„Based on our regular economic and monetary analyses, we decided to cut the key ECB interest rates by 25 basis points. Inflationary pressure over the policy-relevant horizon has been dampened further as some of the previously identified downside risks to the euro area growth outlook have materialised. Consistent with this picture, the underlying pace of monetary expansion remains subdued. Inflation expectations for the euro area economy continue to be firmly anchored in line with our aim of maintaining inflation rates below, but close to, 2 per cent over the medium term. At the same time, economic growth in the euro area continues to remain weak, with heightened uncertainty weighing on confidence and sentiment.“
Mit diesen Worten kündigte EZB-Chef Mario Draghi am 5. Juli, die Entscheidung der Europäischen Zentralbank an, den Leitzins auf 0,75 Prozent zu senken, den tiefsten Stand seit Einführung des Euro. Frei aus dem Zentralbanksprech übersetzt heißt das, die Zinsen wurden um 0,25 Prozentpunkte gesenkt, weil durch die schwächelnde Wirtschaft im Euroraum, das Risiko, dass die Inflation über das EZB-Ziel stabiler Preise geringer geworden ist. Stabil sind die Preise nach EZB-Definition dann, wenn die Inflationsrate knapp unter zwei Prozent liegt.
Hauptrefinanzierungssatz Leitzinssätze gibt es bei der EZB allerdings nicht nur einen, sondern mehrere. Der Hauptrefinanzierungssatz ist wohl der meistbeachtete der EZB-Zinssätze. Er gilt für die wöchentlichen Geld-Auktionen der EZB – im Jargon „Tender“ genannt, nach dem englischen Begriff für ein Ausschreibungsangebot –, bei denen die Banken im Euroraum Kredit bei der Zentralbank nehmen können. In Nicht-Krisenzeiten ist der Leitzins ein Mindestsatz, das heißt, Banken die Geld leihen wollen, können/sollen diesen Zins überbieten. Auf Basis dieser Angebote entscheiden die Zentralbankmitarbeiter, welche Bank wie viel von dem Betrag, den sie beantragt hat, erhält. Durch diesen Zinssatz steuert die Zentralbank die Preise für Kredite zwischen den Banken, auf dem Interbankmarkt. Wie? Wenn die Zinsen auf dem Interbankmarkt nicht unter denen der EZB liegen, leihen sich die Banken lieber Geld bei der Zentralbank als bei den Kollegen. Senkt also die EZB die Zinsen, müssen die Banken in ihren Geldgeschäften untereinander nachziehen. Dadurch wird die Kreditvergabe auf dem Kapitalmarkt allgemein billiger, und auch die Kredite für die Bankkunden werden billiger. Die EZB spricht vom Bankentransmissionskanal ihrer Geldpolitik. Soweit die Theorie. Weil seit Ausbruch der Finanzkrise das Vertrauen zwischen den Banken weg ist, sie sich untereinander nur noch wenig leihen, hat die EZB die Spielregeln geändert. Der Hauptrefinanzierungssatz ist kein Mindestgebot mehr, sondern ein Festpreis und die Banken erhalten zu diesem Festpreis genau so viel Geld, wie sie beantragt haben. Die Laufzeiten für die Kredite aus dem „Haupttender“, der einmal wöchentlich organisiert wird, sind kurz – im Normalfall eine Woche. Dadurch erhält sich die Zentralbank die Möglichkeit, immer wieder veränderte Zinsen durchzusetzen, weil die Kredite umgewälzt werden müssen. Am 5. Juli beschloss der Rat der EZB, den Hauptrefinanzierungssatz auf 0,75 Prozent zu senken.
