„Was, Sie verstehen nicht, was wir mit der zweiphasigen Tabakpreiserhöhung meinen?“, erregte sich die grüne Fraktionsvorsitzende Viviane Loschetter, als das Land am Montag bei ihr anrief. Da hatte die Fraktion gerade eine Pressemitteilung verschickt, in der stand, der Tabakpreis werde in zwei Phasen erhöht, „eine erste Phase zum 1. Januar 2015 und eine weitere zu einem späteren Zeitpunkt“. Diese „vorsichtige finanzpolitische Entscheidung“ werde „auch von der grünen Fraktion getragen“. Dem Land erzählte Loschetter noch, „darin waren wir uns alle, wirklich alle in der Koalition, die Fraktionen, die Regierung, immer einig“.
So klingt, wer das Bündnis vor den Angriffen der CSV, aber auch sich selber in Schutz nehmen muss. Noch am Donnerstag und Freitag vergangener Woche hatten erst die Jonk Gréng, dann Parteipräsidentin Sam Tanson und zum Schluss Josée Lorsché, gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion, von keiner Preiserhöhung berichtet, mit der „alle immer“ einverstanden gewesen seien, sondern von einer „überraschenden“ Preissenkung, die die gesamte grüne Fraktion „ganz, ganz kritisch“ sehe, wie Lorsché am Freitag dem Radio 100,7 zu Protokoll gab. Und als die Radioreporterin fragte, ob sie sich „über die Öffentlichkeit an die Regierung wenden“ wolle, sagte die Abgeordnete ja und meinte noch, sie sei schließlich „nicht die Anwältin unserer Minister“.
Für ein paar Tage schienen die Grünen die politische Meinungsbildung zu revolutionieren. Abgeordnete der Mehrheit, die in den Medien die Regierung angehen – das ist der Stoff, aus dem Spiegel-Artikel entstehen. Doch was in Deutschland normal ist, ist es nicht im 560 000-Einwohnerstaat Luxemburg. Am Mittwoch wollte die tapfere Bettemburgerin Lorsché kein Wort mehr zur Tabakgeschichte sagen: „Ich habe meine Lektion gelernt.“
Ein wenig unglücklich war die Aktion schon verlaufen. Es stimmt ja, dass nach der denkwürdigen Regierungsratssitzung vom 8. Oktober nur Finanzminister Pierre Gramegna (DP) wusste, worin die 258 Maßnahmen aus dem Zukunftspak genau bestehen. Um sie in allen Details zu erläutern, war gar nicht genug Zeit, und nicht nur grüne Regierungsmitglieder und Abgeordnete entdeckten den Pak erst nach und nach. Aber als der Online-Dienst Paperjam.lu aus einem Verordnungsentwurf Gramegnas zitierte und meldete, für Tabakprodukte würden ab Januar die Auswirkungen der Mehrwertsteuererhöhung zwei Jahre lang durch eine Akzisensenkung kompensiert, damit das „Preisdifferenzial“ gegenüber Deutschland erhalten bleibe, suggerierte er, die Endpreise würden sinken. Wahrscheninlich aber werden sie steigen. Ein bisschen.
Gerade so stark, dass sie noch immer kleiner sind als die in Deutschland. Doch wer steht zur Verfügung, um der interessierten Öffentlichkeit die Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Steuern auf Tabak zu erläutern? Die Zollverwaltung nicht: Die Frage sei politisch und Sache des Finanzministeriums. Dort ist die zuständige Regierungsrätin und Abteilungsleiterin nicht anwesend, ihre Sekretärin stellt durch zum Pressesprecher des Ministers. Der erklärt, jeder Versuch, die Tabakakzisen verstehen zu wollen, mache einen „besoffen“, verspricht aber, einen kompetenten Gesprächspartner zu besorgen. Weil das zwei Tage später noch immer nicht geklappt hat, fragt das Land zum Abschluss der Pressekonferenz über den Informationsaustausch zu Steuerausländern Gramegna selber. Die Antwort: „Da wären wir heute Abend noch nicht fertig.“
Der Kern dieser Aussage besteht nicht darin, dass die Akzisenproblematik zu schwer verständlich wäre – auch wenn sie komplex ist: Auf bestimmte Güter, wie Tabak, Energieprodukte, Schnaps, Fruchtsaft und Kaffee, erhebt Luxemburg neben der Mehrwertsteuer noch eine zweite Verbrauchsteuer in Form von Akzisen. Seit 1922 die belgisch-luxemburgische Wirtschafts- und Währungsunion in Kraft trat, gehen beide Staaten bei den Akzisen gemeinsam vor. Deshalb wird auf manche Produkte eine part commune erhoben, die in einen belgisch-luxemburgischen Topf fließt und später aufgeteilt wird, und eine part autonome, die jeder Fiskus für sich einnimmt. Beim Tabak kommt hinzu, dass die Akzisen zum Teil auf den Preis (ad valorem) und zum Teil auf die Menge (pro tausend Zigaretten oder je Kilo Feinschnitttabak) erhoben werden. So dass für Tabakwaren in Luxemburg – und Belgien – vier Akzisensätze bestehen.
