Nach einem langen Gang durch die Wüste schöpft die DP wieder Hoffnung. Die Hoffnung heißt partei[-]intern „Xav’“, auch „Xavier“. Anfang des Monats bescheinigten Luxemburger Wort und RTL dem Opposi[-]tionspolitiker mit einer Meinungsumfrage, dass er der beliebteste Politiker gleich nach CSV-Premier Jean-Claude Juncker ist. Um endlich den Sozialisten und ein wenig auch Jean-Claude Juncker los zu werden, rückte das Wort ihn gleich zusammen mit Juncker auf die Titelseite, als ob es sich schon um den alten und den neuen Premier handelte, und feierte ihn im Leitartikel als „neue[n] Thorn“.
Der jung und unverbraucht wirkende Bürgermeister der Hauptstadt, der trotz oder wegen der anhaltenden Demontage seines Vorgängers Paul Helminger binnen sechs Monaten in der landesweiten Beliebtheitsskala spektakuläre 25 Prozentpunkte zugelegt hat, erscheint als personelle, wenn auch nicht unbedingt politische Alternative zu den, nun ja, doch etwas alt und verbraucht wirkenden Ministern und Abgeordneten der Koali[-]tion.
Von Bettels Publikumserfolg und der unverhohlenen Unterstützung durch die auflagenstärkste Zeitung berauscht, jubelte DP-Generalsekretär Fernand Etgen am Samstag: „Die DP hat in den letzten Meinungsumfragen die Nase vorn.“ Tatsächlich legte in den Augen der im Auftrag von Wort und RTL Befragten auch Präsident Claude Meisch acht bis zehn Prozentpunkte an Sympathie und Kompetenz zu.
Doch Xavier Bettel, der neue Star der Partei, kam am Samstag auf dem Parteitag der DP gar nicht zu Wort. Er muss noch bis nächstes Frühjahr warten, um sich zum Nachfolger von Parteipräsident Claude Meisch wählen zu lassen. Dann soll er den Ton auch in der Partei und auf den Kongressen angeben.
Dieses Jahr traf sich das Parteivolk in Leudelingen, der liberalen Vorzeigegemeinde mit ihrem wirtschaftsfreundlichen Paternalismus, über den Bürgermeister Rob Roemen stolz melden konnte: „Wir haben keine Opposition.“ Im neuen, für die kleine Majorzgemeinde viel zu teueren Kultur- und Vereinsbau An der Eech mit seinem landesweit genormten Mehrzwecksaal aus warmem Naturholz und kaltem Stahl verzichtete die DP wieder auf die üblichen Parteitags[-]attribute wie Vorstandstische, Kongressleitung, Diskussionen und Resolutionen. Stattdessen führte der Hesperinger Gemeinderat Claude Lamberty als gut gelaunter Showmaster durch das kurze Programm.
Auf der Bühne stand hinter der Rednertribüne ein fast mannshoher Pappkarton, als sei gerade eine neue Waschmaschine geliefert worden. Die Verpackung trug den Aufdruck „DO ASS MÉI DRAN. EISEN ZUKUNFTSPAK FIR LËTZEBUERG“. Aber auch dieses Zukunftspaket war in Wirklichkeit leer. Es war der Nachfolger des fast mannshohen, in Wirklichkeit mit Luftballons gefüllten Rucksacks mit all den Problemen, welche die Regierung den nächsten Generationen aufbürde. Alle Kongressteilnehmer fanden auf ihren Stühlen die Miniaturausgabe eines Zukunftspakets, das sie sich, fleißig nestelnd, als Alternative zum Sparpaket der Regierung zusammenbastelten.
Denn seit ihrer Erneuerung nach der Wahlniederlage von 2004, seit bald einem Jahrzehnt, sucht die traditionelle Notabelnpartei nicht nur nach den populären Kandidaten, die für sie oft Programm waren, sondern auch nach zündenden Ideen für politische Inhalte. Sie ist inzwischen überzeugt, dass es zu einem künftigen Wahlsieg und einer Regierungsbeteiligung beides braucht.
