Krach ist programmiert, wenn Gesundheits- und Sozialminister Mars Di Bartolomeo (LSAP) ab kommender Woche die schriftlichen Stellungnahmen aller beteiligten Seiten zu seinem Vorentwurf zur Gesundheitsreform zugehen. Schon in den ersten Gesprächen des Ministers Mitte Juli mit Sozialpartnern und Dienstleistern ging es hoch her; die Ankündigung des Unternehmerverbands UEL, aus der Mitverwaltung der medizinischen Leistungen innerhalb der Gesundheitskasse aussteigen zu wollen, war nur der Höhepunkt der vorläufigen Auseinandersetzungen gewesen.
Eine der politisch brisantesten Fragen, die sich mit der Reform stellt, lautet: Was sollen und dürfen die Krankenhausmediziner künftig; vor allem die Mehrheit von ihnen, die als freiberufliche Belegärzte an den Kliniken tätig ist?
Schon im Juli waren die Fronten sichtbar: Der Krankenhaus-Dachverband Entente des hôpitaux luxembourgeois (EHL) erklärte dem Minister, dass er im Zuge der Reform auf jeden Fall das Verhältnis zwischen Krankenhausarzt und Krankenhausdirektion geregelt und ein „Statut“ des Klinikmediziners definiert haben will. Worauf Jean Uhrig, der Präsident des Ärzteverbands AMMD, im Luxemburger Wort (5.8.2010) fragte, ob die Ärzte „den Vorgaben des Systems verpflichtet“ seien oder „alles in ihrer Macht Stehende“ zu tun hätten, „um den Patienten zu retten“. Der Minister hatte im Gespräch mit dem Land (23.7.2010) angekündigt: „Der Arzt darf nicht mehr nur ‚Mieter einer Werkstatt’ sein.“ Er werde künftig „zum Teil des Ganzen mit Rechten und Pflichten“.
Dass darüber überhaupt gestritten werden muss, ist eigentlich erstaunlich. Denn schon seit zwölf Jahren gibt es ein Krankenhaus-Rahmengesetz. Es legt unter anderem fest, dass die freiberuflichen Belegärzte ihre Zulassung zur Tätigkeit an den Kliniken durch Verträge erhalten, die sich an einem contrat-type orientieren. Den Inhalt dieses Mustervertrags sollten die Vertreter von Krankenhäusern und Ärzteschaft miteinander aushandeln, und das taten EHL und AMMD auch. Es dauerte zwar ein paar Jahre, doch Anfang 2003 trat jener contrat-type in Kraft, der heute noch gilt; also müsste alles klar sein.
Doch offenbar ist dem nicht so. Nicht nur, weil Krankenhausdirektoren sagen, es könne nicht sein, dass Sozialminister und Gesundheitskasse von den Kliniken eine Senkung ihrer verschreibungsbedingten Kosten verlangen, wenn gleichzeitig den Klinikärzten „indépendance professionnel-le“ und „liberté thérapeutique“ garantiert sind. Der Streit um die Frage, wie Kliniken organisiert sein sollen, in denen unternehmerisch selbstständige Ärzte tätig sind, ist schon ein paar Jahre alt.
Doch ganz abgesehen davon sind an immerhin zwei Spitälern im Lande sämtliche Belegärzte nicht nur nach wie vor nicht auf der Grundlage des Mustervertrags tätig. Sondern sie weigern sich standhaft, den contrat-type zu unterschreiben, als gälte es, ein gallisches Dorf vor dem Zugriff von Roms Legionen schützen: Der Mustervertrag enthalte an manchen Stellen wesentliche Lücken, an anderen schränke er die Berufsaus-übung von Freiberuflern unzulässig ein, argumentieren diese Ärzte, gestützt auf ein juristisches Gutachten einer reputierlichen Anwaltskanzlei aus der Hauptstadt, die über einige Erfahrungen in medizinrechtlichen Fragen verfügt. Stellenweise verstoße der contrat-type sogar gegen geltendes Recht, heißt es in dem Verdikt, das unlängst auch der Ärztekammer und dem Gesundheitsminister zugestellt wurde.
