„Juniorpartner?“, ruft Xavier Bettel in den Saal des Limpertsberger Tramsschapp. „Ich weiß nicht, was das ist.“ Der Vizepremier hält das Schlusswort beim Parteikongress, der soeben eine neue Exekutive gewählt hat. Die DP, erklärt Bettel, habe mit der CSV einen Koalitionsvertrag mit einem „DP-Anteil“. Es herrsche eine „ehrliche Freundschaft“. Der Vizepremier vermutet: „Auch die Leute wollen keine Koalitionäre, die in der Presse sagen: Das da ist von mir!“
Trotzdem hat die DP offenbar Anlass, sich von der CSV abzugrenzen. Die dominiert in den politisch wichtigen Themen, beziehungsweise der Premier dominiert. Die DP hält sich taktisch zurück und lässt die CSV Fehler machen, fällt aber selber wenig auf. Für die frühere Regierungspartei ist das riskant. Und die Erinnerung ist noch lebendig, wie das vor 20 Jahren war. Die DP hinterließ viele Eindrücke. Der Rentendësch unter ihrem Sozialminister Carlo Wagner besserte die Renten im Privatsektor um zehn Prozent auf. Transportminister Henri Grethen schenkte der Nation den Punkteführerschein. Charles Goerens setzte als Umweltminister Solarstrom-Beihilfen durch, die so großzügig waren, dass Luxemburg Fotovoltaik-Weltmeister wurde. Als Verteidigungsminister regte er den Kauf eines Transportfliegers A400M und die Beteiligung an einem belgischen Kriegsschiff an (die am Ende nicht zustande kam). Man musste all das nicht gut finden. Doch es enthielt mehr Handschrift, als die DP bisher an der Seite der CSV gezeigt hat.
Vom Datum her, dem 27. April, ist der Limpertsberger Kongress nah bei 70 Jahren seit dem Gründungsdatum der Partei am 24. April 1955. Die sozialliberale Tradition der DP wird betont; dass es auch andere Traditionen gibt, wird nicht erwähnt. Gaston Thorn, der in den Siebzigerjahren die Tripartite „erfunden“ habe, habe bereits damals gewusst, „dass es um morgen geht“, erklärt die zur neuen Parteipräsidentin gewählte Echternacher députée-maire Carole Hartmann in ihrer Kongressrede. Das Luxemburger Sozialmodell gehe also auf die DP zurück. Kleiner Hinweis an den Koalitionspartner und den Premier, dass der „immens wichtige“ Sozialdialog am Sozialdësch mit OGBL, LCGB und UEL schnell Resultate bringen müsse, und zwar solche, durch die „niemand sich benachteiligt fühlt“.
Das ist nicht gerade die von Premier Luc Frieden vertretene Linie, dass am Ende die Regierung entscheide, aber mit solchen Nuancen will die DP sich als Gesamtpartei allen Fortschritts profilieren. Die neue Exekutive gehört dazu auch. Mit fünf Frauen – neben Carole Hartmann die neue Erste Vizepräsidentin Yuriko Backes und die beiden Vizepräsidentinnen Amela Skenderovic und Corinne Cahen sowie Schatzmeisterin Myriam Feyder. Die neue Besetzung hatte Carole Hartmann zwei Wochen vor dem Kongress auf Facebook vorgestellt. Dass Eric Thill, der Kulturminister, von Hartmann das Amt des Generalsekretärs übernehmen soll, war schon länger klar. Gegenkandidaturen gab es keine. Die Ja-Stimmen-Anteile reichen von 80,1 Prozent für die offenbar nicht ganz unumstrittene Corinne Cahen über 83,2 Prozent für Skenderovic, 87,7 Prozent für Thill und 88,8 Prozent für Backes bis zu 95,6 Prozent für Carole Hartmann. Xavier Bettel wird ihr bescheinigen, das sei ein besseres Resultat als seines bei der Wahl zum Parteipräsidenten vor 15 Jahren.
So viele Frauen an der Parteispitze bedürfen natürlich der politischen Würdigung und Interpretation. Ohne Frauenquote, also „ohne Trickserei vor dem Wähler“, habe die DP es immer verstanden, Frauen, „die gut sind“, in hohe Ämter zu heben, analysiert Xavier Bettel. Was gut zu den Versuchen des Kongresses passt, auch Ökologie und Energietransition für die dem Fortschritt zugewandte DP zu reklamieren. Nicht mit Ideologie, sondern pragmatisch. Es liege, sagt Energieminister Lex Delles in seiner Abschiedsrede als Parteipräsident, ja nicht „am Minister“, wenn der Benzinpreis rauf und runter geht. Sondern am Markt, Geopolitik und Dollarkurs. Um davon unabhängiger zu werden, brauche Luxemburg mehr grünen Strom. Der werde erschwinglich sein. Und „der billigste in der Großregion, denn mit den Steuern auf Strom sind wir schon ganz unten“.
