Moderne Kriegsführung

Szenenfoto aus dem Film Warfare von Alex Garland
d'Lëtzebuerger Land du 25.04.2025

Schwer verwundete und traumatisierte Soldaten ziehen ab, eine Panzerluke schließt sich, eine Familie kommt aus ihrem Versteck und steht vor den Trümmern ihres Hauses, ihrer Existenz. Nichts ist gewonnen. Mit diesen tristen Bildern schließt der neue Film von Alex Garland. In Warfare führt der britische Drehbuchautor und Regisseur seine Überlegungen zum Krieg und der Kriegsfilm-Fotografie fort, die er mit dem Vorgängerfilm Civil War (2023) aufgemacht hat. Darin interessierte Garland sich für den Status der Bilder, für die mediale Gewalt, die dem Wesen der Kriegsfotografie inhärent ist.

Nicht so sehr wollte er, wie oftmals angenommen, damit eine apokalyptische Bestandsaufnahme der desolaten gegenwärtigen politischen Verhältnisse in den USA zeichnen. Vielmehr waren diese der lose Rahmen für die fiktionale Erzählung eines neu entflammten Bürgerkriegs in den USA. Krieg zeigte Garland als Bilderkrieg (d’Land, 21.6.2024), der die Selbstreflexion in sich trug. In seinem neuen Film Warfare treibt Garland die Bilderfrage des Krieges erneut um. Mehr noch aber will er sich von der abstrakt-philosophischen Dimension des Vorgängerfilms lösen und sie zu einer ganz eindringlichen körperlichen Filmerfahrung machen.

Es ist der 19. November 2006, wir befinden uns in der Stadt Ramadi zur Zeit des Irakkriegs. Aus der Vertikalaufsicht werden Drohnenaufnahmen gezeigt; es ist ein entmenschlichter Blick, alles ist Abbildung, Zielscheibe. Die Stadt als Schachbrett, Menschen als Figuren, die strategisch hin- und hergeschoben werden. Eine Gruppe Navy Seals soll ein Wohnhaus in einem umkämpften Gebiet der Stadt besetzen. Doch die Situation im von Al-Qaida dominierten Feindesland eskaliert unversehens und drastisch, so dass es bald nur noch um einen Rückzug ohne größere Verluste geht.

Der US-Veteran Ray Mendoza, der Garland als Berater in Civil War zur Seite stand, hatte an der besagten Mission selbst teilgenommen. Er verfasste mit Garland nicht nur das Drehbuch, sondern teilte sich mit ihm auch die Regie. Aus seinen Erinnerungen sollte eine Rekonstruktion der Ereignisse gewonnen uns filmisch festgehalten werden.

So, wie Civil War nicht ernsthaft an seinem Bürgerkriegsszenario in den USA interessiert war, handelt der neue Film nicht vom Irakkrieg. Es geht nicht um die Frage, inwiefern Präsident Bushs Angriff völkerrechtswidrig war. Eine Täter-Opfer-Beziehung wird nicht nahegelegt. Noch nicht einmal geht es tatsächlich um Krieg, sondern vielmehr um Kriegsführung als militärischen Gewaltakt – der Filmtitel ist vielsagend. Eine taktische Operation macht den Inhalt von Warfare aus. Der Schilderung eines Tages, ohne Überhöhung und ohne übergreifenden Blickwinkel gilt das besondere Augenmerk: Garland geht es um ein Moment der Unmittelbarkeit, sein Publikum in die kriegerische Situation – die hier im Wesentlichen ein wirres Rückzugsmanöver ist – hineinzuwerfen. Der authentischen Darstellungsweise ist schon die Einheit aus Raum und Zeit verpflichtet, die neunzigminütige Dauer des Films entspricht weitgehend der erzählten Zeit des Ereignisses.

