Das Schlimmste scheint geschafft. Man atmet wieder frische Luft. Nach vier Wochen Webcam-Theater, in dem die Schauspieler/innen nur dank Technik miteinander agieren konnten, tritt man sich bei der Volleksbühn wieder von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Für seine zweite Shakespeare-Inszenierung hat das Ensemble sogar eine alte Spielstätte erneut aufgesucht: die leerstehende Villa, in der vergangenes Jahr Every Brilliant Thing aufgeführt wurde. Wer nicht auf traditionelle Bühnen angewiesen ist, kann bereits spielen, während die Theater noch geschlossen sind. So schreitet Jacques Schiltz zum Auftakt durch den herrschaftlichen Garten der Villa und trägt den Prolog zu De Romeo an d’Juliette vor, den er für diesen Anlass selbst übersetzt hat.
Bevor der falsche Eindruck entsteht: Auch bei Produktion Nr. 3.4 aus der Reihe D’Stéck vun der Woch handelt es sich natürlich um einen YouTube-Livestream. Das Ensemble ist vor Ort, das Publikum weiterhin zu Hause. Ein fingierter Tonausfall direkt am Anfang weist auf die Tücken hin, mit denen man immer noch zu kämpfen hat. Davor macht bereits der Vorspann klar, dass sich Romeo und Juliette nicht näher als 1,5 Meter kommen dürfen, wenn sie keine Masken aufsetzen wollen. Jetzt könnte man sich denken: Kein Problem, in der berühmtesten Liebeszene des englischen Dramas steht die Frau auf einem Balkon und der Mann im Garten. Eine bessere Vorlage für eine Corona-Romanze hätte Shakespeare doch gar nicht liefern können.
Allerdings auf eine Liebe auf Balkondistanz will sich die Volleksbühn nicht so recht einlassen. Oder zumindest nicht ausschließlich. De Romeo an d’Juliette verbindet so gut wie alle Strategien aus den vergangenen Produktionen. Man trifft hier den Klamauk aus Faust und großen Teilen von Mäcbess wieder. Es gibt den aus The Importance of Being Earnest bekannten Versuch, die Dramenhandlung trotz technischen Hindernissen und Zeitmangel irgendwie rüberzubringen. Und es finden sich Bestrebungen, die vom Publikum gewählten Stücke für eine kritische Auseinandersetzung mit der Corona-Krise zu nutzen – zuletzt in Mäcbess gesehen und hier noch einmal radikalisiert.
Konstantin Rommelfangen und Rosalie Maes dürfen das titelgebende Paar mehr oder minder aufrichtig spielen, während Philippe Thelen und Marc Baum in einigen der Nebenrollen (Mercutio,
Tybalt, Friar Laurence) nach Herzenslust rumblödeln dürfen. Dazu kommen Regieeinfälle, die jeden Flachwitz das Fürchten lehren. Aus dem Maskenball wird natürlich: ein Maskenball. Duelle werden mit Ketchupflaschen ausgetragen, auf Bodenmarkierungen – mit sowas kennen sich Schauspieler/innen aus –, die den Mindestabstand anzeigen und die Choreografie der Gefechte somit vorgeben. Baums Friar Laurence hantiert im Beichtstuhl mit Toilettenpapier, das er dort für unkeusche Zwecke benutzt. Thelen will, unabhängig von der verkörperten Figur, sowie nur fluchen, trinken und rauchen und scheint seinen Shakespeare direkt von Blackadder und Baz Luhrmann zu beziehen.
Dazwischen versuchen es Rommelfangen und Maes vor einem kitschigen Wandgemälde mit Liebeserklärungen. An anderer Stelle versuchen sie, sich durch eine Glasschreibe hindurch zu küssen. Der Funke will nicht so recht überspringen, aber man weiß ja, dass die Vereinigung der Liebenden bei Shakespeare letztlich nur im Tod möglich ist. Als sich Romeo im letzten Akt zu Juliette ins Grab (der hauseigene Pool) legen will, kommt es jedoch zum (inszenierten) Spielabbruch. Maes erklärt, dass diese Szene unter Einhaltung der sanitären Maßnahmen nun wirklich nicht zu realisieren ist. Das Angebot Rommelfangen, sich irgendwie irgendetwas einfallen zu lassen, schlägt sie aus. Wie Prospero im Epilog des Tempest tritt Schiltz hinzu, um weit mehr als dieses Stück für beendet zu erklären: „Well d’Konscht ass dout, kommen sech d’Leit net no, Grad wéi beim Juliette a beim Romeo.“
Mit diesem starken Schluss, der einen Abschluss verweigert, mischt sich die Volleksbühn unter die lauter werdenden Stimmen, die darauf drängen, dass es mit der Corona-Party im Netz nun auch mal gut ist. Nachdem man sich wochenlang die kreativsten Lösungen ausgedacht hat, um das Theater ins Internet zu kriegen, muss man sich langsam überlegen, wie man es dort wieder hinausbekommt. Mit dieser Wendung ins Kulturpolitische wirkt De Romeo an d’Juliette in gewisser Weise wie der logische Endpunkt der Reihe D’Stéck vun der Woch. Es geht dennoch weiter; Tschechows Kirschgarten folgt am Sonntag. Mit der leeren Villa in Cents steht die perfekte Location dafür schon bereit.