Die Argumentation ist einsichtig. Falls Kliniken und Ärzte Partner sein sollen, die gemeinsam zum Wohle des Patienten arbeiten, überrascht es, dass der neun Seiten lange contrat-type lediglich eine einzige Verpflichtung für die Spitäler enthält – nämlich die, dass dem Arzt genügend qualifiziertes Personal und ausreichende Ausrüstung zur Verfügung gestellt werden müssen.
Dem Mediziner-Freiberufler dagegen wird vorgeschrieben, dass seine Tätigkeit am Krankenhaus „exclusive, principale ou accessoire“ zu sein hat. An einem weiteren Spital zugelassen zu werden, bedarf der Vorabgenehmigung des ersten, obwohl der contrat-type bekräftigt: „Le médecin travaille à la clinique en régime libéral, non salarié.“ Dass der Mustervertrag den Arzt in ein Quasi-Anstellungsverhältnis zwingt, belege auch, so dass Gutachten, dass ihm „concurrence déloyale“ untersagt ist – ohne dass irgendwo geklärt würde, was darunter zu verstehen sein soll. Oder dass der Arzt verpflichtet wird, der Klinikverwaltung ohne jede Einschränkung „toutes les informations réquises“ zu liefern – was unter Umständen sogar das Berufsgeheimnis verletzten könnte.
Doch: Die Verhandlungen um den Mustervertrag zwischen Kranken-hausverband und Ärzteverband dauerten seinerzeit deshalb so lange, weil beide Seiten sich nur mit Mühe einig wurden. Über die Frage, wie weit die organisatorische Einbindung der Ärzte in den Klinikbetrieb gehen soll, gab es schon damals Streit. Weder der EHL- noch der AMMD-Vorstand war mit dem Papier ganz zufrieden; es stellte den kleinsten gemeinsamen Nenner dar.
Und vielleicht war dem Ärzteverband am Ende ein Quasi-Salariat nicht ganz unrecht: 2003 trat nicht nur der contrat-type in Kraft, sondern auch eine großherzogliche Verordnung über die Medizinerräte an den Spitälern, die conseils médicaux. Die Verordnung enthält eine nicht unwichtige Bestimmung über das Tätigkeitsverhältnis der freiberuflichen Belegärzte: Ohne weiteres entzogen werden kann ihnen die Zulassung am Spital nur innerhalb des ersten Jahres. Danach erhält der conseil médical des Hauses ein Einspruchsrecht. Es reicht so weit, dass bei Nichteinigung zwischen dem Medizinerrat und dem Träger der Klinik eine mehrstufige Schlichtung, eventuell sogar durch das Gesundheitsamt im Gesundheitsministerium, erfolgen muss, ehe ein freiberuflicher Arzt „entlassen“ werden darf. Kein Arbeitsvertrag in der Privatwirtschaft ist so gut geschützt.
Was die Auseinandersetzung um die Beschäftigung der Belegärzte und ihr Verhältnis zur Klinikleitung gerade derzeit so brisant macht, ist jedoch nicht ein Konflikt zwischen Medizinern, die auf ihrer Freiberuflichkeit bestehen, und Kranken-hausbürokraten. Der Zündstoff liegt darin, dass der Mustervertrag dem Belegarzt bescheinigt, er arbeite „sous sa propre responsabilité et en toute indépendance et autonomie professionnelles sur le plan du diagnostic et de la thérapeutique“. Und dass die übergreifende Basis für die Zusammenarbeit von Spital und Arzt Artikel 37 des Krankenhausgesetzes bildet.
