn Monate später liegt es immer noch nicht vor. Man arbeite daran, schreibt die Kontrollkomission in ihrer Antwort an die Bürgerbeauftragte – nachdem sie zunächst in Zweifel zieht, dass sie die geschlossenen Erziehungsanstalten überhaupt kontrollieren dürfe. Darf sie, beharrt Lydie Err. Ihr Kontrollmandat erstrecke sich auf alle Einrichtungen, „in der Menschen ihrer Freiheit beraubt sind und nicht einfach gehen können“. Weil es sich um schutzbedürftige Personen handele, sei es „großzügig“ auszulegen.
Kritik gibt es auch am unklaren Verfahren der Leibesvisitationen. Jugendliche berichteten gar von Übergriffen eines Erziehers. Leibesvisitationen dürften nur vom jeweils gleichen Geschlecht und nur in Anwesenheit von Zeugen durchgeführt werden, so Err – eigentlich eine Selbstverständlichkeit und im Erwachsenenvollzug durch interne Vorschriften geregelt.
Ähnliches gilt für die Isolationshaft, bei der ein Jugendlicher 23 Stunden am Tag weggeschlossen wird und die laut Gesetz bis zu zehn Tage andauern kann. Viel zu lange, meinte Err besorgt, Isolation sei als letztes Mittel zu verordnen, wenn alle anderen Erziehungsmaßnahmen versagen. Es sei schon vorgekommen, dass Jugendliche bis zu sechs Tagen in den Zellen hockten. Und die eine Stunde Freigang, die ihnen zusteht, das berichteten befragte Heiminsassen, werde auch nicht immer im vollen Umfang gewährt. Generell sind die CELPL-Kontrolleure bei ihrem Besuch auf viel Frustration über unfaire undurchsichtige Disziplinarmaßnahmen gestoßen. Jugendliche berichteten beispielsweise, sie seien vom Jugendrichter, der über ihre Verlängerung entschieden hat, nie gehört worden – das wäre ein gravierender Verstoß gegen das Grundrecht auf Verteidigung.
Alles in allem ein recht düsteres Bild, das der Bericht der Ombudsfrau und ihr Team da aufzeichnet. Dabei hat Luxemburg seit 2002 eine regelrechte Kinderrechtsbeauftragte, Marie-Anne Rodesch-Hengesch, die in ihren nunmehr fast zehn Jahren Amtszeit die Missstände in Dreiborn und Schrassig ebenfalls wiederholt problematisiert hat – wenngleich, das fällt auf, nicht in so einer deutlichen und konzentrierten Form wie sie nun mit dem Bericht von Lydie Err vorliegt.
Der Grund sind eienrseits wahrscheinlich fehlende personelle Ressourcen, denn im Gegensetz zur vom Parlament gewählten Ombudsfrau wurde die vom Familienministerium finanzierte Kinderrechtsbeauftragte viele Jahre nur von einer Sekretärin und einem ehrenamtlichen Komitee unterstützt. Seit einem Jahr steht dem Komitee eine Juristin zur Seite.
Ein anderer Grund mag in der Persönlichkeit liegen. Während die gelernte Anwältin, ehemalige LSAP-Abgeordnete und Staatssekretärin Lydie Err sich – gezwungenermaßen – dieser Tage einen öffentlichen Schlagabtausch mit Ex-Jugendrichter Alain Thorn lieferte (er hatte ihre Kontrollfunktion in einem Brief ans Parlament hinterfragt), hebt die gelernte Sozialarbeiterin und Kinderrechtsbeauftragte Rodesch-Hengesch die Stimme eher selten. Dabei hatte Alain Thorn Land-Informationen zufolge auch dem Ombudskomitee die Arbeit nicht immer erleichtert, etwa als er dessen erste Kontrollvisite in Schrassig zu verhindern beziehungsweise einzuschränken versuchte.
Das ORK hat aber vor allem andere inhaltliche Schwerpunkte gesetzt: Ein Gros der Zeit, etwa zwei Drittel, wird für Beratungen, beispielsweise in Scheidungsfällen, verwendet. Wichtig für die betroffenen Kinder, was aber bedeutet, dass die Gelder (rund 150 000 Euro für das Jahr 2013), mit denen der Staat das ORK unterstützt, nicht für andere Aufgaben ausgegeben können. Insofern könnte Lydie Errs Bericht, außer hoffentlich zur Verbesserung der Lage in Dreiborn und Schrassig, vielleicht zu einer Neubestimmung der Aufgaben der Kinderrechtsbeauftragten beitragen. Im Dezember endet das Mandat von Marie-Anne Rodesch-Hengesch.
Kommentar
Auch schwer erziehbare Jugendliche haben Grundrechte. Das stellt die Ombudsfrau Lydie Err mit ihrem Bericht zu den staatlichen Erziehungsheimen unmissverständlich fest. Auf rund 100 Seiten haben Err und ihr Team Schrassing und Dreiborn untersucht und dabei gravierende Mängel festgestellt. Ihre Beobachtungen setzt die staatliche Kontrollkommission unter Druck: Wie kann es sein, dass die Kontrolleure aus Familen-, Justiz- und Unterrichtsministerium Missstände, wie eine unzureichende medizinische und pädopsychiatrische Versorgung, nicht bemerkt haben? Und falls doch – wieso wurde nicht längst Abhilfe geschaffen?
Wenn es nicht einmal möglich scheint, für ausreichend Toilettenpapier zu sorgen, wenn ältere Heiminsassen jüngere physisch oder psychisch drangsalieren, wenn tatsächlich auf breiter Ebene Cannabis geraucht wird, dann fragt sich auch, ob die Leitung ihr Haus noch im Griff hat. Und wenn nicht, wieso diese Leitung dann zusätzlich mit der Aufgabe betraut wird, eine geschlossene Abteilung pädagogisch zu planen und zu leiten? Auf die Frage des Land im Frühjahr, wann das Konzept der Unisec endlich steht, antwortete der Direktor lapidar: Irgendwann. Vielleicht ist diese Verantwortung besser woanders aufgehoben?