Aber der Finanzminister möchte gar nicht, dass zu viel Transparenz herrscht über die Tabakpreisbildung. Eine „flotte öffentliche Debatte“ sei das gewesen Ende letzter Woche. Sein Ministerium aber habe die Unklarheiten um die Steuern, Akzisen und Endpreise nicht beseitigt, „weil die Transparenz ihre Grenzen hat“. Mag Transparenz um die öffentlichen Finanzen auch ein Verfassungsgebot sein.
Auskunftsfreudiger sind die Marketingleute der Heintz-van-Landewyck-Gruppe: „Wir haben die Regierung schon 2013 darauf aufmerksam gemacht, dass die Tabakpreise in Luxemburg den deutschen gefährlich nahe kommen“, sagt Verkaufsdirektor François Elvinger. Eine typische Zigarettenpackung mit 19 Stück koste in Deutschland derzeit 4,15 Euro. In Luxemburg koste eine mit 20 Zigaretten vier Euro.
Steigt die Mehrwertsteuer um zwei Punkte, stiege der Preis der 20-er Packung aber nicht um zwei, sondern um 6,25 Prozent. Der Grund: Auf den Preis nach Mehrwertsteuer werden noch 48,14 Prozent Tabakakzisen ad valorem aufgeschlagen: 45,84 Prozent für den belgisch-luxemburgischen Topf, 2,3 Prozent für den Luxemburger Fiskus allein. Hinzu kommen pro Zigarette knapp 0,007 Cent für Belgien und Luxemburg gemeinsam sowie 0,01 Cent für die Staatskasse hier. Alles in allem, rechnet Elvinger vor, setze der Preis einer Vier-Euro-Packung sich derzeit aus 52 Cent Mehrwertsteuer und 2,28 Euro Akzisen zusammen, 79 Cent gingen an den Produzenten, 40 Cent an den Handel.
Ab Januar würde ohne die von der Regierung beschlossene Operation der Mehrwertsteueranteil auf 62 Cent steigen, der Akzisenanteil auf 2,40 Euro. Mit der Operation bliebe der Akzisenanteil bei 2,28 Euro – und der Ladenpreis einer 20-Zigarettenpackung in Luxemburg müsste sich nicht auf 4,25 Euro erhöhen, sondern nur auf 4,10 Euro und läge dann immer noch zehn Cent unter den 4,25 Euro, mit denen in Deutschland ab 1. Januar zu rechnen sei.
Man kann nur darüber spekulieren, weshalb der Finanzminister solche Berechnungen lieber nicht publik machte. Obwohl damit schon vergangene Woche die Diskussion um „Tabakpreissenkungen“ hätte beendet werden können, ohne der Koalition eine Blöße gegenüber der CSV zu geben. Klar ist natürlich: Die Heintz-van-Landewyck-Szenarien beziehen sich nur auf die Produkte des Hollericher Herstellers. Wahrscheinlich aber wollte Pierre Gramegna einfach nicht, dass zu viel über die Luxemburger Akzisenpolitik generell geredet wird. Seine Vorgänger handhabten das nicht anders.
Denn dass ein Staat seine Akzisen so gestaltet, dass Endpreise gerade noch unter denen der in Nachbarländern üblichen liegen, mag nicht so anrüchig sein wie fiscal rulings für ausländische Konzerne. Aber Luxemburg hält nicht nur die Tabak-, sondern auch die Mineralöl- und vor allem die Dieselakzisen möglichst klein, um riesige Volumina zu verkaufen. 80 bis 85 Prozent aller Tabakverkäufe, schätzt man bei Heintz van Landewyck, würden an Ausländer erfolgen, und vielleicht 60 Prozent fänden an den vielen Tankstellen statt. Das Groupement pétrolier schätzt den „Exportanteil“ beim besonders viel verkauften Diesel auf drei Viertel. Und wie ein Blick in den Staatshaushaltsentwurf 2015 und das Mehrjahresbudget bis 2018 zeigt, rechnet Luxemburg mit wachsenden Akziseneinnahmen: 92 Millionen Euro sollen es nächstes Jahr aus dem „autonomen“ Anteil an den Tabakakzisen sein, 96 Millionen im Jahr 2018.
