Eigentlich hätte das Max-Planck-Institut (MPI) for International, European and Regulatory Procedural Law noch bis Mitte 2026 bestehen sollen – bis zur Emeritierung der Direktoren. Aber in den vergangenen Monaten gaben beide Direktoren bekannt, dass sie im Herbst neue Posten antreten werden, weshalb die Überführung des MPI in die Universität Luxemburg voraussichtlich zu Beginn des kommenden Jahres abgeschlossen sein wird. Die Direktorin Hélène Ruiz Fabri kehrt zurück nach Paris an die Sorbonne und der Direktor Burkhard Hess hat einen Vertrag mit der Universität Wien unterschrieben. Die Luxembourg Times zitiert eine E-Mail von Hess an die Mitarbeiter/innen, der zufolge sich die „Arbeitsatmosphäre in den letzten Jahren“ weiter verschlechtert habe. Hess zeigt sich „besorgt“ über die internen Vorgänge und deren „Impakt auf das Personal“. Im März 2020 ernannte die Max-Planck-Gesellschaft Berglind Fridriks zur Geschäftsführerin, die bereits in zwei Anwaltskanzleien als Leiterin der Personalabteilung fungierte. Sie weist sich über LinkedIn als „äußerst effektive Führungskraft“ aus; als Macherin, die dank eines „starken operativen Hintergrund[s] Ergebnisse erzielt“. Laut acht Personen, mit denen die Luxembourg Times gesprochen hatte, wurde Berglind Fridriks bald Teil des Missmuts am Institut. Dabei war sie angestellt worden, um die Mobbing-Vorwürfe und Managementprobleme dort zu beheben. Nach ihrer Ernennung gingen beim OGBL mehr als 25 Beschwerden ein, unbekannt bleibt allerdings, wieviele auf ihre Person zurückzuführen sind.
Im März dieses Jahres führte der Erste Regierungsrat Léon Diederich vom Hochschul- und Forschungsministerium gegenüber der Presse erstmals Managementprobleme als Schließungsgrund für das Institut an. Man sei mit der Forschung zufrieden, aber nicht mit der Institutsleitung. Überdies geht aus Stellungnahmen hervor, die Forschungslandschaft habe sich seit der Gründung des MPI auf dem Kirchberg verändert. Unter Minister Claude Meisch (DP) wurde 2019 eine Strategie für Forschung und Innovation veröffentlicht, die festhält, die Regierung wolle die Forschungsanstrengungen neu bündeln. Zu weiterführenden Stellungnahmen ist das Ministerium derzeit nicht bereit; man wolle formale, inhaltliche und finanzielle Details Mitte September bekannt geben. Auf der Homepage der Max-Planck-Gesellschaft mit Sitz in München steht vermerkt, dass die Universität Luxemburg alle Mitarbeiter/innen des MPI sowie laufende Forschungsprojekte übernehme. Da das MPI als nicht-universitäre Einrichtung keine Doktortitel vergibt, promovierte ohnehin ein Großteil der Doktorand/innen des MPI an der Universität.
Der Bibliotheksleiter Jeroen Vervliet erläutert, sein Team sei dabei, „das Ausleihsystem an das Luxembourg Learning Centre der Universität anzugleichen“. Seit ihrem Bestehen hat die MPI-Bibliothek etwa 70 000 Bücher erworben. „Ich schätze den Wert des Bestands auf fünf Millionen Euro“, sagt Vervliet. In ihren Vitrinen hat die Bibliothek einige seltene Bücher ausgestellt (siehe Foto). Viele dieser Bücher gehen auf eine Schenkung des verstorbenen Professors Giuseppe Tarzia zurück. „Im Januar 2024 wird die Universität Luxemburg eine einzigartige Sammlung erben“, versichert Vervliet. 25 000 bis 30 000 Bücher werden jährlich ausgeliehen. Zusätzlich werden etwa 55 000 Einträge von Datenbanken mit juristischen Inhalten abgerufen. Ehemalige Mitarbeiter berichten zudem von einer hohen gesellschaftlichen Anerkennung des Instituts, an dem viele Rechtsexperten verkehrten, um sich Vorträge anzuhören oder Bücher zu konsultieren. Dazu trug auch bei, dass das MPI nahe dem Europäischen Gerichtshof gelegen ist.
