Die neue Generaldirektorin Danièle Fonck hatte laut Tageblatt (30.12.11) beim Betriebsfest der Editpress-Gruppe Ende vergangenen Jahres auf Schönfärberei verzichtet: „Zeitungen wie das Tageblatt, sagte Fonck, seien Zeitungen, die das Ende eines Zyklus erreicht hätten. Es seien dies ‚ausgereifte Produkte’ für eine bestimmte Kundschaft, die aufgrund der demografischen und gesellschaftlichen Entwicklung und damit verbunden der sich verändernden Mentalitäten zwangsläufig rückläufig sei.“
Glaubt man dem Brüsseler Centre d’information sur les médias (Cim), das die Auflagen der Presse im Interesse der Anzeigenkunden kontrolliert, dann fällt, trotz aller Anstrengungen und unübersehbarer Verbesserungen, die verkaufte Auflage des Tageblatt seit Jahren beständig. Im zweiten Quartal dieses Jahres lag sie bei 14 028 Stück gegenüber 16 193 Ende 2008.
Aber das Tageblatt ist kein Einzelfall. Die verkaufte Auflage des Luxemburger Wort fiel in derselben Zeitspanne von 69 500 auf 67 301. Obwohl das Wort seinen Auflagenrückgang vorübergehend mit der Abwanderung von französischsprachigen Lesern zu seiner kleinen Schwester La Voix du Luxembourg zu erklären versucht hatte. Doch vor einem Jahr stellte der Sankt-Paulus-Verlag La Voix ein, ohne dass sich seither die Auflage des Wort erholt hätte.
Mit La Voix musste erstmals seit Einführung der staatlichen Pressehilfe 1976 eine aus Steuermitteln bezuschusste Tageszeitung aufhören. Die verkaufte Auflage von La Voix war im zweiten Quartal 2011 auf 4 086 Exemplare gesunken, nicht zuletzt unter dem Konkurrenzdruck der ebenfalls französischsprachigen Gratispresse.
Der Auflagenrückgang betrifft also keineswegs bloß die beiden größten verkauften Tageszeitungen. Le Quotidien, der Erbe der Luxemburger Lokalausgabe des Républicain Lorrain, spielt mit täglich 4 602 verkauften Exemplaren im zweiten Quartal 2012 in derselben Liga wie einst La Voix und leidet ebenfalls unter der Konkurrenz der französischsprachigen Gratispresse. Seine verkaufte Auflage hatte Ende 2008 noch 4 998 Exemplare betragen. Um ihm das Schicksal von La Voix zu ersparen, erhöhten die beiden Aktionäre, Editpress und Le Républicain Lorrain, im vergangenen Jahr sein Gesellschaftskapital.
Die Verlage führen alle dieselben Erklärungen für ihre Schwierigkeiten an: die veränderten Lesegewohnheiten, das Internet und die Gratiszeitungen. Um in diesem schrumpfenden Markt ihre Marktanteile auf Kosten der Konkurrenz zu vergrößern, wollen alle Tageszeitungen vom Image der Parteiblätter loskommen und so parteilose Leser und Leser anderer Parteien ansprechen.
Das ist auch die Strategie des Lëtzebuerger Journal, dessen Auflage sich in einer ähnlichen Höhe wie diejenige von Le Quotidien, der Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek und der ehemaligen La Voix bewegt. Ab nächstem Dienstag erscheint es mit einem ehrgeizigen neuen Konzept und will „entschieden keine Parteizeitung sein. Das hat der Verwaltungsrat so beschlossen“, meinte am Dienstag Norbert Becker, seit 2005 Präsident des noch immer mit DP-Politikern bestückten Verwaltungsrats. Diese Entscheidung sei auch „in allen zuständigen Gremien der Partei schmerzlos über die Bühne gegangen“.
Nachdem die DP während Jahrzehnten die Unterstützung von Wort und Tageblatt für die CSV beziehungsweise die LSAP als unlauteren Wettbewerb zwischen den Parteien beklagt hatte, beschloss ihre Führung im vergangenen Jahr, ihre Kommunikation ins Internet zu verlagern und ihre Mitglieder mit einem elektronischen Newsletter auf dem Laufenden zu halten. DP-Präsident Claude Meisch hatte im November vergangenen Jahres einen Rundbrief an alle Parteimitglieder geschickt und erklärt, in dem künftigen neuen Konzept „le Journal ne pourra plus servir comme organe d’information officiel du DP“.
Meisch hatte in seinem Brief geklagt, dass „le nombre d’abonnés du Lëtzebuerger Journal respectivement la vente de journaux sont en décroissance permanente“. Das Journal lässt sich nicht von Cim kontrollieren, aber seine von TNS-Ilres erfragte Reichweite sank innerhalb von zwei Jahren von 3,2 auf 1,7 Prozent.
Deshalb beschloss die von einer DP-nahen Stiftung kontrollierte Zeitung im vergangenen Jahr, sich mit über 600 000 Euro am Kapital von Editpress zu beteiligen. Seither versucht die Werberegie des Tageblatt-Verlags, Anzeigen für das Journal zu akquirieren, seit Anfang des Monats wird es auch in der Tageblatt-Druckerei Polyprint gedruckt. Verwaltung und Logistik wurden ebenfalls „outgesourcet“, wie Verwaltungsratspräsident Norbert Becker am Dienstag erklärte.
