Die Unterrichtsministerin sei zwar nicht amtsmüde, aber die Lehrerschaft ministermüde, höhnte der grüne Bildungssprecher Claude Adam auf der Rentrée-Pressekonferenz seiner Partei am vergangenen Freitag. Steifer formulierend, aber das Gleiche meinend, trat André Bauler von der Demokratischen Partei am Montag vor die Journalisten: Das Vertrauen zwischen Ministerium und Lehrerschaft sei „schwer angegriffen“, das Klima in den Schulen „so angespannt wie nie“. Die ADR sieht gleich die Bildungslandschaft zerfallen.
Man kennt das Ritual: Die Stunde der Rentrée ist immer auch eine Stunde des Polemisierens und Werbens in eigener Sache. Die Ministerin kommt mit einem appellierenden Slogan „Zesumme fir eis Schüler“ – die Opposition versucht, mit ebenso prägnanten Schlagwörtern zu kontern.
Dieses Schuljahr sieht sie ihre Stunde gekommen. Die Chancen für eine Wachablösung im Unterrichtsministerium scheinen für die Opposition so günstig zu stehen wie lange nicht mehr: Vor ein paar Monaten erst gingen Tausende Lehrer auf die Straße, um gegen die geplante Sekundarschulreform zu protestieren. An diese Grundstimmung knüpfen beide an – DP und Grüne auf ihren jeweiligen Pressekonferenzen – und offenbaren zunehmend inhaltliche Annäherungen.
Grüne und Liberale kritisieren den „Scheindialog“ der sozialistischen Ministerin. Dass sie das Gespräch mit den Schulpartnern bereits Anfang 2010 gesucht hatte, wird dabei genauso ignoriert, wie dass sich Mady Delvaux-Stehres inzwischen zu geheimen Gesprächen mit einer Plattform von Vertretern aus Lehrern und Gewerkschaften trifft, um doch noch einen Kompromiss zu finden. Die Opposition will vor allem eines: bei jenen punkten, die die nächsten Wahlen entscheidend mitbestimmen werden, den Lehrerinnen und Lehrern.
Dafür haben sich die zwei größten Oppositionsparteien inhaltlich angenähert: Sowohl Liberale als auch Grüne fordern eine vereinfachte Bewertung im Grundschulbereich. Bei vielen Lehrern und ihren gewerkschaftlichen Vertretungen SEW und SNE dürften sie damit Sympathiepunkte sammeln. Schließlich war das sperrige und komplizierte Bewertungsverfahren Kritikpunkt Nummer eins auf den Lehrerdemonstrationen und in den Stellungnahmen der Gewerkschaften. Der Vorschlag, eine französischsprachige Modellschule zu etablieren, in der portugiesische und französische Jungen und Mädchen das Alphabet auf Französisch lernen, kam zwar von der Demokratischen Partei, die Grünen würden ihn aber ohne Schwierigkeiten mittragen. Die Ministerin hat ein solches Pilotprojekt abgelehnt, angeblich weil dafür das Personal fehlte. In Wahrheit dürften die unseligen Erfahrungen mit der Laborschule Eis Schoul den Ausschlag für ihr Nein gegeben haben. Dabei spricht einiges für eine solche Schule: 39 Prozent der Kinder in der Grundschule sprechen zuhause kein Luxemburgisch und können nicht auf Vorkenntnisse bei der Alphabetisierung in Deutsch zurückgreifen.
Für die Einführung von Schuldirektoren legten Grüne und DP im Mai gemeinsam eine Motion vor, die aber mit dem Stimmen der Mehrheitsparteien LSAP und CSV und Déi Lénk, die prinzipiell keine Direktionen in den Grundschulen will, abgeschmettert wurde. Taktisch war das ein kluger Zug, der insbesondere den christlich-soziale Koalitionspartner in die Bredouille brachte: Denn die CSV hat sich in ihrem Wahlprogramm klar für den Grundschuldirektor ausgesprochen. Dass er nicht kam, war ein Zugeständnis an den roten Koalitionspartner. Dafür aber steht im Regierungsabkommen, dass die Zwischenbilanz der Grundschulreform im Hinblick auf die Einführung von Schulleitungen vorgenommen werden soll. Es ist nicht ohne Ironie, dass ausgerechnet die Opposition das Regierungsprogramm in diesem Punkt verteidigt.
Auf Zugeständnisse ihres politischen Partners sollte sich die LSAP-Ministerin ohnehin nicht allzu sehr verlassen: Nicht nur, dass er in der schwierigen Phase des Protests durch Abwesenheit glänzte, die Wahlen rücken näher und mit ihnen steigt die Notwendigkeit der Parteien, sich ein eigenes Profil zu verschaffen. Mit Tessy Scholtes und Serge Wilmes ist die CSV dabei, nach einer langen Zeit der Quasi-Abwesenheit in der bildungspolitischen Debatte zwei junge Parteimitglieder in den Bereichen Bildung und Hochschulbildung aufzubauen.