Aber nicht nur das: 987 Millionen Euro sollen Luxemburg nächstes Jahr aus dem gemeinsamen Topf mit Belgien zufließen, in dem von Tabak- über Treibstoff- bis Kaffee-Akzisen alle möglichen gesammelt werden. Tendenz steigend: Für 2018 wird mit 997 Millionen gerechnet. Hinzu sollen nächstes Jahr 200 Millionen Euro „autonome“ Luxemburger Treibstoffakziseneinnahmen kommen, die bis 2018 auf 212 Millionen wachsen sollen. Plus jedes Jahr weitere 121,5 Millionen, die aus dem Treibstoffverkauf automatisch in den Beschäftigungsfonds fließen, und 62 Millionen Euro jährlich zur Speisung des Klimaschutzfonds. Summa summarum jeweils 1,5 Milliarden im Jahr.
Damit das klappt, versucht man jeder nur denkbaren Käufernatur zu gefallen, vor allem den Tankstellenkunden. Nach dem Krieg und bis 1953 verlief durch die Südeifel die „Aachener Kaffeefront“, über die im großen Stil Kaffee aus Belgien und den Niederlanden nach Deutschland geschmuggelt wurden, das damals pro Kilo zehn D-Mark Kaffeesteuer erhob. Heute ist die deutsche Kaffeesteuer mit 2,19 Euro pro Kilo Röstkaffee noch immer viel höher als die 24,8 Cent pro Kilo in Belgien und Luxemburg, aber die deutschen Kunden kommen über die offenen EU-Binnengrenzen im Auto daher und decken sich selber ein. „Wir hören“, sagt François Elvinger, „dass an den Tankstellen nahe der deutschen Grenze seit Mitte 2013 alle Verkäufe rückläufig sind; die von Tabak so wie die von Kraftstoff, Alkohol, Kaffee und was die Tankshops sonst noch anbieten.“
Für die Luxemburger Regierung ein Signal, etwas für die deutschen Kunden zu unternehmen. Wenn auch nur für maximal zwei Jahre. An die Kunden aus anderen Nachbarländern denkt man natürlich auch. Könnte ja sein, nicht nur die Deutschen blieben daheim, sondern Franzosen und Belgier führen zum Zigarettenkauf demnächst nach Deutschland. Am Ende kauften sie dort dann nicht nur Tabak? Es stünden viele Staatseinnahmen für Luxemburg auf dem Spiel.
Und das ist die eigentliche Herausforderung: Wegen des „Tanktourismus“ wurde Luxemburg schon vor zehn Jahren in EU-Ratstreffen „Parasit“ genannt. Ein Glück vielleicht, dass an den vielen Verkäufen hierzulande auch Belgien mitverdient: Mit rund 20 Millionen Euro jährlich ist Luxemburg Akzisen-Nettozahler an das 20 Mal mehr Einwohner zählende Nachbarland. Letzten Endes aber ist es ganz und gar nicht „nachhaltig“, einen so großen Teil der Staatseinnahmen an Akzisennischen zu binden. Wie aber könnte man, fielen Tabak-, Tank-, Kaffee- und Schnapstourismus weg, den Einnahmenverlust ausgleichen? Eine Studie über den Tanktourismus hat das Umweltministerium jetzt in Auftrag gegeben, und in einem Staatsfonds könnten „Überschüsse“ angespart werden.
Doch wenn Luxemburg schon die Steuerausfälle aus dem elektronischen Handel schwierig auszugleichen weiß, wäre ein Akzisenausfall umso härter. Da ist die Bemerkung Josée Lorschés im Radio, man müsse halt „ein wenig kreativ sein“, reichlich albern. Doch wie die Dinge liegen, braucht Luxemburg zumindest von EU-Klimaschutzseite her nicht um sein Tankstellengeschäft zu bangen. Der jüngste EU-Gipfel beschloss zwar, die CO2-Emissionen der Union bis Ende 2030 um 40 Prozent gegenüber denen im Jahr 1990 zu senken. Abgemacht wurde aber auch, wie Premier Xavier Bettel anschließend im Radio erklärte, den „Besonderheiten“ der Mitgliedstaaten Rechnung zu tragen. Im Abschlussdokument des Gipfels steht noch, es werde „viel mehr“ flexible Instrumente als bisher geben, um denen entgegenzukommen, die ihre Emissionssenkungen nicht schaffen. Da könnte man den Ausgang der jüngsten Akzisenoperation auch so interpretieren, dass sich trotz grüner Regierungsbeteiligung am Tanktourismus nichts ändern wird.