„Wir nehmen die Sache sehr ernst“, sagte Joëlle Ludewig vom Familienministerium am Montag. Am vergangenen Freitag war bei einem Kontrollbesuch wegen geplanter Umbaumaßnahmen im Internat Sankt Marie auf dem Limpertsberg Asbest gefunden worden. Dann musste alles schnell gehen: Die 29 Mädchen und Jungen, die in dem Internat wohnten, fanden in der Jugendherberge in Burglinster ein neues provisorisches Zuhause. „Es ist eine Vorsichtsmaßnahme“, sagt Claude Baumann vom Bischofskonvikt, der die schnelle Reaktion des Ministeriums lobt.
Die Raumluft ist, so meldete das Familienministerium am Donnerstag, offenbar unbelastet. Trotzdem stellt sich die Frage, warum das Asbest erst jetzt gefunden wurde. Das Internatsgebäude ist mehrere Jahrzehnte alt. „In den 50-er, 60-er und 70-er Jahren galt Asbest in der Bauindustrie als Wunderfaser und wurde oft verbaut“, erklärt Dirk Nienhaus von Luxcontrol. Die Firma hat sich auf Asbestanalysen spezialisiert. Ihre Mitarbeiter waren es, die im Internat den Giftstoff aufspürten. Über 3 000 Asbest-Produkte waren damals, zu Hochzeiten, auf dem Markt. Beliebt: Asbest auf dem Dach in Ethernitplatten oder als Dämmung von Rohrleitungen. Dem giftigen Gruß aus der Vergangenheit begegnet man daher häufig. Gefährlich wird Asbest aber nur, wenn es nicht gebunden ist oder in einem schlechten Zustand.
Im Limpertsberger Internat soll der krebserregende Giftstoff in der Verkleidung von Heizungsrohren entdeckt worden sein. Die Rohre seien „schleichend verwittert“, so Baumann. Weil man auf Nummer sicher gehen wollte, habe man sich entschieden, die Kinder zu evakuieren. Das ist löblich, beantwortet aber nicht die Frage, die sich nun viele besorgte Eltern in Luxemburg stellen, deren Kinder in alten Schulen, Turnhallen oder Maisons relais untergebracht sind. Immer wieder wird Asbest in öffentlichen Bauten gefunden: im Athenäum, das derzeit renoviert wird, im technischen Lyzeum in Esch, im technischen Lyzeum Mathias-Adam in Lallingen. Seit 2001 ist der Einsatz von Asbest in Luxemburg verboten.
Dass die Beseitigung von Asbest schnell in die Tausende gehen kann, musste die Stadt Luxemburg erfahren, als in der Grundschule Aloyse Kayser in Belair erhöhte Asbestwerte in der Raumluft gemessen wurden. „Gefahr für die Gesundheit habe „zu keinem Moment bestanden“, betont Xavier Bettel, Bürgermeister der Stadt Luxemburg. „Aber wir wollten sicher gehen, deshalb haben wir die Kinder umgesiedelt.“ Im Zuge dessen wurden die Werte einer weiteren Schule bekannt: In der Merler Grundschule waren Spuren von Asbest im Keller und unterm Dach gefunden worden.
Daraufhin ließ die Gemeindeverwaltung in den Sommerferien sämtliche Schulgebäude, die in der Nachkriegszeit gebaut wurden, also rund 50 bis 60, auf Asbest überprüfen. Die Berichte liegen noch nicht schriftlich vor, aber es scheint, als lägen die Messwerte, mit einer Ausnahme, im gesundheitlich unbedenklichen Bereich. Der gesetzliche Grenzwert liegt in Luxemburg bei 500 Asbestfasern pro Kubikmetern (in Deutschland bei 1 000). Lediglich in einem Bastelsaal in der Grundschule in der Rue Jean-Baptiste Gellé wurden erhöhte Werte in der Raumluft gemessen; der Raum wurde zur Rentrée versiegelt. Xavier Bettel warnt vor „Panikmache“, schließlich muss nicht jeder Asbestfund „direkt krebserregend“ sein. Tatsächlich treten die Fasern meistens in fest gebundener Form auf. Allerdings: Über die Jahre können Isoliermassen verwittern, Linoleumböden aufreißen und so gefährliche Asbestfasern an die Atemluft gelangen. Schon eine geringe Menge eingeatmeter Staub reicht aus, um Krebs zu erzeugen. Über 200 000 Euro haben die außerordentlichen Untersuchungen gekostet – die Sanierungen nicht eingerechnet.
Doch während die Hauptstadt aus den Erfahrungen gelernt zu haben scheint, ist das bei anderen Gemeinden nicht so sicher. In Esch, versichert der zuständige Leiter des Bauamtes, Luc Everling, „haben wir kein kommunales Gebäude, bei dem ein direktes Risiko besteht“. Jedes Mal, wenn größere Sanierungs- oder Umbauarbeiten älterer Bauten anstünden, so Everling weiter, würde „auch nach Asbest geguckt“.
Ein systematisches Inventar über Gebäude mit erhöhtem Asbestrisiko führt die Südgemeinde aber nicht. Dabei gibt es noch mehrere ältere Schulen. Auch Turnhallen und Vereinshäuser aus den 60-er und 70-er Jahren werden noch genutzt. Man werde „au fur et à mesure“ tätig, so Everling. Werde Asbest gefunden, würden „alle notwendigen Schritte unternommen“, um den gefährlichen Giftstoff ordnungsgemäß zu entsorgen. Das kann beispielsweise eine Versiegelung sein oder eine Komplettentfernung, wie bei einer Pastorenwohnung, die die Gemeinde in ein Studentenwohnheim umbauen ließ. Dann muss der Gemeinderat auch mal kurzfristig rund 180 000 Euro bewilligen. Die letzte größere Asbestsanierung einer Schule liegt in Esch laut Everling einige Jahre zurück.
