Doktor Sommer. Das war jene Kunstfigur, die in den Siebziger- und Achtzigerjahren des letzten Jahrtausends im Magazin Bravo die Jugend aufklärte. Dr. Sommer führte damit fort, was mit Helga, Helga und Michael und Helga und die Männer wenige Jahre zuvor in den deutschen Filmpalästen begonnen hatte. Doch Dr. Sommer ging auf seltsam zeitgeistige Weise vor, etwa indem er es zu Beginn der Achtzigerjahre als völlig normal empfand, dass elf- oder zwölfjährige Mädchen schon ihren ersten Geschlechtsverkehr hatten – vorzugsweise mit einem deutlich älteren Partner. Es war auch die Jugend-Zeitschrift mit einem Titelbild, für das die Redakteurinnen und Redakteure den Kopf von Desirée Nosbusch auf den Körper einer Älteren klebten. Nur das Letztere lediglich einen Hauch von einem weißem Bikini trug und die Hand lasziv ins Höschen hielt. So funktionierte das damals, und das waren die Ansprüche jener Zeit, die heute für einen Aufschrei der Empörung sorgen würden.
Dr. Sommer war aber auch jene Kunstfigur, der man tatsächlich Briefe mit seinen Problemen und Ängsten schrieb, weil man glaubte, tatsächlich eine Antwort zu bekommen. Auf diese gab es meist ein langes Warten, bis eines Tages ein belangloser Brief des Redaktionspraktikanten eintraf – mit gefühlt 69 Tipps und Tricks für ein besseres Leben, mit deutlich mehr Sex und einem gerüttelt Maß an Sittlichkeit.
Wer nie und nimmer Post vom Redaktionsassistenten des Doktor-Sommer-Teams bekam, für den hat nun der Schauspieler, Schriftsteller und Psychotherapeut Raoul Biltgen ein Kompendium auf den Markt geschmissen: Adam spricht. Mit 69 – ein Schelm, der Schmutziges dabei denkt – Einblicken in das Liebes- und Sexleben der Männer. Oder, um genau zu sein, mit 69 Wünschen, Hoffnungen und Fantasien an das Liebes- und aus dem Sexleben eines einzigen Mannes, des Autors selbst. Dazu zählen die Lesbennummer, Plastiktitten, der Anruf nach dem Date, die einzig wahre Liebe, das Arschloch, der Fußball, das Gewicht, Sex im Dunkeln, der Sitzpinkler, die Wirkung auf Frauen, das Abspritzen, der Valentinstag, getrennter Urlaub, der Porno, das zu frühe Kommen, die Selbstbefriedigung der Frau, die Langeweile, der alte Sack, das Schamhaar, der Hund, die Vergangenheit, das verfickte Wochenende, der Analverkehr ebenso wie die 69.
Zusammengefasst ist Adam spricht, so der Wunsch des Autors, das ultimative Erklärungsbuch, „welches Euch, liebe Frauen, in die allertiefsten Geheimnisse der Männlichkeit Einblicke gewähren wird“. So preist der Verlag es an. Dies nicht in Erstveröffentlichung, sondern als Auswahl von Kolumnen, die Biltgen allwöchentlich in seinem gleichnamigen Blog veröffentlicht, der seit 2010 rege von „Susanne“ und „macho“ kommentiert wird. Die Kolumnen dort handeln auch vom Sex mit Nazis, Sex mit Babybauch oder Auto-Sex. Als Selbsterfahrung oder an der roten Ampel. Dort kann man sich auch Gedanken darüber machen, zu welchen Tagträumen Büstenhalter anregen – oder vielmehr das Nicht-Tragen eines BH: „Weil die Eindeutigkeit der BH-losigkeit bei einer Frau auf die Potenzialität ihrer Nacktheit und die damit verbundene Leichtigkeit der Berührung der weiblichen Brust durch die männliche Hand hinweist. Mit anderen Worten: Männer wollen grabschen, und das geht natürlich leichter, wenn weniger statt mehr Stoff da ist, der die Haut verhüllt. Wenn ein Mann eine Frau sieht, die nur ein leichtes Top trägt und offensichtlich nichts darunter, spürt er förmlich, wie ein Kribbeln von seinem Hinterkopf durch den Körper in den Schwanz und von dort in die Hand fährt.“
Man hofft inständig, dass dies eine satirisch-ironisch überspitzte Überzeichnungen einer bierseligen Stammtischtruppe beim gemeinsamen Anschauen des Abspanns eines Pornofilms sei, der in der einzigen Sinnfrage des Erwachsenenfilms enden mag: „Warum liegt hier überhaupt Stroh rum?“
Biltgen ist mit seinem Werk eine gnadenlos selbstverliebte Aneinanderreihung schaler Altherrenwitze gelungen: „Rote Lippen soll man küssen, denn rot sind sie, wenn sie gut durchblutet sind. Gut durchblutete Lippen, ob oben oder unten, sind die eindeutigen Signale an die Mannheit, dass frau erregt ist und nur darauf wartet, endlich geküsst zu werden. Und weil Frauen ja eh eigentlich nichts anderes wollen, malen sie sich die Lippen, die oberen, rot an, damit sie dann auch geil wirken, wenn sie es grad nicht sind, denn auch dann wollen sie nichts anderes, als geküsst zu werden.“
Die Einblicke, die Biltgen in das heteronormative männliche Sexleben gewährt, offenbaren eine stark auf Macht und Dominanz reduzierte Sicht- und Erlebensweise der Sexualität. „Nein, ich wollte nicht derb werden, ich wollte nur in Worte fassen, worum es geht: um Macht.“ In der Sex-Erklärwelt Biltgens sagen alle Männer, wo es lang geht. Sie bestimmen, wie gefickt wird, sie wollen, dass geschluckt wird. Alle Männer spritzen Frauen voll. Alle Männer. Das ist nicht gerade eine glorreiche Simplifizierung, sondern zeigt auch, in welch tradiertem Geschlechterverständnis und in welchen überkommenen Rollenmustern der Autor verharrt, um dann doch an einem Punkt eingestehen zu müssen: „Ich bin zum Schluss gekommen, dass man die Männer grundsätzlich in zwei Kategorien einteilen kann. Jene, die darauf stehen, und jene, die das überhaupt nicht mögen.“ Bei der Erklärung seines Sexlebens bedient der Autor sich einer zwanghaften Pennälersprache, mit der er sich selbst auf die Schulter klopft, wenn er endlich glaubt, die Dinge beim Namen zu nennen. Adam spricht ist ein Buch, das zu Zeiten vor Dr. Sommer und Helga noch den einen oder anderen Aufreger zur Enttabuisierung beigetragen hätte. Heute zeigt es, dass es auch im Verständnis und im Einblick in Liebe und Sexualität Rückschritte geben kann.