Was macht die Krise mit den Menschen? Kaum hatte der Corona-Lockdown begonnen, standen die Meisterdenker unserer Tage schon mit ihren Deutungen parat. Giorgio Agamben hatte seine Theorien über Ausnahmezustand und nacktes Leben noch im Februar auf die aktuelle Situation gemünzt, Slavoj Žižek bereits Ende März eine Monografie zum Thema veröffentlicht. Aber des Pudels Kern traf erst die Volleksbühn mit ihrer neuesten Inszenierung. Mithilfe einer Neuinterpretation Shakespeares – bekanntermaßen die Autorität in Sachen conditio humana – gelangt das Ensemble zur ebenso simplen wie zwingenden Einsicht: Wir leben jetzt wie Gamer. Ehemals dafür belächelt, bei heruntergelassenen Jalousien vor dem Bildschirm zu sitzen und soziale Kontakte nur übers Internet zu pflegen, ist der stereotype Existenzmodus des Gamers längst zur Realität aller geworden. Und „alle“ heißt natürlich: die privilegierte westliche Mittelschicht, die sich zurückziehen und dem Eskapismus frönen kann.
Der neue Homo ludens heißt Macbeth, oder Mäcbess, denn das gleichnamige Stück zählt zu den wenigen Shakespeares, die in einer luxemburgischen Übersetzung vorliegen. Mäcbess (Luc Schiltz) trägt ein Super Mario-Outfit und ist mit einem Controller bewaffnet. Mit seinen Kumpels Macduff (Philippe Thelen) und Duncan (Konstantin Rommelfangen) trifft er sich zum Spielen. Gezockt wird ein Zelda-Verschnitt mit 16bit-Grafik, niedlichen Avataren und sonstigem Klimbim, der Millenials in Nostalgie schwelgen lässt. Videospiel-Referenzen werden hier in einem Tempo abgefeuert, dass man sich fast in Edgar Wrights Film Scott Pilgrim vs. the World wähnt. Lady Mäcbesser (Elsa Rauchs) verfolgt das Treiben derweil aus dem Flur und sorgt sich um das Wohl ihres Mannes. Die Tür zur „Mancave“ Macbëss’ bleibt für die leicht genervte Ehefrau stets verschlossen, natürlich auch, weil man nicht am gleichen Ort spielen kann.
Die Handlung nimmt jedenfalls, in Videospiel-Begriffe übersetzt, ihren gewohnten Verlauf. Ein schneller Sieg bringt Mäcbess eine neue Trophäe ein und die drei Hexen prophezeien ihm, dass er neben den Titeln von Glamis und Cawdor auch noch das Achievement des Königs freischalten wird. In der Hexenszene werden leider auch die technischen Probleme, unter denen der Abend leidet, besonders deutlich. Bild und Ton sind eigentlich nie synchron und Luc Schiltz fällt zwischenzeitlich ganz aus. So sind Macduff, Duncan und die Hexe (Elsa Rauchs aus dem Off) gezwungen, einige Minuten zu improvisieren und sich darüber zu beschweren, dass es keinen Spaß macht, mit Mäcbess zu spielen, der offenbar nicht mal eine Glasfaserverbindung zu Hause besitzt. Die Situation wird gerade noch einmal gerettet, niemand muss in die Stuff schalten.
Nach dem Prinzip „Mir feelen d’Wieder, lo schwätzt meng Manette“ zerlegen sich die Jungs anschließend der Reihe nach auf der doppelt virtuellen Bühne. Beim Titel Birnam Wood II: The Battle of Dunsinane, den der Amazon-Bote noch schnell vorbeibringt, heißt es dann auch für Macbëss „Game Over“. Wenn inmitten all dieses Herumalberns ein tragisches Element übrigbleibt, findet man es einzig in der Figur von Lady Macbësser. Mit Mundschutz und Desinfektionsmittel versucht Elsa Rauchs verzweifelt, die Blutspuren vom Königsmord zu entfernen. Sie spricht auch die großen Monologe, selbst die Zeilen in Akt V, Szene 5, die eigentlich Macbeth gehören, und hustet sich am Ende zu Tode.
All dies geschieht nicht ohne Augenzwinkern, aber trotz Trash-Ästhetik kann man hier ein kleines sozialkritisches Moment ausmachen, ein Verweis auf die verdrängte Realität, vor der Netflix, Playstation & Co. gerade Schutz versprechen. Es können eben doch nicht alle biedermeierliche Häuslichkeit kultivieren. Weil sie die Möglichkeiten des Livestreams nicht nur nutzt, sondern auch spielerisch reflektiert, selbst dort, wo die Technik versagt, ist auch diese Produktion Nr. 3 aus der Reihe D’Stéck vun der Woch (nach der enttäuschenden Oscar Wilde-Inszenierung) wieder sehenswert. Die Shakespeare-Wochen der Volleksbühn sind übrigens noch nicht vorbei. Am 5. Mai folgt
Romeo & Juliet. Man muss mit dem Schlimmsten, also dem Besten rechnen.