War die DP 2009 als Verteidigerin der Mittelschichten in den Wahlkampf gezogen und hatte sie sich einen grünen Punkt ins Logo malen lassen, waren die Mittelschichten am Samstag kein explizites Thema mehr, und zum Umweltschutz meinte Meisch, dass „eine Gesellschaft ohne Wachstum eine Gesellschaft ohne Zukunft“ sei. Anders als 1999, will die DP auch den von CSV und LSAP gebeutelten Staatsbeamten keine Zuflucht mehr gewähren: Der Premier hatte sich dafür bedankt, dass sie half, das Gehälterabkommen mit der CGFP zu kippen.
Anders auch als 1994, bekannte sich Claude Meisch statt zu einer neoliberalen Rosskur nachdrücklich zur „so[-]zia[-]len Marktwirtschaft“, auch wenn er die für unverzichtbar gehaltene Regulierung des Markts vorsichtshalber nicht dem Staat, sondern „dem Menschen“ überantwortete. Der Neoliberalismus scheint in den Augen der Liberalen abgewirtschaftet zu haben, und sie wollen um keinen Preis mit ihm in einen Topf geworfen werden. Unter dem Eindruck des in mehreren Ländern der Euro-Zone aufkommenden Widerstands gegen die drastische Sparpolitik warnte Meisch, dass „die Menschen der Demokratie den Rücken zu drehen“ drohten, wenn sie „ausgeblendet“ würden. Mit einem flammenden Plädoyer nahm er die Betriebe in Schutz, das „neue Feindbild der Regierung“, das der Premier „ekelhaft populistisch“ angreife.
Zu den politischen Alternativen die sich, wenn auch nunmehr unausgesprochen, weiterhin an junge, aufstrebende Mittelschichtenfamilien richten, zählt in diesen Zeiten als erstes eine „intelligente Finanzpolitik“, um „mit weniger Mitteln mehr herauszuholen“. Dazu gehörten nicht nur Spar[-]anstrengungen „ohne Buchhaltermentalität“, sondern auch eine Steuerreform, welche laut Meisch bei der Einkommenssteuer den Familienstand nicht mehr berücksichtige und deshalb die Steuerklassen und viele Freibeträge abschaffe. Eine kluge Reform der Betriebsbesteuerung solle Wachstum und Arbeitsplätze fördern. Die Regierung versuche dagegen, so Fernand Etgen, Probleme mit dem „Scheckheft“ zu lösen und Wahlgeschenke zu verteilen, wie die neuen Studienbeihilfen, die Dienstleistungsschecks oder die Mammerent zeigten.
In der Bildungspolitik soll auf große Reformen verzichtet werden, wie LSAP-Minister Mady Delvaux-Stehres sie versucht, und stattdessen die Lehrerausbildung reformiert und die Autonomie der Schulen vergrößert werden. Die Kinderbetreuung soll überprüfbaren pädagogischen Konzepten gehorchen, und eine „Klimabank“ soll die energetische Sanierung von Gebäuden finanzieren. Zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sollen die „administrativen und steuerlichen Rahmenbedingungen“ für Betriebe verbessert werden. Die von LSAP-Minister Mars Di Bartolomeo angekündigte Rentenreform will die DP beschleunigen und „die Praxis der Rentenanpassungen jetzt einfach einmal sein lassen“.
Im Vertrauen auf einige vorsichtig innovative Programmpunkte, den ersten wahren Lichtblick bei der personellen Erneuerung und eine Regierung, die bald mit ihrem Latein am Ende scheint, mokierte sich Claude Meisch nicht nur: „CSV und LSAP sind ein Modell für die guten Jahre.“ Kühn vergriff er sich zudem am politischen Übervater der Nation: „Die Ära Juncker ist für Luxemburg auch am Ende.“ Denn „auch der Premier ist alt geworden“, er finde für alle Probleme immer einen Schuldigen, aber sei, trotz 17-jähriger Amtszeit, nie selbst für ein Problem verantwortlich.
Schatzmeister Kik Schneider konnte dem Kongress melden, dass die Partei vergangenes Jahr wegen eines, wenn auch vollständig durch staatliche Zuschüsse abgedeckten, 450 000 Euro teueren Gemeindewahlkampfs zwar mit einem Defizit von 186 000 Euro abschloss. Aber sie verfüge auf ihren Bankkonten noch über einen Kriegsschatz von 800 000 Euro. Damit sei sie in der Lage, ohne bis 2014 zu warten, schon „jetzt einen Wahlkampf zu finanzieren“, wurde Schneider gleich übermütig.