Ein Streik ist der oft noch auf den klerikalen Untertanenstaat zurückgehenden vaterländischen Geschichtsschreibung zutiefst zuwider. Deshalb verstrich Anfang dieses Jahres sogar der 100. Jahrstag des Streiks in der Differdinger Hütte weitgehend unbemerkt, bei dessen Niederschlagung immerhin vier Arbeiter erschossen wurden. Der einzige Streik in der Landesgeschichte, der überhaupt für gedenkwürdig gehalten wird, ist der Generalstreik gegen die Zwangsrekrutierung durch die deutsche Besatzung vor 70 Jahren, indem er zum patriotischen Streik verklärt wird.
Mit dem Streik Ende August 1942 wehrten sich Arbeiter, Lehrer, Postbeamte und Bauern zwischen Wiltz und Schifflingen dagegen, dass sie in den Reihen der Wehrmacht am deutschen Raubkrieg teilnehmen sollten. Die Repression war noch härter als 30 Jahre zuvor in Differdingen, 21 Männer wurden standrechtlich erschossen.
Da sich nicht nur die offizielle Geschichtsschreibung mit diesem Streik schwer tut, geht seine Bewertung weit auseinander. Weil sie prinzipiell Streiks als öffentliche Ruhestörung durch Gewerkschaften missbilligen, betonen die einen, dass es sich um einen spontanen, sozusagen durch Parthenogenese entstandenen Protest handelte. Dabei hatten verschiedene Widerstandskämpfer und die Kommunistische Partei seit Anfang August heimlich Flugblätter verteilt, um zum Streik gegen die abzusehende Zwangsrekrutierung aufzurufen. Andere, wie zuletzt der Freiburger Historiker H.-E. Volkman in Luxemburg im Zeichen des Hakenkreuzes, bemühen sich, den Widerstand kleinzureden und rechnen vor, dass es sich um keinen Generalstreik gehandelt habe. So als ob nicht alle Massenbewegungen der Geschichte zuerst das Werk einer entschlossenen Minderheit waren – ganz abgesehen von den Schwierigkeiten, im Untergrund eines besetzten Landes einen flächendeckenden Streik zu organisieren.
Zumindest hierzulande herrscht aber weitgehende Einigkeit, dass der Generalstreik insbesondere die USA und Großbritannien unmissverständlich darauf aufmerksam gemacht habe, dass die Luxemburger ihre staatliche Eigenständigkeit gegenüber Nazi-Deutschland behalten wollten, das wehrlose Großherzogtum also am Tag der Befreiung und der Festlegung der Nachkriegsordnung auf der richtigen Seite der Front landete. Außerdem, so heißt es weiter, falle dem Generalstreik im Anschluss an die Personenstandsaufnahme ein Jahr zuvor eine bedeutende Rolle bei der Konstruktion oder Festigung einer nationalen Identität zu.
Nun leidet das Land seit bald 30 Jahren an diesem widerlichen Identitätswahn und eine Besserung ist nach der Eröffnung des millionteueren Unfugs auf Drei Eicheln nicht abzusehen. Deshalb könnte es ein Glücksfall sein, dass sich gerade der Generalstreik vor 70 Jahren zu einer anderen Lesart anbietet als dem rückwärtsgewandten Loblied von Vaterland und Muttersprache, dem klerikal-konservativen Bekenntnis zu Thron und Altar.
Sollte, statt Siggy vu Lëtzebuerg und Jang de Blannen, nicht gerade Hans Adam gefeiert werden, dem ausgerechnet aus Deutschland stammenden Arbeiter, der in Schifflingen das Signal zum Streik gab und dafür erschossen wurde? Sein Vorbild lehrt, dass der Generalstreik nicht als nationaler, sondern als antifaschistischer Akt verstanden werden kann. Dann war er aber einer der heroischen Höhepunkte des noch immer anhaltenden Kampfs für Demokratie, Gleichheit, soziale Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden und setzte die lange Tradition fort der liberalen Revolution von 1848, der republikanischen Bewegung von 1919, des Maulkorb-Referendums von 1937... Mehr als Hymnen und Fahnen, Te Deum und Militärparaden könnten sie vielleicht den, der es braucht, stolz machen, in diesem Land zu leben.