„Es gibt einige Stellen, von denen wir sicher wissen, dass Asbest eingebaut wurde“, sagt Elke Peterhänsel vom Technischen Dienst der Stadt Differdingen. Die Ingenieurin ist unter anderem für Asbest zuständig. „Wir haben viele Gebäude, bei denen Asbest eingebaut sein könnte.“ Potenzielle Gefahrenherde würden im Auge behalten, so Peterhänsel, und wenn nötig saniert. So beispielsweise die Jongeschoul in Niederkorn, wo die Asbestsanierung mit rund 220 000 Euro zu Buche schlägt. Ein systematisches Register oder Asbestkataster, wie es etwa Bremen und Zürich für Schulgebäude führen, gibt es nach bisherigen Land-Erkenntnissen in keiner Gemeinde. Auch in Differdingen nicht. Man sei dabei, eine Liste der Asbestfunde zu erstellen, so Peterhänsel. Alte Schulen werden aber nicht regelmäßig auf Asbest geprüft, räumt sie auf Nachfrage ein.
Im Bettenburg wähnt man sich glücklicher: Alle Grundschulen seien in den 90-er Jahren „komplett ausgehöhlt und saniert worden“, heißt es vom dortigen Bauamt. „Wir gehen daher stark davon aus, dass wir eher kein Asbestproblem in den Schulen haben.“
Ob das die Bürger der Gemeinde zufrieden stellt? Die Diagnose Asbest ist nicht leichtfertig zu nehmen. Und Schulen sind nicht der einzige öffentliche Ort, an dem sich Kinder und Erwachsene aufhalten, wie die Asbestfunde im CNS-Gebäude an der Escher Straße in der Hauptstadt oder, ganz aktuell, im Internat Sankt Marie zeigen. Initiativen wie in Deutschland, wo Sachverständige bundesweite Stichproben in alten Schulen forderten, nachdem in Hamburg kurzzeitig über 140 Schulsporthallen wegen Asbestverdacht geschlossen werden mussten, gibt es hierzulande nicht.
Der Umgang mit dem Krebsrisiko stimmt bedenklich: Dass Umweltanalysen für Bürger einsehbar sind, hat in Luxemburg Seltenheitswert. Die Stadt Luxemburg überlegt, die Ergebnisse der Asbestkontrollen zugänglich zu machen, „wenn die schriftlichen Berichte vorliegen“, heißt es. Im Falle des CNS-Gebäudes war es das Journal, das im August eine Kopie eines baubiologischen Gutachtens zugespielt kam – das zum Ergebnis kam, dass kein Asbest festgestellt werden konnte. Dabei war Mitarbeitern der CNS per Rundschreiben mitgeteilt worden, dass sehr wohl Asbest in Kautschukverbindungen, Feuerklappen und Wandverkleidungen gefunden worden war. Die Haustechniker sowie externe Handwerker wurden zudem strikt angewiesen, jede Freisetzung von Asbest, etwa durch Bohrungen oder Durchbrüche, zu vermeiden. Handwerker und Techniker sind besonders gefährdet, da sich viele der krebserregenden Wirkung von Asbestfasern nicht bewusst seien, warnt Dirk Nienhaus von Luxcontrol.
Doch obwohl es Firmen gibt, die Asbest auffinden und bei einem Fund die Eigentümer professionell über Risiken und Entsorgung beraten können – beim Thema Asbest wird die Kommunikation oft schwerfällig. Wer über die Giftfaser recherchieren will, stellt fest, dass in manchen Gemeinden nicht einmal präzise definiert ist, wer verantwortlich für derartige Kontrollen öffentlicher Gebäude ist und wie häufig diese stattfinden. Als ein Kamerateam von RTL im Rahmen einer Reportage im Juli auf eine ungeschützte Deponie mit Asbest-Müll in Niederanven stieß, wollten oder konnten die Gemeindearbeiter nichts sagen. Der Bürgermeister erklärte sich bereit für ein Interview und erstattete Anzeige gegen unbekannt. Offenbar hatte der Haufen schon eine Weile herumgelegen, bei der Gefährlichkeit des Giftstoffes ein Unding.
Aus dem Familienministerium hieß es am Donnerstag, „alle Strukturen mit mehr als zwölf Kindern“ würden im Rahmen einer neuen Vorschrift künftig von den Experten der Inspection du travail et des mines (ITM) auch auf Asbest kontrolliert. Das ASFT-Gesetz verpflichtete bislang das Ministerium und die Träger, Hygiene und Gesundheitsgefährdung in Einrichtungen zu überwachen. Allerdings kontrolliert die ITM nicht alle Heime und Internate im Land: Auf der Internetseite des Konvikts stehen zwei weitere Internate, die in älteren Gebäuden untergebracht sind, das Sankt Willibrord in Echternach mit 70 Bewohnern sowie das Pensionat Sankt Joseph in Ettelbrück mit 65 Schülern. Für diese sei das Bautenministerium zuständig, so Konviktleiter Claude Baumann. Trotz mehrfacher Anläufe konnte der Verantwortliche bis Redaktionsschluss nicht erreicht werden. Offenbar hat man dort Wichtigeres zu tun, als Presseanfragen über Asbest und Sicherheit zu beantworten.
josée hansen
Catégories: Architecture et urbanisme, Infrastructures
Édition: 13.07.2012