Einlagezinssatz Wie Geschäftsbanken ihren Kunden, gibt auch die Zentralbank ihren Kunden, den Banken, Zinsen für das Geld, das diese bei ihr deponieren. Der Einlagezinssatz ist niedriger als der Hauptrefinanzierungssatz, um zu verhindern, dass die Banken bei der Zentralbank Geld billig leihen und es dann dort mit einer höheren Rendite gleich wieder anlegen. Mit dem Geld, das ihnen die Zentralbank leiht, sollen sie sich untereinander Kredit geben, beziehungsweise ihren Kunden. Weil das seit Ausbruch der Finanzkrise nicht mehr wirklich funktioniert, hat die EZB den ohnehin schon sehr niedrigen Einlagezinssatz im Juli von 0,25 Prozent auf 0,00 Prozent gesenkt. Die Banken erhalten demnach überhaupt keine Zinsen mehr auf ihren Zentralbankeinlagen. Als die EZB den Zinssatz im Juli auf Null senkte, hatten die Banken im Euroraum 800 Milliarden Euro auf ihren Zentralbankkonten. Die Rechnung, dass sie mit dem Geld, das die Zentralbank ihnen durch ihre Sondereingriffe um den Jahreswechsel 2011/2012 zur Verfügung stellte – fast eine Billion Euro mit einer Laufzeit von drei Jahren – ging nicht wirklich auf.
Der Spitzenfinanzierungssatz gilt auf Übernachtkrediten, also im Ausnahmefall. Dann, wenn abends die Bücher der Banken geschlossen werden und Liquidität fehlt. Diese ständige Möglichkeit, Geld kurzfristig zu leihen, ist vergleichsweise teuer. Deshalb nutzen die Banken sie nur, wenn ihnen keine andere Bank Geld leiht. Weil seit der Finanzkrise alles anders ist, liegt der Spitzenfinanzierungssatz augenblicklich bei nur noch 1,5 Prozent.
Historischer Rückblick Im Januar 1999 stieg die Europäische Zentralbank mit einem Hauptrefinanzierungssatz von 3,0 Prozent ins Geschäft ein. Seither hat sie ihn unabhängig davon, ob er als Mindestsatz oder als fester Satz angewendet wurde, 37 Mal verändert. Den höchsten Zinssatz der EZB-Geschichte ab es im September 2000 mit 4,75 Prozent. Seit Ausbruch der Finanzkrise im Herbst 2008 setzte die EZB den Hauptleitzins von 3,75 Prozent progressiv auf ein Prozent im Mai 2009 herab und behielt dieses Niveau bis April 2011 bei, als er auf 1,25 Prozent angehoben wurde. Im Juli vergangenen Jahres folgte eine weitere Hausse auf 1,50 Prozent. Ab da ging es progressiv nach unten, bis auf 0,75 Prozent im Juli. Schon 2009 wurde unter Zentralbankbeobachtern heftig diskutiert, wie viel Spielraum der Zentralbank überhaupt noch bleibe, um Geldpolitik zu machen.
Niedrigzinspolitik Durch niedrige Zinsen, erklärt Carlo Thelen, Ökonom der Luxemburger Handelskammer, wird im Allgemeinen versucht, die Wirtschaft zu stimulieren. Durch niedrige Kreditkosten sollen die Verbraucher zum Konsum, Firmen zu Investitionen angeregt werden, so die gängige Wirtschaftslehre. Dass das im Augenblick nicht funktioniert, führt Thelen darauf zurück, dass die Finanz- und die darauffolgende Eurokrise Unternehmen wie Konsumenten das Vertrauen genommen haben. Deswegen nehmen sie trotz niedriger Zinsen wenig Kredite auf. „2010 und Anfang 2011 sah es so aus, als ob es einen kleinen Aufschwung gäbe, das Gröbste ausgestanden sei“, so Thelen – entsprechend hob die Zentralbank im April 2011 die Zinsen, um die steigenden Inflationsgefahren einzudämmen – „doch dann war das Vertrauen durch die Schuldenkrise wieder weg.“ Auch in Luxemburg stagniert die Kreditentwicklung. „Was die Nachfrage seitens der Unternehmen betrifft, zeigen die jüngsten Resultate einen starken Rückgang in Luxemburg“, schreibt die Luxemburger Zentralbank in ihrem Bulletin 3/2012. „Insgesamt ist die Nachfrage der Unternehmen in Luxemburg seit 2008 eher flau, wenn nicht negativ.“ Zwar stieg die Nachfrage der Luxemburger Haushalte nach Immobilienkrediten in den vergangenen Monaten leicht an, die Nachfrage nach Konsumkrediten, beispielsweise für Autos oder andere Gerbrauchsgegenstände, fiel hingegen. Was die Zentralbank unter anderem auf das niedrige Verbrauchervertrauen zurückführt.