Denn darin heißt es: „Tout patient a accès aux soins préventifs, curatifs ou palliatifs que requiert son état de santé, conformes aux données acquises par la science et de la déontologie. Les soins doivent être organisés de façon de garantir leur continuité en toutes circonstances.“
Nach Ansicht von Juristen wird insbesondere durch die Formel „unter allen Umständen“ im Falle eines Patientenschadens nicht nur der behandelnde Arzt, sondern werden auch Teamkollegen sowie die Klinikleitung von der Direktion bis hin zum Verwaltungsrat strafrechtlich haftbar. Schon der kleinste nachweisbare Fehler (la faute la plus légère) reiche zu einer Verurteilung aus – das habe erst Ende März dieses Jahres das Urteil des Berufungsgerichts in der „Hepatitis-Affäre“ der früheren Clinique Sainte-Élisabeth gezeigt, das die Verurteilung auch des Klinik-Verwaltungsrats durch die erste Instanz bestätigte.
Nirgendwo aber ist geklärt, wie weit indépendance professionnelle und liberté thérapeutique jedes – auch eines fest angestellten Arztes – reichen: Trifft die berufliche Unabhängigkeit nicht doch nur auf den allein agierenden Landarzt zu, und kann von Therapiefreiheit im Zeitalter zunehmender Teambildung überhaupt noch die Rede sein? Wer weiß; auch das erst vor sechs Wochen reformierte Gesetz über den Arzt-, den Zahnarzt- und den Tierarztberuf macht dazu keinerlei Aussage. Dem Haftungsrisiko im modernen Krankenhausbetrieb wegen aber könnte es im vitalen Interesse jedes Belegarztes sein, wenn sein Verhältnis zur Klinik nicht nur in einem Vertrag geregelt würde. Dass dafür im Zuge der Gesundheitsreform „Minimalkriterien“ durch eine großherzogliche Verordnung definiert werden sollen, ist der Klärung vielleicht nicht mal genug. Mit ihrem Widerstand gegen den contrat-type haben die streitbaren Klinikärzte gezeigt, dass es Unklarheiten auf Gesetzes-ebene gibt.
Die Probleme reichen jedoch noch über Klinikorganisation und Haftpflicht hinaus. Es stellt sich auch die grundsätzliche Frage, was von der Krankenhausmedizin erwartet werden kann und wer dafür bezahlt.
Weil Artikel 37 des Krankenhausgesetzes jedem Klinikpatienten ein Recht auf Leistungen der „Privatmedizin“ gewährt, gab es Politiker, denen das nicht ganz geheuer war, als am 14. Juli 1998 der Entwurf zum Krankenhaus-Rahmengesetz in der Abgeordnetenkammer zur Abstimmung kam. Vielleicht traf das sogar auf den damaligen Gesundheitsminister Georges Wohlfart (LSAP) zu, den studierten Allgemeinmediziner, der fand: „Wenn wir allein das umsetzen wollen, wissen wir, dass es zu einer Kostenexplosion kommen kann, und wenn wir das wollen, dann muss man auch über die Sachen diskutieren können.“ Leider erläuterte Wohlfart nicht, was für „Sachen“ er meinte.
Zwölf Jahre später nennt das Gutachten zum contrat-type der Klinikärzte es „illegal“, dass ihnen lediglich so viel Personal und Technik zur Verfügung gestellt werden soll, wie es das Budget erlaubt, das die Gesundheitskasse dem Spital genehmigt hat. Das kann nicht ganz falsch sein, denn dass „les soins doivent être organisés en continuité et que leur qualité doit être conforme aux données acquises par la science et la déontologie sans tenir compte du coût de ces actes“, hatte der parlamentarische Gesundheitsausschuss in seinem Abschlussbericht zum Krankenhausgesetz über Artikel 37 ausdrücklich „unterstreichen“ wollen. Der Vorentwurf zur Gesundheitsreform ändert an Artikel 37 nicht ein Komma. Man könnte argumentieren, die Mission des Ministers bestehe demnach lediglich darin, bei Bedarf Geld ins System nachfüllen zu lassen.