Drohungen und Sexismus – über Anfeindungen in den sozialen Medien und den Umgang von hiesigen Politikerinnen damit

„Jonkt Dëppen“

Die grüne Parteipräsidentin  Djuna Bernard (die zweite Person vorne links)
Foto: Olivier Halmes
d'Lëtzebuerger Land vom 26.05.2023

„Huet dir eng pistol dann benotzt dat w.e.g“, schrieb ein Facebook-User mit Namen Alain Lorang vor einem Jahr unter einen Post der grünen Abgeordneten Jessie Thill. Sie erstattete Anzeige, der Täter aber konnte nicht ermittelt werden, da er nicht unter seinem Klarnamen veröffentlichte. Im Schnitt meldet ihre grüne Kollegin Stéphanie Empain der Justiz einmal im Jahr Drohungen solcher Art. Die grüne Ko-Parteipräsidentin und Abgeordnete Djuna Bernard hat zu Beginn ihres Mandats drei anonyme Morddrohungen und zwei dick-pics per E-Mail zugeschickt bekommen. Nur in einem Fall konnte der Absender eines Penis-Abbildes identifiziert werden, er habe sich entschuldigt und den Vorfall heruntergespielt. Die heftigsten Kommentare sind auf Facebook zu lesen, weniger bei Instagram und Twitter, womöglich weil immer noch die meisten Personen einen Facebook-Account haben, meinen die grünen Politikerinnen. Die Beiträge würden in der Mehrheit von Männern stammen, „und dabei wird Gewalt im Netz zunehmend banalisiert“. Die Hemmschwelle sinke, „seit der Pandemie haben Verunglimpfungen zugenommen“, versucht Jessie Thill den Wandel zu datieren. Auch auf öffentlichen Plätzen, wie an Parteiständen, werde einem „Schäiss Gréng“ zugerufen.

Bekannt ist, dass Regierungsmitglieder häufig bedroht werden und nicht erst seit der Corona-Pandemie. Die Woche vor dem dreifachen Referendum 2015 veröffentlichte ein Mann Morddrohungen gegen Premier Xavier Bettel (DP). Später wurde er zu 15 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Das Land hat Poltikerinnen aus dem Parlament kontaktiert, um zu fragen, ob sie Drohungen, Hassrede und sexistische Kommentare erfahren haben. Dabei schälte sich heraus, dass grüne Abgeordnete derzeit stark angefeindet werden. Die Themen, die man mit grüner Politik assoziiere, riefen am meisten Reaktionen hervor – der öffentliche Transport, erneuerbare Energien, Geschlechtergerechtigkeit –, so der Eindruck von Stéphanie Empain. Zudem meinen die grünen Politikerinnen wahrzunehmen: die Dreierkonstellation „Frau, jung und grün – das triggert“. „Jonkt Dëppen, du bass nach gréng hannert den Oueren“, seien gängige Beleidigungen.

Pierre Weimerskirch, der seit Januar die RTL-Online-Redaktion leitet, berichtet, dass die Moderatoren der Kommentarspalten feststellen, dass der Tonfall sich verschärfe. Es gebe Personen, die „sich trauen quasi alles hinzuschreiben“. Und es falle auf, dass insbesondere grüne Politiker enorm polarisieren und nicht mehr sachlich diskutiert werde. Seiner Analyse zufolge betreffe es jedoch alle Grünen unabhängig des Geschlechts; ausschlaggebend sei die Parteifarbe (wobei Umweltthemen womöglich für viele Wähler weiblich konnotiert sind). Immer wieder lese man, die Grünen seien eine unwählbare, undemokratische Verbotspartei, die das Land in den Ruin treibe. Sie sei eine Kopie der „deutschen Skandal- und Filzpartei“. Bei anderen Parteien werde die politische Ausrichtung seltener thematisiert, es komme jedoch vor, dass homophobe Äußerungen gegenüber der DP fallen. Dem Land liegt ein anonymisiertes Beispiel vor, in dem behauptet wird, Premier Xavier Bettel würde sich nicht für das Großherzogtum, sondern für seinen „Schwulen-Status“ einsetzen.

Die DP-Generalsekretärin und Abgeordnete Carole Hartmann sagt, sie sei bisher zum Glück von Drohungen verschont geblieben. Eher lese sie „unzufriedene Stimmen“ unter Interviews von ihr. Es handele sich um Personen mit starken Meinungen, – „dabei kann der Ton aggressiver ausfallen“. Vorkommnisse von explizit sexistischen Bemerkungen könne sie keine nennen. Personen hätten ihr allerdings vorgeworfen, sie selbst habe „nicht viel vorzuweisen“, ohne ihren Vater stünde sie politisch nicht in der vordersten Reihe. Die Beleidigungen beschränkt sich nicht auf den virtuellen Raum, an einem Parteistand habe sie eine Frau gefragt, ob sie sich nicht schäme und ob sie ihre Spiegelbild noch ertrage.