Für Luxemburger Hausbesitzer, die ihre Immobilie meist über eine Hypothek mit variablem Zinssatz finanzieren, haben die niedrigen Zinsen positive Folgen. Wer also die vergangenen Warnungen der Banken in den Wind schlug, die Zinsen würden bald steigen, deswegen sollte man vielleicht eine Finanzierung zum Festzins erwägen, hat profitiert. Ein Beispiel: Wer im September 2007 (Leitzins EZB: 4,00 Prozent) einen Kredit über 100 000 Euro mit einer Laufzeit von 20 Jahren aufnahm, dem wurde ein fester Satz von 6,40 Prozent angeboten. Demnach betrug die monatliche Tranche 739,70 Euro. Nach fünf Jahren hat er 14 548 Euro zurückgezahlt, das Saldo beträgt 85 425 Euro. Entschied sich der Kreditnehmer für einen variablen Zinssatz, begann er die Rückzahlung des Kredits mit einem Satz von 5,25 Prozent und monatlichen Tranchen von 673,84 Euro. Fünf Jahre später liegt der Zinssatz bei 2,45 Prozent, ihm bleiben 74 678 Euro abzustottern. Unterm Strich ein Vorteil von 14 724 Euro. Natürlich kann sich über die restliche Laufzeit von 15 Jahren die Tendenz umkehren. Wenn die Zinsen auf über 6,40 Prozent, also drastisch ansteigen würden. Laut BCL wurden neue Immobilienkredite mit variablem Zinssatz im Juni 2012 zu einem Zinssatz von 2,02 Prozent vergeben. Seit Beginn der Aufzeichnung der Daten im Jahr 2003 waren neue Luxemburger Immobilienkredite im Februar 2011 mit 1,81 Prozent am billigsten, im Vergleich zu 5,22 Prozent im August 2008.
Zinsaufkommen In der Vergangenheit hat BCL-Chef Yves Mersch die Banken mitunter dafür gescholten, dass sie Leitzinsbewegungen nicht gleichermaßen schnell an die Kunden weitergeben. Damit ist folgende Tendenz gemeint: Wenn die Leitzinsen steigen, erhöhen die Banken schneller die Zinsen auf den Krediten als auf den Einlagen, wenn der Leitzins sinkt, senken sie die Zinsen auf den Kundendepots schneller als die Darlehenszinsen. Im letzten Bulletin stellte die BCL allerdings fest, die von den Geschäftsbanken angewandten Zinssätze seien mit den Zentralbankleitzinsen auf einer Linie. Weil auch die Luxemburger Banken Geld bei der Zentralbank deponierten, statt es zu verleihen – 54,228 Milliarden Euro Ende Juni 2012 –, der Einlagezinssatz in den vergangenen Monaten niedrig war, sank das Zinsaufkommen der Banken in den Ergebnissen für das erste Semester 2012 um 8,8 Prozent oder 838 Millionen Euro im Vergleich zum ersten Semester 2011.
Versicherungsgesellschaften stellt das Niedrigzinsumfeld vor ganz spezifische Probleme. Der Schweizer Versicherungsriese Zurich beispielsweise musste wegen der niedrigen Zinsen im zweiten Quartal 2012 Gewinneinbußen von 19 Prozent gegenüber dem zweiten Quartal 2011 verbuchen. Das Problem, erklärt Pit Hentgen von La Lux, Vorsitzender des Versicherungsverbands Aca, stellt sich vor allem im Lebensversicherungsbereich und innerhalb dieses Segments bei Policen mit garantierter Rendite. Die wird bei Vertragsabschluss festgehalten und entspricht normalerweise dem vom Commissariat aux Assurances (CAA) festgelegten „garantierten Höchstsatz“, der sich am allgemeinen Zinsniveau orientiert. So dass die Versicherer Kunden, deren Policen in einem anderen Zinsumfeld abgeschlossen wurden, höhere Zinsen zahlen müssen, als aktuell geboten werden. Demnach sie aktuell Verträge im Police-Portfolio, in denen der garantierte Zinssatz zwischen 1,75 (dem aktuellen Höchstsatz) und vier Prozent variiert, so Hentgen. Die Schwierigkeit für die Versicherer besteht darin, die Kundengelder so anzulegen, dass sie die notwendige Rendite erwirtschaften, um die den Kunden versprochene Rendite zu decken. Aktuell keine einfache Aufgabe, „die Zinsen, die wir bekommen sind niedriger als die, die den Kunden zugesichert sind“, erläutert Hentgen, der – wie auch das CAA – beruhigt: „Die Luxemburger Versicherungsgesellschaften sind sehr hoch kapitalisiert“. Ganz akut sei das Problem deswegen noch nicht. Doch ganz allgemein sitzen die Versicherungsgesellschaften in der Zwickmühle, wenn sie Versicherungsbeiträge rentabel anlegen sollen, um künftige Schadensfälle auszahlen zu können. Ihre Aufsichtsvorschriften schreiben ihnen konservative Anlagen vor, unbegrenzt dürfen sie nur in staatliche Anleihen der OECD-Länder investieren. Seit die Schuldenkrise die Eurozone erfasst hat, sind die Zinsen auf Papieren „sicherer“ Staaten sehr niedrig bis sogar negativ.
