Looking for Freedom

Roy Reding beim ADR-Kongress  im März 2022
Foto: Olivier Halmes
d'Lëtzebuerger Land vom 18.08.2023

Zwölf Parteien treten am 8. Oktober zu den Nationalwahlen an. Fünf davon – fast die Hälfte – lassen sich dem rechten Lager zuordnen. Jahrzehntelang besaß die CSV das Monopol im rechten politischen Spektrum. Zersplitterung und Abspaltungen waren lange Zeit ein Phänomen der Linken. Das änderte sich Mitte der 1980-er Jahre, einerseits mit der Gründung des Aktiounskomitee 5/6 Pensioun fir jidereen im Jahr 1986, das sich 1992 in ADR umbenannte; andererseits mit der Federatioun eist Land – eis Sprooch (Feles), die sich 1984 von der Actioun Lëtzebuergesch absplitterte. Ursprünglich war die Feles gegründet worden als Reaktion auf die Forderung der Asti, das Wahlrecht für Nicht-Luxemburger/innen bei Gemeindewahlen einzuführen. In konservativen Kreisen, selbst in „moderaten“, hatte diese Forderung Empörung ausgelöst. Die CSV-Abgeordnete und Journalistin Viviane Reding schrieb im September 1987 anlässlich der Eröffnung des Festival de l’immigration im Wort, das kommunale Wahlrecht für Ausländer werde „von allen vernünftigen Luxemburgern“ strikt abgelehnt. Namhafte CSV-Politiker wie der damalige Innenminister Jean Spautz, Caritas-Direktor Paul Klein, Denkmalschützer Georges Calteux, Ärzte und hohe Polizisten, die Föderation der Zwangsrekrutierten und ganze Gemeinderäte schlossen sich der Feles an. Nachdem die Asti ihre Namen publik gemacht hatte, distanzierten sich viele von der Organisation, die in der Folge immer radikaler wurde. 1987 gingen aus ihr die in Tetingen gegründete, ökofaschistische National Bewegong (oder Gréng national Bewegong) des bis heute aktiven Pierre Peters und ihr nördliches Pendant Eislécker Fräiheetsbewegung hervor. Letztere nahm ihren Statuten zufolge nur Mitglieder auf, die nachweisen konnten, dass sie seit mindestens drei Generationen im Besitz der Nationalität sind oder dass ihre Großeltern aus dem Ösling stammen. 1994 buhlten fünf rechte Parteien um die Gunst der Wähler/innen (NB, GLS, Nomp, PRP), außer der ADR schaffte keine von ihnen den Einzug in die Abgeordnetenkammer.

Mit ADR, Déi Konservativ, Liberté-Fräiheet und Fokus treten am 8. Oktober wieder vier Parteien an, die sich rechts von der CSV positionieren. „Lëtzebuerg de Lëtzebuerger“ und „Auslänner raus“ fordert heute offen keine Partei mehr. Auch glatzköpfige Schläger in Springerstiefeln und Bomberjacken, die in Einkaufsstraßen Ausweise kontrollieren, um „Ausländer“ einzuschüchtern, werden heute nicht mehr rekrutiert – beziehungsweise ausgeschlossen, wenn sie zufällig entlarvt werden. Die Rechten haben ihr Aussehen verändert, sie tragen unauffällige Anzüge, haben sich dem „Mainstream“ untergeordnet. Ihr Diskurs ist subtiler, ihr Auftreten salonfähiger geworden, Auseinandersetzungen tragen sie vorzugsweise in Social Media aus: Der Freiheitsbegriff ist ins Zentrum ihrer Erzählung gerückt. Am moderatesten tritt Fokus auf: Die Partei des früheren CSV-Präsidenten Frank Engel hat zwar einige ADR-Mitglieder aus der Hauptstadt und aus Differdingen aufgenommen und vertritt gesellschaftspolitische Positionen, die denen der ADR nicht unähnlich sind; sie deshalb als rechtsradikale Partei zu bezeichnen, wäre jedoch unzutreffend.

