Sommertemperaturen endlich auch in Luxemburg – doch sonnig ist die Laune bei einigen Eltern und ehemaligen Lehrern der Maria-Montessori-Schule in Strassen kaum. Nachdem das Land am 11. Mai auf undurchsichtige Zustände in der Privatschule samt angeschlossener Maison relais berichtet hat, kommt die Einrichtung nicht zur Ruhe: Mehrere Lehrpersonen sollen die Schule verlassen, haben es auch schon, nachdem ihnen ein neuer Arbeitsvertrag mit Lohneinbußen um die 600 Euro angeboten worden war.
„Ich habe beschlossen, die Einrichtung zu verlassen, weil die Direktion ihren Angestellten gegenüber ohne Respekt ist“, begründet eine ehemalige Lehrerin gegenüber dem Land ihren Schritt. Nicht die Lehrer hätten darüber zu entscheiden, ob die Schüler von der École maternelle in die weiterführende École primaire (Vorschule respektive Grundschule) wechseln könnten, sondern die Direktorin Victoria Godard bestimme darüber, „ohne zur Beobachtung imKlassensaal gewesen zu sein“, so die Lehrerin weiter. Kritische Nachfragen seien nicht erlaubt.
Undurchsichtige Spielregeln beim Übergang zur Grundschule beklagt auch eine betroffene Mutter im Gespräch mit dem Land. So habe die Schulleitung so genannte Socles de compétences eingeführt, die sie – die Eltern – aber nicht überprüfen könnten. Nun hätten Mütter und Väter aus lauter Sorge, ihr Kind könnte den Wechsel nicht schaffen und plötzlich ohne Schule da stehen, private Nachhilfe bezahlt – zusätzlich zum Schulgeld.
„Bei uns ist alles transparent“, behauptet dagegen Pierre Godard auf Land-Nachfrage. Das Zulassungsverfahren basiere auf den Socles de compétences, die das Unterrichtsministerium für die öffentliche Schule entwickelt habe. Sie seien im Sinne der „Montessori-Philosophie“ weiter entwickelt worden, erklärt ein anderer Mitarbeiter am Telefon. Damit gehe man sogar „über die ministeriellen Anforderungen hinaus“.
Was genau ein Schüler können muss, um in die Grundschule zu wechseln, ist allerdings nicht so klar. Ein Rundbrief an die Eltern, der dem Land vorliegt und in der die pädagogische Direktorin Victoria Godard gemeinsam mit der damaligen Leitung der angegliederten Maison relais die Einschreibeprozedur für das Schuljahr 2012-2013 beschreibt, hält als Anforderungen für den Schüler fest: „...il est nécessaire qu’il ait les aquis suivant : la lecture et de bonnes bases dans tous les domaines d’apprentissage“. Und dann folgt ein Gummisatz: „...votre enfant doit être fait pour la pédagogie Montessori“.
Dass das nicht gerade eine präzise Beschreibung ist und viel Raum für Interpretationen lässt, räumt auch Arlette Lommel ein. Die Grundschulinspektorin ist für die pädagogische Kontrolle der Maria-Montessori-Schule zuständig. Bloß: Darüber, ob die Einrichtung wirklich eine Montessori-Pädagogik praktiziert oder nicht, kann sich die Inspektorin nicht äußern, „weil ich dazu nicht die nötige Expertise habe“, räumt sie gegenüber dem Land ein. Lommel bestätigt aber, die Schule angewiesen zu haben, „sich an den Kompetenzsockeln zu orientieren, die auch in der öffentlichen Schule gelten“. Allerdings: Die sehen für den ersten Zyklus lediglich gewisse Lese- und Kommunikationskompetenzen in den Hauptfächern – Sprache und Mathe sowie im Zusammenleben – vor, von einer Nichtzulassung zur Grundschule ist keine Rede, von Montessori-Pädagogik erst recht nicht. Die Privatschule funktioniert übrigens in Dreijahreszyklen und nicht, wie die öffentliche Schule, in Zweijahreszyklen.
Ob nun in der Privatschule tatsächlich jene pädagogische Prinzipien gelten, wie sie von der italienischen Begründerin Maria Montessori einst definiert wurden, ist nicht ohne weiteres zu beantworten. Ein weltweit verbindliches Qualitätslabel für diese pädagogische Richtung existiert nämlich nicht. In Deutschland hat der Dachverband Montessori zwar gewisse Standards zur Qualitätssicherung aufgestellt, dazu zählt beispielsweise die autonome Arbeit der Kinder, aber auch ein demokratisches, partizipatives Klima. Arlette Lommel bescheinigt der Schule zwar professionelle pädagogische Methoden, und hat dies in einem „positiven Bericht“ ans Ministerium so geschrieben. Der demokratische Aspekt ebenso wie eine klare Diagnostik auf Grundlage von Montessori aber werden im Luxemburger Pendant von Eltern und (ehemaligen) Lehrern vermisst, respektive angezweifelt. Und ob die pädagogische Leiterin über die nötigen Quailifaktion zur pädagogischen Leitung hat, weiß Arlette Lommel auch nicht.
Laut Geschäftsführer Pierre Godard sollen drei Lehrerinnen über eine international anerkannte Montessori-Ausbildung verfügen. Victoria Godard, pädagogische Leiterin der Grundschule, hat einen Master der Literatur, hat die Sekundarschullehrerausbildung absolviert sowie einige Zeit im Lycée Aline Mayrisch unterrichtet. Sie soll ebenfalls über eine Montessori-Ausbildung verfügen. Frau Godard selbst war zum Zeitpunkt der Land-Recherchen nicht erreichbar.