Unklar ist, was mit der Max Planck Encyclopedia of International Procedural Law passiert, wer daran weiterarbeiten wird. Der Rechtswissenschaftler Jochen Zenthöfer bezeichnete sie in einem FAZ-Artikel als „die erfolgreichste Forschungsleistung des Instituts“. Aus internen Kreisen geht hervor, die Universität Heidelberg habe Interesse daran geäußert, ob sie aber ohne Weiteres ein vom luxemburgischen Staat finanziertes Forschungsprojekt übernehmen kann, ist fraglich. Um die zehn Millionen Euro jährlich hat der Luxemburgische Staat ins MPI gesteckt, das es zu 100 Prozent finanziert hat. Völlig im Dunkeln liegt überdies, ob die thematische Ausrichtung des Instituts bestehen bleibt, oder ob eine Neuorientierung vom Ministerium angedacht ist. Geplant bei der Gründung des MPI waren drei Abteilungen. Allerdings etablierten sich nur das Department of Public International Law und das Department of European and Comparative Procedural Law. Die dritte Abteilung für Regulatory Procedural Law entstand nicht. Dabei erhoffte sich die Regierung vermutlich von Letzterem einen praktischen Nutzen, da es den Fokus auf Finanzmärkte legen sollte. Reporter spekulierte, die Gründung könnte daran gescheitert sein, dass das Budget bereits ausgereizt war. Gesetzlich darf ein Maximalbeitrag von zwölf Millionen nicht überschritten werden; jährlich beanspruchten die beiden Abteilungen aber um die zehn Millionen Euro.
Einer breiteren Öffentlichkeit wurden die Probleme am MPI im Februar 2020 durch eine BuzzFeed-Recherche bekannt: Es herrsche eine Angstkultur am Institut. Vor allem Direktorin Hélène Ruiz Fabri übe Druck auf ihre Mitarbeiter/innen aus. So sei eine ehemalige Mitarbeiterin ohne „nachvollziehbaren Grund zu einer Vertragsauflösung gedrängt worden“. Ein weiterer Mitarbeiter wurde beschimpft, er sei passiv wie ein Beamter, dem es reiche, nur am Arbeitsplatz zu erscheinen. Während des Mitarbeitergesprächs habe sie schließlich die Fassung verloren und „verdammte Scheiße“ gerufen. Andere Mitarbeiter/innen bestätigten, dass bestimmte Personen vor Kolleg/innen gedemütigt worden seien. Als die Personalvertretung am Max-Planck-Institut auf dem Kirchberg eine Umfrage unter den Mitarbeiter/innen durchführte, antwortete ein Viertel, psychologischen Druck oder Mobbing erfahren zu haben; das ist deutlich mehr, als von anderen Arbeitsumfeldern bekannt ist. Von ähnlichen Vorfällen wurde in Deutschland berichtet. Am MPI für Astrophysik in Garching hatte eine Professorin einen Nachwuchswissenschaftler beschuldigt, Daten zu fälschen, und behauptet, er sei unfähig, eine wissenschaftliche Arbeit zu schreiben, berichtete der Spiegel 2018.
Bereits 2018 kontaktierte ein Mitarbeiter die zuständige Ombudsfrau der Max-Planck-Gesellschaft, Elisabeth Kieven, per Mail. Er beschrieb darin die belastende Arbeitsatmosphäre und sprach von einem „Klima des Terrors“, wie BuzzFeed berichtete. Die Ombudsfrau versicherte dem Mitarbeiter, der Fall würde anonym behandelt. Allerdings informierte die Max-Planck-Gesellschaft die Direktorin über die Beschwerden ihre Person betreffend, indem sie den Anfangsbuchstaben des Nachnamens des Mitarbeiters angab – der war danach schnell identifiziert.
Vermutlich hängen die Probleme mit der Leitungsstruktur des MPI zusammen. Die Direktoren haben keine Vorgesetzten, und insbesondere am MPI Luxemburg besaßen sie große Verwaltungsfreiheiten. Die Machtstrukturen verlaufen nach dem Harnack-Prinzip, das festlegt, dass die Institute rund um Spitzenforscher/innen entstehen, die eine weitreichende Entscheidungsfreiheit genießen. Sie wählen ihre Themen und Mitarbeiter/innen selbst, arbeiten unter optimalen Bedingungen und sind nicht zur Lehre verpflichtet. Die Max-Planck-Gesellschaft schreibt auf ihrer Homepage, das Harnack-Prinzip sei Teil des Erfolgsrezeptes der Institute. 1948 ging die Max-Planck-Gesellschaft aus der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften hervor. Heute zählen die mehr als 80 Max-Planck-Institute zu den renommiertesten Forschungseinrichtungen weltweit, an denen jährlich etwa 15 000 Publikationen entstehen. Hinzu kommt, dass die Professoren meist nicht darin geschult sind, Mitarbeiterteams zu leiten und mit Konflikten umzugehen. Die Max- Planck-Gesellschaft gibt an, auf die Vorfälle der letzten Jahre reagiert und ihre Anlaufstelle für Opfer von Mobbing erweitert zu haben.
2012 hatte der damalige Hochschulminister François Biltgen (CSV) mit dem Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft das Gründungsdokument des MPI zur Erforschung europäischen Rechts unterzeichnet. Die Institutsgründung entspreche „der erklärten Absicht der Regierung, Luxemburg zu einem anerkannten Forschungsstandort für europäisches Recht zu machen“, schrieb damals das Luxemburger Wort. Nach einer Dekade wird das MPI nun abgewickelt. Es ist es das vierte MPI, das faktisch geschlossen wird. Auf die Nachfrage, ob es das erste Institut ist, dass aufgrund von Managementproblemen geschlossen wird, weicht die Max Planck Gesellschaft in München aus.