Luxemburg, als eines der letzten EU-Länder, dessen Kreditwürdigkeit von den Rating-Agenturen mit der Bestnote AAA ausgezeichnet wird, kann sich aktuell relativ günstig refinanzieren. Am 19. März 2012 hat sich der Luxemburg Staat für zehn Jahre eine Milliarde Euro zu einem Zinssatz von 2,25 Prozent geliehen. Vor zwei Jahren, im Mai 2010, als er eine Anleihe über zwei Milliarden Euro mit zehn Jahren Laufzeit aufnahm, lag der Zinssatz noch bei 3,375 Prozent. Im Schnitt beträgt der Zinssatz, den der Luxemburger Staat seinen Kreditgebern zahlt, 3,288 Prozent. Wenn aber die Kreditgeber die Anleihen weiterverkaufen, verändert sich der Zinssatz. Laut offizieller EZB-Statistik liegt der Zinssatz für Luxemburger Anleihen auf dem Sekundärmarkt im August 2012 bei 1,66 Prozent. In der Eurozone ist nur die Rendite auf finnischen (1,55 Prozent) und deutschen Anleihen (1,34 Prozent) niedriger. Am höchsten ist sie mit 24,34 Prozent auf griechischen Anleihen, danach folgen Portugal (9,89), Zypern (7,00) und Slowenien (6,81). Noch im November 2009 lagen die Zinssätze auf den Anleihen aller Eurostaaten unter fünf Prozent. Griechenlandanleihen wurden mit 4,84 Prozent Zinsaufschlag gehandelt, Luxemburg-Anleihen mit 3,87 Prozent. Wie hoch der Zinssatz am Sekundärmarkt auch steigt, zurückgezahlt werden die Anleihen zu dem Zinssatz, der bei der Ausgabe festgelegt wird. Griechenland, Portugal und Irland mussten bei einem Zinssatz von um die sieben Prozent unter den europäischen Rettungsschirm schlüpfen. 1993, so weit gehen die statistischen Aufzeichnungen bei der EZB zurück, wurden Bundesanleihen am Sekundarmarkt mit Zinsätzen von 7,15 Prozent gehandelt, spanische Anleihen mit 12,16 Prozent, finnische Anleihen mit 10,92 Prozent, französische Anleihen mit 7,92 Prozent, griechische mit 24, 50 Prozent und italienische mit 13,43 Prozent. Ab 1999, mit der Einführung des Euro, sanken die Zinsen auf allen Eurostaatsanleihen auf unter sieben Prozent. Dadurch, erklärt Ökonom Carlo Thelen, konnten diese Länder sich deutlich günstiger finanzieren als vorher. Der billige Kredit hat die Bildung von Blasen in den südlichen Euroländern, wie den Immobilienblasen in Spanien und Irland, ermöglicht fügt er hinzu. Neue Blasen, auch in komplizierten Finanzprodukten, die höhere Renditen versprechen, hält er bei anhaltend niedrigen Zinsen nicht für ausgeschlossen.
Véronique Poujol
Catégories: Place financière
Édition: 21.09.2012