Anders als Fokus sind Déi Konservativ und Liberté reine Splitterparteien der ADR. Déi-Konservativ-Gründer Joe Thein wurde im März 2017 aus der ADR ausgeschlossen, weil er einem Kommentator auf der Facebook-Seite des Abgeordneten Fernand Kartheiser zugestimmt hatte, LSAP-Außenminister Jean Asselborn solle (wie der ermordete US-Präsident John F. Kennedy“) „mat engem décapotablen Auto durch Dallas gefouert“ werden. Diese Aktion kam der Parteileitung gelegen, war der Petinger Gemeinderat doch bereits zuvor mit Provokationen aufgefallen, die manchen in der ADR zu weit gingen. Theins sexuelle Orientierung war zudem nur schwer mit dem Familienbild der ADR vereinbar. 2018 trat Theins neue Partei Déi Konservativ nur im Süden an und kam auf 0,27 Prozent der Wählerstimmen. Für den 8. Oktober hat sie nun auch eine Liste im Norden. Joe Thein und sein energischer Ko-Spitzenkandidat Roy Holzem hatten schon vor Wochen Videos aufgenommen, in denen sie um die Gunst der Gegner/innen von „Gambias“ Corona-Maßnamen werben und sich als „rechtsextremistische“ Partei inszenieren, die „d’Vollek“ während der Anti-Covid-Proteste bedingungslos unterstützte. Das Vollek sah das jedoch anders.

Viele Gegner/innen der Corona-Maßnahmen, die während der Pandemie mit der ADR kollaboriert und auch deren Initiativen für Volksbefragungen zur Verfassungsreform aktiv unterstützt hatten, haben sich nach seinem Austritt aus der ADR Roy Reding angeschlossen. Reding hatte sich geweigert, im Parlament Maske zu tragen, sich gegen Covid-19 impfen zu lassen und hatte in einschlägigen Telegram-Gruppen zum Widerstand gegen die Corona-Politik der Regierung aufgerufen. Abgeordnete anderer Parteien warfen ihm vor, einer der geistigen Brandstifter der Bewegung und nicht unschuldig daran zu sein, dass manche Corona-Proteste in Ausschreitungen endeten. Innerhalb der Bewegung ist der Anwalt und Geschäftsmann ein Held.

Mit Carole Dentzer (Norden), Patrick Mischel (Osten), Giovanni Patri (Süden) und Bas Schagen (Zentrum) hat der Abgeordnete, der seit seinem ADR-Austritt mit Liberté Chérie seine eigene Sensibilité politique hat, nun in allen Bezirken Spitzenkandidat/innen rekrutiert, die sich im „Widerstand“ gegen die Corona-Maßnahmen einen Namen gemacht hatten. Auch viele andere Kandidat/innen von Liberté kommen aus diesem „Milieu“. Der Name der Partei ist zugleich ihr Programm – andere Inhalte hat sie bislang offiziell nicht.

In Abwesenheit eines offiziellen Grundsatz- oder Wahlprogramms (es soll „bald“ veröffentlicht werden) will Giovanni Patri sich dafür einsetzen, dass das Volk seine Unabhängigkeit und Freiheit wieder zurückerhält, wie er dem Land erklärt. Patri ist Unternehmer im Bereich der Investmentfonds und war Initiator der Alliancup Association, die in der Pandemie die Interessen von Freiberuflern vertrat. Eine starke Wirtschaft, geringere Steuern; weniger Staat, jedoch mehr Polizeipräsenz (als Vorbild nennt Patri den früheren republikanischen Bürgermeister von New York City und heutigen Trump-Anwalt, Rudolph Giuliani); kürzere Genehmigungsprozeduren beim Wohnungsbau und ein leistungsfähigeres, privatisiertes Gesundheitssystem: Das sind laut Patri die Hauptpunkte, die Liberté in ihr Wahlprogramm schreiben wird. Bei den Gemeindewahlen im Juni war er noch für die CSV in der Hauptstadt angetreten, doch in den traditionellen Parteien würden Posten fast ausschließlich innerhalb der Politiker-Kaste vergeben, sagt Patri. Die Wähler/innen wünschten sich jedoch „normal Leit vum Terrain“, die sie repräsentierten.

Dieses Misstrauen gegenüber „Gambia“ und der CSV oder dem politischen „Establishment“ eint viele der Neu-Politiker, die Roy Reding dabei behilflich sein wollen, sein Mandat in der Abgeordnetenkammer auch ohne die ADR weiterzuführen. Sie wollen sich an der Regierung für das mutmaßliche Unrecht rächen, das sie ihnen während der Corona-Pandemie angetan hat.