Dass diese Energiewende, wenn sie aufgeht, helfen soll, grüne Wechselwähler an die DP zu binden, versteht sich. Wie auch der weitere Ausbau der Tram – ganz ohne die Grünen. Die Profilierung der DP soll aber noch weiter reichen. Xavier Bettel sieht sie quasi als Volkspartei. „G-e-n-i-a-l“ sei, wie in dieser „Familie“ mit den vielen Herkünften, Kulturen, Religionen unterschiedliche Meinungen vertreten würden, um anschließend auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Vor allem eines dürfe die DP nicht vergessen: „De Mënsch a senger Diversitéit.“ Ein schönes Bild gegenüber dem reaktionären Kleingeist von Rechstaußen-Parteien. Mit der DP lässt es sich von einer schönen Zukunft träumen. Oder einer Welt, in der die Wahlen in den USA nicht Donald Trump und die Republikaner gewonnen hätten, sondern die Demokraten.
Carole Hartmann wird das Bindeglied zwischen den beiden Schwergewichten Xavier Bettel und Lex Delles sein und eine Verbindung zur Kammerfraktion herstellen, in der sie schon bisher viel Arbeit übernommen hatte. Vier politisch prioritäre Säulen nennt sie in ihrer Antrittsrede als Parteipräsidentin. Erstens den Zusammenhalt in der Gesellschaft durch Sozialdialog und Projekte wie die große Steuerreform mit der von der DP versprochenen Individualisierung. Zum zweiten den Schutz der Freiheiten, etwa durch das Recht auf Selbstbestimmung oder „Schutz vor Desinformation“ durch die sozialen Medien. Wofür Carole Hartmann eine parteiinterne Arbeitsgruppe ankündigt. Drittens einen „nachhaltigen Fortschritt“ durch grünen Strom und Tram, aber auch „Retombées économiques“ aus „Nato-Investitionen“. Die Politiken in der vierten Säule mit dem Titel „Gerecht Zukunftschance fir jiddereen“ reichen von Claude Meischs Schulpolitik und eine bessere „Screen-Life-Balance“ der Kinder über das Versprechen auf mehr erschwinglichen Wohnraum bis hin zum Aktionsplan gegen Armut, den DP-Familienminister Max Hahn eigentlich schon vorgestellt haben wollte.
Weil die DP sich gegen die weltweit zunehmenden Tendenzen Richtung Autoritarismus stellen will, kommt ihr Kongress notwendigerweise bei der EU und der Geopolitik an. Der Europaabgeordnete Charles Goerens hält mit staatsmännischer Abgeklärtheit ein Plädoyer für eine EU, die „legalistisch“ bleibt. Mit einer freien Presse und einer Führung – „Europa lechzt nach Führung!“ –, welche die EU wettbewerbsfähiger macht, in die Verteidigung investiert und die Beziehungen mit Kanada, Japan, Südkorea und Australien ausbaut. „Der Westen“, warnt Goerens, „schrumpft.“
Schön für den Kongress ist, dass solchen düsteren Feststellungen Xavier Bettel später seine Frohnatur entgegensetzen kann. Seine Überlegungen zur Weltpolitik elektrisieren den Saal beinah, weil er sie ziemlich spontan und mit großen Gesten vorträgt. Er sei „persönlich“ für eine Reform der Vereinten Nationen, sagt der Außenminister. Vergleicht den Weltsicherheitsrat mit dem Verwaltungsrat einer Aktiengesellschaft, die UN-Vollversammlung mit einer Aktionärversammlung. Im Unterschied zur Privatwirtschaft müsse die UN-Vollversammlung sich dem Sicherheitsrat unterordnen. Deshalb ginge ihm nicht weit genug, den Sicherheitsrat nur um weitere ständige Mitglieder zu ergänzen. „Nee!“ Xavier Bettel rudert mit den Armen. „Ännert et!“ Damit ein Veto eines Sicherheitsratsmitglieds von der Vollversammlung überstimmt werden kann, vielleicht mit Zweidrittelmehrheit.
Auf Palästina kommt Bettel ebenfalls zu sprechen. „Ech weess, dat ass e Sujet, wou och heibanne ganz vill Leit soen: Wéini erkennt dir Palästina unn?“ Doch die Anerkennung durch Spanien, Slowenien, Irland und Norwegen habe „nichts geändert“. Besser sei, die Initiative von Emmanuel Macron und Saudi-Arabien zu unterstützen, auf einer Konferenz im Juni muslimische Länder dazu zu bringen, Israel anzuerkennen. „Eine Reihe“ anderer Länder könnten im Gegenzug Palästina anerkennen. Ob Luxemburg dazu gehören könnte, lässt Xavier Bettel lieber offen.
Die neue Führungsstruktur der Partei lässt auch die Frage aufkommen, wer 2028 auf Spitzenkandidaturen für die Kammerwahlen gehoben wird. In der neuen Exekutive sind die Wahlbezirke ausgeglichen vertreten. Mit Carole Hartmann aus dem Osten, Eric Thill aus dem Norden, Yuriko Backes und Corinne Cahen aus dem Zentrum und Amela Skenderovic aus dem Südbezirk. Schon gibt es Stimmen in der DP, die sagen, Xavier Bettel könnte statt ein weiteres Regierungsmandat anzustreben, bei den Gemeindewahlen 2029 der DP die Hauptstadt erhalten wollen.