Gleichzeitig kaufte das Blatt bei TNS Ilres eine Marktstudie und bei der Hamburger Agentur Fischer Appelt ein neues Konzept. Finanziert soll die Umstellung „ganz aus Eigenmitteln“ werden, betonte Norbert Becker. Man habe in den vergangenen Jahren „relativ gut gewirtschaftet“ und verfüge so über Rücklagen. Die Tageszeitung, die ihre Montagsausgabe eingestellt hatte, weil sie nicht mehr die Lohnzuschläge für Sonntagsarbeit zahlen wollte, soll nun auch wieder montags herauskommen. Das neue Journal wird „visuell und grafisch getrieben“, wie Geschäftsführer Marc Hansen am Dienstag nicht müde wurde zu betonen. Vor allem soll die Tageszeitung „ein bisschen weiter von der Aktualität entfernt sein“ und stattdessen mehr auf Analysen und Hintergrundberichterstattung setzen. Zum Ziel hat sich das Journal laut Becker „eine viel größere Auflage als heute“ gesetzt; die Druckauflage von derzeit 5 000 Exemplaren soll „signifikant erhöht“ und in der Startphase sogar verdoppelt werden.
Vorige Woche hatte das Journal überraschend angekündigt, dass der ehemalige Chefredakteur des Luxemburger Wort, Marc Glesener, mit einem Beratervertrag die tägliche Redaktionsarbeit an der Seite von Chefredakteur Claude Karger mitleiten und Beiträge verfassen soll. Dadurch hofft die Zeitung nicht nur, ihre Redaktion zu professinalisieren und zu dynamisieren, sondern mit dem CSV-Militanten auch ein politisches Gegengewicht zur LSAP-nahen Editpress-Gruppe zu schaffen und so ihre politische Unabhängigkeit zu unterstreichen.
Das Luxemburger Wort hatte sich im Juli von seinem Chefredakteur getrennt. Marc Glesener war seit Anfang 2010 Chefredakteur des Wort und noch vor wenigen Monaten zum Verantwortlichen für sämtliche redaktionelle Inhalte der Sankt-Paulus-Gruppe befördert worden. Glesener, selbst ein Opfer der wieder weitgehend zurückgerollten Reformversuche vor sieben Jahren, stand vorübergehend für den Versuch, das Wort vom moralinsauren Ton seines Vorgängers Léon Zeches zu befreien und es so attraktiver für Leser ohne Bindung zur katholischen Kirche und zur CSV zu machen.
Doch der im Juni angetretene neue Erzbischof Jean-Claude Hollerich berief im Februar dieses Jahres den Moraltheologen Erny Gillen zum neuen Verwaltungsratspräsidenten. Er soll nicht nur die Durchsetzung eines weiteren Sozialplans und die Senkung der Lohnmasse um 15 Prozent durchsetzen, über die der Verwaltungsrat nächsten Monat entscheiden soll. Vor die Wahl gestellt zwischen dem Kampf gegen den Auflagenrückgang und dem Bekenntnis zum Parteiblatt, scheint das Erzbistum das Wort wieder vermehrt dort verankern zu wollen, wo es immer war: am rechten Rand der CSV.
Ob den anderen Zeitungen der Abschied vom Parteiblatt besser gelingt, muss sich erst zeigen. Die Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek wollte schon vor mehr als 20 Jahren kein „Zentralorgan“ der Kommunistischen Partei mehr sein, bleibt aber die Zeitung der KPL. Die LSAP klagt unentwegt über die Sticheleien des Tageblatt, das sich den OGBL nicht zu kritisieren traut, auch wenn es so gerne möchte. Doch im Wahlkampf zeigt sich, dass die politische Unabhängigkeit oft nur gespielt ist. Deshalb ist es auch schwer vorstellbar, dass das neue Lëtzebuerger Journal im Juni 2014 dazu aufrufen wird, CSV oder LSAP zu wählen.
Die Parteien stellen sich unterschiedlich auf die drohende Fahnenflucht der Parteblätter ein. Sie glauben nur noch an die neuen Medien, schwören auf das Fernsehen und können dank Wahlkampfkostenerstattung und Parteienbezuschussung Anzeigenraum und Werbezeit wie Banken und Supermärkte kaufen.
Doch sollte aus dem halbherzigen Abschied der Parteiblätter ein tatsächlicher werden, könnten die Konsequenzen für die Tagespresse größer als für die Parteien werden. Denn die derzeitige Vielfalt der Tageszeitungen auf einem sehr kleinen, nach Sprachen fragmentierten Markt ist vor allem das Verdienst der Parteiblätter. Wären die seit Jahrzehnten bestehenden Tageszeitungen außer nationalen und lokalen Zeitungen nicht auch Parteizeitungen, gäbe es hierzulande, wie im Saarland, Lothringen oder der Province du Luxembourg, vielleicht nur eine verkaufte Tageszeitung. Hören die Tageszeitungen tatsächlich einmal auf, bekennende oder heimliche Parteiblätter zu sein, könnte dies den bisher vor allem aus politischen Gründen verzögerter Konzentrationsprozess beschleunigen, an dessen Ende eine oder höchsten zwei verkaufte Tageszeitungen übrigblieben.
Romain Hilgert
Catégories: Partis politiques
Édition: 07.09.2012