Selbst wenn manche Kandidat/innen von Liberté verschwörungsideologische und rechtsradikale Inhalte in den sozialen Netzwerken teilen und verbreiten: Rechtmäßiger Erbe von Feles und National Bewegong bleibt die ADR, die seit dem Beitritt von Fernand Kartheiser immer weiter nach rechts rückt. Ideologisch führt sie heute viele Positionen von damals fort (Identität, Sprache, Überfremdung, Anti-Wachstum). Fred Keup und Tom Weidig von Nee 2015/Wee 2050, die wie die Feles ihre politische Legitimität aus der Kampagne gegen die beim Referendum von 2015 geplante Einführung des Wahlrechts für Nicht-Luxemburger/innen und aus der Auseinandersetzung mit der Asti ableiten, haben den identitären Flügel in der ADR nicht zuletzt mit ihrem Buch Mir gi Lëtzebuerg net op besetzt (beide sind Mitglied der Actioun Lëtzebuergesch). Eine neue Generation von ADR-Politikern legt nun den Schwerpunkt zusätzlich auf libertäre ideologische Inhalte: Der Polizist und ADR-Südbezirks-Präsident Luc Reyter vermisst in einem Parteivideo eine „libertäre Philosophie“, die „gegen den staatlichen Interventionismus“ agiere. Gleichzeitig beklagt Adrenalin-Präsident Maks Woroszylo in einem anderen Video, dass der Staat nichts gegen den Drogenhandel am hauptstädtischen Bahnhof unternehme.

Diese an sich widersprüchliche Haltung, die sich in ihrer Essenz sowohl bei sogenannten „Impfgegner/innen“ als auch bei Anhängern rechtsextremer Ideologien beobachten lässt, haben die Soziolog/innen Oliver Nachtwey und Carolin Amlinger in einem Erklärungsversuch mit dem Begriff des „libertären Autoritarismus“ beschrieben. Libertärer Autoritarismus sei das Symptom einer individualistischen Freiheitsidee spätmoderner Gesellschaften, in der gesellschaftliche Abhängigkeiten abgewehrt werden. Freiheit sei in dieser Perspektive kein geteilter gesellschaftlicher Zustand, sondern ein persönlicher Besitzstand; der Protest richte sich gegen die spätmoderne Gesellschaft, rebelliere aber im Namen ihrer zentralen Werte wie Selbstbestimmung und Souveränität. Andere Ansätze (wie der der Soziologin Alexandra Schauer) kommen zu dem Schluss, dass in der Spätmoderne das Potenzial zur sozialen Gestaltung durch das Schwinden des gesellschaftlichen Verständigungsraums immer weiter in die ihrem Selbstverständnis nach „unpolitischen Sphären von Ökonomie, Technik und Wissenschaft“ abwandert. Während die Notwendigkeit zur Veränderung aufgrund des Klimawandels, von Pandemien, Kriegen und sozialen Krisen wächst, werde die Handlungsfähigkeit des Individuums immer geringer. Vor diesem Hintergrund bieten neue rechte Bewegungen eine Hinwendung zu einer imaginierten, verklärten Vergangenheit, die unbequeme Realitäten verkennt und einfache Auswege, falsche Sicherheiten und bedingungslose Freiheit verspricht. Sie bedienen sich eines libertären, bürgerlichen Freiheitsbegriffs, der die Privatheit (im Gegensatz zur Öffentlichkeit) idealisiert. Laut Nachtwey und Amlinger birgt das Versprechen der individuellen Selbstverwirklichung aber auch ein Kränkungspotenzial, das schnell in Frustration und Ressentiment (gegen das sogenannte „Establishment“)umschlagen kann.

Roy Reding und Joe Thein weigerten sich in dieser Woche, dem Land Fragen nach ihrer politischen Programmatik zu beantworten, weil sie mit rezenten Artikeln, in denen sie namentlich erwähnt wurden, unzufrieden waren. Innerhalb der „Bewegung“ wird in den sozialen Netzwerken derweil fleißig darüber diskutiert, ob und inwieweit die Spaltung der radikalen Rechten durch die Partei von Roy Reding die ADR schwächen wird. Auszuschließen ist es nicht, umso mehr die ADR ihre besten Umfrageergebnisse in dieser Legislaturperiode im November 2021 erzielte. Damals hatte sie es noch geschafft, die Impf- und Coronamaßnahmen-Gegner/innen mit einer Petition und einer Kampagne gegen die Verfassungsreform auf ihre Seite zu ziehen.

Luc Laboulle
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