Dass die Diffamierungen mit höheren Ämtern zunehmen – darauf deutet zumindest ein Bericht hin. Je sichtbarer Politikerinnen sind, desto schärfer fallen die Beleidigungen aus, lautet ein Fazit über Sana Marins letzte Regierung: So waren in Finnland überdurchschnittlich viele Frauen in Regierungsämtern und „die fünf am häufigsten angegriffenen Regierungsmitglieder sind Frauen“. Sie wurden zur Zielscheibe von sexistischen Beschimpfungen und ihre Führungsqualitäten ständig in Frage gestellt. Einer Umfrage des ARD-Politmagazins Report München zufolge seien etwa 90 Prozent aller weiblichen Bundestagsabgeordneten mit Hass im Netz konfrontiert. „Insgesamt haben 57 Prozent der Befragten mit sexistischen Beleidigungen und Bedrohungen zu kämpfen – quer durch alle Parteien“, heißt es in einer Pressemitteilung. Das RTBF hat Zahlen aus einer Masterarbeit publiziert, laut der jede Zweite von 55 befragten frankophonen Parlamentarierinnen angab, mindestens einmal einen sexistischen Witz gehört zu haben. Es handele sich um frauenfeindliche Äußerungen über ihr Aussehen sowie stereotype Rollenzuschreibungen. Von männlichen Kollegen sei schon mal die Bemerkung gefallen: „Madame ferait mieux d’aller passer l’aspirateur“. 23 Prozent gaben an, mindestens einmal eine Mord- oder Vergewaltigungsandrohung erhalten zu haben.

Jessie Thill erzählt, dass auch sie von Kollegen aus der Kammer abwertende Zwischenrufe erlebt hat. In ihrer Antrittsrede im Januar 2022 bezeichnete sie sich als Feministin, daraufhin warnte einer: „Dat dreiwe mir dir nach aus.“ Als sie die Bereitstellung von Tampons auf öffentlichen Toiletten ansprach, fragte einer: „Was bekommen die Männer im Gegenzug? Zigarren?“ Der Vergleich hinkt, denn Zigarren sind ein freiwillig konsumierbares Genussmittel und kein Hygieneprodukt. Überraschend sei zudem gewesen, dass solche Entgegnungen aus der Mitte des politischen Spektrums kamen. Nathalie Oberweis (déi Lénk) vernimmt ihrerseits bei älteren Herren, die seit mehreren Amtsperioden Abegordnete sind, die Haltung, die Kammer sei ihr Wohnzimmer. Sie würden ihr mit einer „Oh-Maischen-Attitüde“ begegnen. Djuna Bernard erzählt, dass der Erste Bürger des Landes, Fernand Etgen (DP), sie vor einem ausländischen Kammerpräsidenten, als „this is our green plant“ vorstellte. Zunächst musste sie kurz schmunzeln, es hätte ein tollpatschiger Ausrutscher sein können. Aber er bemühte das Bild mehrmals hintereinander, weshalb sie sich fragte: „Was wollte er herabsetzen, mich als grüne, junge Abgeordnete?“ Man solle lachen und nicht so grimmig dreinschauen, lautet ein Vorwurf, der mehreren Politikerinnen begegnet ist. Nathalie Oberweis moniert: „Bei Männern ist das kein Thema, aber bei Frauen sehr wohl.“

Wer sich ein Bild von der bro-culture machen will, die das Parlament regelmäßig ergreift, kann sich die Sitzung vom 14. Dezember 2022 anschauen. Darin berichtet Laurent Mosar (CSV), er und André Bauler (DP) seien unterwegs in die Kammer-Cafeteria gewesen, als ihnen Djuna Bernard begegnete. „D’Mme Djuna huet mech gekuckt mat engem Bléck, léif Kolleegen a Kolleeginnen, dee mech u meng al Spillschoulsjoffer erënnert huet.“ Fernand Etgen lacht ins Mikrofon. „Ëmmer wann ech mech net geschéckt hunn, dann huet déi mech béis ugekuckt“. Fernand Etgen wirft ein, er freue sich, dass Laurent Mosar am Ende der Budget-Debatte noch ans Rednerpult getreten sei, denn er wusste nicht, dass diese Debatte so „humoristisch, ja sogar, folkloristisch“ sein kann. Auch Mars di Bartolomeo freut sich, denn nach seiner Politikerkarriere könnte Laurent Mosar als Komiker auftreten. Fernand Etgen schmunzelt, er gebe dem LSAP-Politiker recht. Eigentlich sollte die Sitzung um 19 Uhr aufgehoben werden, doch der Kammerpräsident findet den Beitrag des CSV-Politikers „ganz flott“ und schenkt ihm noch etwas Redezeit.