Wie hoch die pädagogische Qualität der Strassener Montessori-Einrichtung ist, ist für Außenstehende auch deshalb schwierig einzuschätzen, weil auf der schuleigenen Webseite weder der Personalschlüssel, noch die Qualifikationen der betreuenden Lehrpersonen nachzulesen sind. Auch die angeblich um Montessori-Elemente erweiterten Basissockel sind, anders als der Plan d’études der öffentlichen Grundschulen, den Interessierte jederzeit aus dem Netz herunterladen können, nicht einsehbar. Gerade weil aber mit dem Label Montessori Schindluder, um nicht zusagen, Geldmacherei betrieben wird, ist man in den verschiedenen Ländern bemüht, verbindliche Gütesiegel zu erstellen. Die internationale Montessori-Vereinigung AMI, mit Sitz in Amsterdam, arbeitet nach eigenen Aussagen ebenfalls an derartigen Standards. Bis zum Jahr 2014 will man diese haben, verkündet man dort zuversichtlich. Die Luxemburger Schule ist bisher kein AMI-Mitglied, überlegt aber, es zu werden.
Für die Luxemburger Eltern, Kinder und Lehrer würde das aber erst einmal nichts ändern; sie sind jetzt mit einem Betreuungswechsel konfrontiert oder machen sich Sorgen um die Zulassung ihrer Kinder. „Müsste es nicht im Sinne der Kinder sein, eine offensichtlich erfahrene Lehrerin zu halten“, sagt eine Mutter. Die Lehrerin, der Meinungsverschiedenheiten mit der Direktion nachgesagt werden, war nahegelegt worden, die Einrichtung zu wechseln. Dabei soll sie über mehr als zehn Jahre Erfahrung in der Montessori-Pädagogik haben – etwas, das von der jetzigen Direktorin in der Form nicht gesagt werden kann, die in den Statuten des Trägervereins der vor drei Jahren zugelassenen Schule noch als Studentin geführt wurde.
Problematisch ist aber nicht nur, dass Eltern monieren, sie durchblickten das Zulassungsverfahren nicht. Diskussionswürdig ist auch, ob ein solches Verfahren nicht per se dem Geist der Montessori-Pädagogik widerspicht, die als inklusiv und egalitär gilt und auf die individuelle Entwicklung jedes einzelnen Kindes eingeht. Ihr selektives Zulassungsverfahren rechtfertigt Godard damit: „Nous sommes libres de le choisir, selon nos propres règles et sans avoir à le justifier. En cela, nous ne sommes pas à comparer avec l’école publique.“
Das Gesetz über die Privatschulen schreibt keine Mitbestimmung der Eltern vor, anders als das Gesetz zur öffentlichen Grundschule. Anerkannte ausländische Montessori-Einrichtungen zeichnen sich allerdings in der Regel auch durch ihre demokratischen Strukturen aus – sowohl für Eltern, als auch für Lehrer. Die Frage muss überdies erlaubt sein, ob eine Schule, die zu 40 Prozent vom Staat subventioniert wird und für die der Staat einen Großteil der Baukosten trägt, nicht für alle überprüfbare Zulassungskriterien sowie staatlich genau kontrollierbare pädagogische Inhalte haben sollte.
Die Praxis, dass Eltern, deren Kinder die Grundschule besuchen, diese gleichzeitig in der Maison relais anmelden mussten, ist ebenfalls merkwürdig. Zumal deren Leitung nicht geklärt zu sein scheint. Deren Leiterin gehört zu jenen Angestellten, welche die Einrichtung vor kurzem verlassen haben. Victoria Godard kann diese nicht ersetzen, dazu fehlt ihr die gesetzlich geforderte Voraussetzung: eine anerkannte Ausbildung als Erzieherin. Derzeit überprüft das Familienministerium, für die Kontrolle außerschulischer Betreuungsstrukturen zuständig, die Betriebsgenehmigung: Weil die Betreiber eine Erweiterung planten, sei man im Gange, noch einmal „neu zu prüfen“, ob alle Zulassungsbedingungen erfüllt seien, versichert Manuel Achten, im Familienministerium verantwortlich für die Qualitätsentwicklung im Betreuungssektor. Dabei geht es weniger um die pädagogischen Inhalte. „Wir prüfen nicht, ob die Maisons relais diese oder jene Pädagogik verfolgen, ob etwa Steiner oder Montessori. Da haben wir keine Handhabe“, sagt Achten. Man konzentriere sich auf Aspekte wie den Betreuungsschlüssel, Bau- und Sicherheitsnormen und die Qualifikation der Angestellten.
Ganz „en règle“, wie Pierre Godard betont, ist die Maison relais offenbar doch nicht: In der Einrichtung bestünden „Diskrepanzen“, die „unmittelbar behoben werden müssen“, so Achten, ohne zu sagen, um welche Abweichungen es sich genau handelt. Ein Qualitätslabel, das Auskunft darüber gibt, wann eine Einrichtung zuletzt kontrolliert wurde – und mit welchem Ergebnis, könnte für mehr Transparenz sorgen.
Immerhin, das Familienministerium plant schärfere Qualitätsbestimmungen für den Betreuungssektor. Allerdings: Für die (Privat-)Schule ist und bleibt das Unterrichtsministerium zuständig.
Ines Kurschat
Catégories: Enseignement sécondaire, Politique de l'éducation
Édition: 13.07.2012