Die Wirkung dieser veristischen Tendenz, die Steven Spielberg mit Saving Private Ryan (1998) für den modernen Kriegsfilm etabliert hat, liegt ferner in der filmischen Präsentation der Ereignisse, in der Form. Garland nutzt ein rasantes Montageverfahren, eine handgetragene Kamera und eine ganz räumliche Klangkulisse, die ohrenbetäubend und desorientierend gestaltet ist. Minutenlange Taubheitsgefühle wechseln sich mit markerschütternden Schmerzensschreien der Verwundeten ab, bis ein lärmender Düsenjet vorbeizieht. Das gilt auch für die visuelle Ebene: Großaufnahmen von schweißnassen und staubbedeckten Gesichtern, strömende Blutfontänen sowie austretende Organe und Knochen bestimmen die Bildinhalte; es ist reines körperliches Kino: Man soll den Horror des Krieges am eigenen Leibe spüren, als sei man selbst dabei. Man kann diesen Film mithin nicht mehr in dramaturgischen und narrativen Kategorien fassen. Warfare will keine klassische Kriegsgeschichte erzählen, sondern eine Situation möglichst direkt erfahrbar machen. Nur die Gewalt soll wirken, entsprechend sollen die filmsprachlichen Zeichen zu so etwas wie einer „Gewalt am Zuschauer“ führen.

In dieser Hinsicht bietet Warfare freilich genügend Raum für Missverständnisse: Manch einer wird verleitet sein, darin eine Verklärung des kampfeswilligen Soldaten, eine unterschwellige Mobilmachung und die legitimierende Proklamation eines „höheren Ziels“ erkennen zu wollen – alles Anzeichen, die die Vormachtstellung des US-Militärs propagieren könnten. Und ja: Es geht Garland zunächst um das Kollektiv, das von Kameradschaft geprägt ist. Das legt bereits die erste Szene nahe, in der die Navy Seals zu dem Musikvideo Call On Me von Eric Prydz euphorisch grölen, bevor sie in Ramadi in Stellung gehen. Dieses Kollektiv ist Teil des amerikanischen Militärapparats, ein Kollektiv, das auch verfügbare Kriegsmasse ist. Garland erzählt all dies nüchtern, es gibt nicht den Helden, auch nicht den Feind, nur die Gruppe als Kampfeinheit, über die beliebig verfügt werden kann und die zweckmäßig eingesetzt werden darf.

In seinen besten Momenten vermittelt Warfare so eine Ahnung für die Funktionsweisen zeitgenössischer Kriegsführung: Das Töten aus der Distanz, das Lauern auf das potenzielle Opfer, das Versteck als vorteilhafte Stellung, die Tarnanzüge zur Unkenntlichmachung. Warfare zeigt die Hinterlistigkeit moderner Kriegshandlungen, in denen es nur darauf ankommt, zu töten und zu überleben. Darauf zielt Garlands Film im Besonderen: So, wie er die Realität des Krieges nicht abbilden kann, so ist auch die Frage nach der „wahren Darstellungsweise“ eine überaus müßige, ja sinnfreie – Warfare zeugt aber von seinem entschlossenen Willen zur Annäherung. Im Krieg gewesen zu sein, den Ist-Zustand möglichst eindringlich zu beschreiben, unvermittelt und aufrichtig – das ist Garland ein Anliegen. Ein Anliegen, das auch Ausdruck für die Sinnlosigkeit des Krieges ist, die rohe und schonungslose Drastik von Warfare vermittelt die Absurdität des gesamten Manövers. Garland führt die Absurdität des Gezeigten ohnehin fortwährend selbstreflexiv mit, wenn er etwa Bilder der Luftraumüberwachung in das kämpferische Chaos am Boden abstrahierend einfügt.

Diese leitthematische Befragung durchzieht Warfare ebenso wie Civil War: Wie verhält man sich ethisch zum Krieg, nicht nur gegenüber seiner medialen Abbildung, sondern auch zu seiner Form? Ist diese Form der Kriegsführung noch legitim? Garland zielt auf eine komplexe und distanzierende Selbstreflexion, die er dem Publikum jedoch unverhohlen und konfrontativ anbietet. Denn spricht man vom Kriegsfilm, sind damit gemeinhin jene historisch verantworteten Kriege gemeint, die bereits filmisch abgebildet werden konnten. Dieses mediale Bezugsverhältnis denkt Garland immerzu mit. Die Bilder, die er mit Warfare produziert, reflektieren weiter über die medial vermittelten Bilder des Irakkriegs und mithin die Erinnerungskultur.

Marc Trappendreher
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