Einen sogenannten Shitstorm inklusive Morddrohungen hat die Abgeordnete Simone Asselborn-Bintz (LSAP) erhalten. Der Fall veranschaulicht, wie die Familie einer öffentlichen Person in Mitleidenschaft gezogen werden kann. Nachdem der Familienhund erkrankte und aggressive Verhaltensweisen zeigte, entschied die Familie, das Tier einzuschläfern. Daraufhin postete eine Tierschutzorganisation, bei der ein Gemeinderat der Piraten aktiv ist, auf Facebook einen anonymen Brief, der aus der Ich-Perspektive des Hundes geschrieben ist und die Entscheidung der Familie anfechtet. Innerhalb mehrerer Stunden wurde der Brief über 300 Mal geteilt. Da der Brief Anspielungen auf das Amt von Asselborn-Bintz enthielt, fasste sie ihn zugleich als „politisches Manöver“ auf. „Maacht de Numm an d’Adress vun dem ,menschlechen‘ Kretzpaak öffentlech … ech hunn och eng Sprëtz!“ hieß es daraufhin. Oder auch noch: „Die Kouh plus de Veterinär missten ageschléifert ginn“. Früher habe Simone Asselborn-Bintz auf Hass-Postings geantwortet, „aber dann gerät man in einen Strudel, ein Ping-Pong, das zu gar nichts führt“. Lasse man diffamierende Falschaussagen unwidersprochen stehen, sei auch nichts gewonnen. Deshalb sperre sie diese mittlerweile. Seit dem Vorfall befasse sie sich mit Cybermobbing, insbesondere Jugendliche müssten besser geschützt werden. Nathalie Oberweis teilt diese Einschätzung. „Vor allem auf Twitter wird nicht ernsthaft diskutiert, viele User zielen mit Halbwahrheiten auf eine Diskreditierung meiner Person ab und suchen nicht den Dialog“. Die Plattform sei toxisch, so die Abgeordnete.

Bei einem von der C2DH und dem Alumni-Netzwerk der Uni Luxemburg organisierten Rundtischgespräch im März analysierte die an der Université de Lorraine lehrende Politikwissenschaftlerin Fabienne Greffet, die Gesellschaft sei zunehmend desillusioniert von den soziale Medien, man betone vermehrt ihre Spaltungseffekte und die Verbreitung von Fake News. Trotzdem seien die Online-Plattformen für Politiker ein zentrales Instrument, um den politischen Diskurs zu beeinflussen – die Netzwerke ermöglichen es, mit einem Klick viele Personen zu erreichen, wie aus einer Zusammenfassung der woxx hervorgeht. Womöglich können vor allem Oppositionspolitiker und weniger bekannte Gesichter kaum darauf verzichten. Denn wie die beigestellte Generalsekretärin der CSV, Clara Moraru, an dem Rundtischgespräch behauptete, setzten die Christdemokraten gezielt auf Social Media, da sie befürchten, sie würden weniger journalistische Aufmerksamkeit als die Regierungsparteien erhalten.

Carole Hartmann will Beschimpfungen nicht zu viel Aufmerksamkeit schenken. Sie wisse, die Kritik betreffe ihre Rolle als Politikerin und nicht sie als Privatperson. Dass es Personen mit anderen Meinungen gebe – darüber mache sie sich keine Illusion. Als kampfbereit zeigt sich Djuna Bernard, sie ist weiterhin motiviert, sich gegen Sexismus einzusetzen. Etwas gemischter sieht LSAP-Politikerin Simone Asselborn-Bintz ihr öffentliches Dasein: „Allein das Sprechen über den Vorfall mit dem Familienhund wühlt mich auf.“ Und auch Jessie Thill meint, die wiederkehrenden Anfeindungen seien frustrierend, „man braucht ein dickes Fell“. Der Austausch mit Parteifreunden helfe ihr jedoch.

Aber nicht alle Beispiele, die von den Politikerinnen erwähnt wurden, waren tatsächlich persönliche Herabsetzungen. So ist auf einem zugeschickten Bild ein Straßenschild mit der Aufschrift „Grüner Weg“ zu sehen an dem sich zugleich ein Sackgassen-Zeichen befindet. Ein Facebook-User schreibt zu dem Bild, „lange vermutet, nun bewiesen“. Auf eine humorvolle, wenn auch platte Art, darf man ausdrücken, dass man die politischen Ansichten einer Person nicht teilt.

Stéphanie Majerus
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