Frontal gegen den Reformkurs der Ministerin zu fahren, traut sich außer der ADR („Madame Delvaux, haalt op mam Demontage vun eise Schoulen“) aber niemand. Hatten Déi Gréng, zu deren Mitgliedern viele Lehrer zählen, früher lautstark auf den Tronc commun, die Gesamtschule, gesetzt, ist von dieser grünen Kernforderung kaum noch etwas zu hören. Im Pressedossier zur Rentrée heißt es knapp und in Klammern, man begrüße die Filière unique. Die meisten Motionen des ehemaligen Inspektors Claude Adam kreisten im vergangenen Jahr jedoch um Fragen der Hochschulpolitik (Adam unterrichtet nebenbei an der Uni Luxemburg) oder der Éducation différenciée. Wichtige Fragen, aber ob das reichen wird, sich bei den Lehrern als Alternative zur LSAP zu profilieren? Die Grünen haben kaum Gegenvorschläge zur aktuellen Bildungspolitik gemacht, außer Kinder mit Lernbehinderungen in die Regelschulen aufzunehmen, die französischsprachige Berufsausbildung auszubauen und mehr Lehrstellen bei Staat und Gemeinden zu fordern. Ausgerechnet eine der wenigen inklusiven Ganztagsschulen im Land, Eis Schoul, wurde, wohl aus wahltaktischen Gründen, von Claude Adam besonders kritisch unter die Lupe genommen.
Mit der DP, so viel ist sicher, ist ein Tronc commun ohnehin nicht zu machen. Mal ganz davon zu schweigen, dass damit unter den mehrheitlich reformskeptischen Lehrern kaum zu punkten ist. Für sie könnte die DP künftig interessant werden. Seitdem Eugène Berger sich aus der Bildungspolitik zurückgezogen und das Thema seinem Parteikollegen André Bauler überlassen hat, vollziehen die Liberalen Schritt für Schritt eine Kehrtwende: Statt auf innovative Lehrkonzepte zu setzen, wie sie in der Tradition der Heimatgemeinde Roeser stehen, aus der Grundschullehrer Eugène Berger stammt, ist der innerparteiliche Diskurs, passend zum Zeitgeist, deutlich konservativer geworden.
Dabei dürfen ruhig mal eigene Errungenschaften über Bord geworfen werden: André Bauler war und ist einer der bekanntesten Kritiker einer Verallgemeinerung des Proci-Projektes auf den gesamten unteren Zyklus des Sekundarunterrichts. Dabei war das eine der wenigen Erneuerungen, die DP-Unterrichtsministerin Anne Brasseur nach fünf Amtsjahren aufzuweisen hatte – und bei der ihr die Ergebnisse Recht geben: Die Gewerkschaften hören das nicht gerne, aber das ändert nichts daran, dass Proci-Schüler im Leistungsvergleich besser abschneiden als die Schüler der hiesigen Regelschulen.
Der Abgeordnete André Bauler könnte der LSAP-Unterrichtsministerin aber doch noch zur Gefahr und frustierten Lehrern womöglich zum Hoffnungsträger werden: Nicht nur weil mit dem stets akkurat gekleideten, etwas blass wirkenden Wirtschaftslehrer einer der ihrigen das Bildungsthema besetzt hat. Seine konservativen Positionen passen in den momentanen Mainstream. „Ruhe und Ordnung“ lautet seine Devise. Was fast so ähnlich klingt wie Back to basics. Auch das passt zu einer Lehrerschaft, die sich durch Reformen in ihren Grundüberzeugungen erschüttert sieht: die Forderung der DP, dass der Staat sich aus dem Unterricht herauszuhalten hat. Statt Strukturreformen, die „nichts bringen“, will die DP den Lehrer in den Mittelpunkt setzen. Wie genau, verrät sie nicht, nur dass der Lehrerausbildung ein Pré-Stage, eine Art Vorpraktikum vorangestellt werden soll, in der der angehende Lehrerkandidat seine Eignung beweisen muss. Wie das geht, auch dazu hatte Bauler auf der Pressekonferenz am Montag nichts Erhellendes zu sagen.
Doch den Lehrer in den Fokus zu stellen, ist nicht nur eine geschickt politische Taktik: Es ist auch bildungswissenschaftlich plausibel. Dass es auf den Unterricht, den einzelnen Lehrer und seine Methoden, seinen Zugang zum Schüler ankommt, wenn es darum geht, Kinder zum Lernen zu motivieren, sagen Bildungsexperten seit Jahrzehnten. Das setzt aber voraus, dass Lehrer wissen, was einen erfolgreichen Unterricht ausmacht. Dasselbe gilt für die Autonomie, die die DP für die Lyzeen fordert. Es ist ein trauriger Fakt, dass in den Gutachten zum ersten Reflexionspapier zur Sekundarschulreform vor zwei Jahren eben diese Forderung von den befragten Schuldirektionen nicht erhoben wurde. Laut traut es sich kaum jemand zu sagen, um nicht den Zorn der Lehrer auf sich zu lenken, aber die fachliche Reflexion der pädagogischen Profession (und da zählen die Lehrer dazu), ebenso wie die fachdidaktische, ist in Luxemburg nicht besonders ausgereift.
So dass eines schon heute feststeht: Egal wer die sozialistische Bildungsministerin beerben wird, ein Zuckerschlecken wird die Bildungspolitik weiterhin nicht sein. Einen Stillstand in der Bildung kann sich Luxemburg nicht leisten. Die DP behauptet, es fehle an einer Stärken-Schwächen-Analyse. Das aber ist falsch. Die Probleme: die wachsende Heterogenität der Schüler, der Sprachenunterricht, die hohe Sitzenbleiberquote, die Jugendarbeitslosigkeit, die Immigration sind alle hinlänglich bekannt. Was fehlt, sind Lösungen, die praktikabel sind – und von der Gesellschaft mehrheitlich akzeptiert werden. Wobei man fragen muss: Wenn schon über 50 Prozent der Luxemburger Grundschüler nicht luxemburgisch sind, aber Nicht-Luxemburger nicht wählen dürfen: Wer ist dann eigentlich die Gesellschaft?
Ines Kurschat
Catégories: Enseignement fondamental et préscolaire, Politique de l'éducation
Édition: 21.09.2012