Als das neu gestaltete Tageblatt sich am Mittwoch mit einer kleinen Meinungsumfrage ins Gespräch brachte, laut der seit Bekanntwerden des Sparpakets zwei Drittel der Befragten unzufrieden mit der Regierung sind, da reagierte Premier Xavier Bettel (DP) mit seiner Standardformel: Die Regierung wolle nicht der Liebling der Meinungsumfrage sein, und es gebe sowieso keine anderen Optionen. Vizepremier Etienne Schneider (LSAP) tat alle Kritiken kurzerhand als „Missverständnisse“ ab, und LSAP-Fraktionsvorsitzende Alex Bodry philosophierte über Twitter mit dem Hammer: „Alles war dech net doud mëcht, mëcht dech méi staark!“ Parallel veröffentlichte RTL eine pünktlich aus den Regierungsschubladen weitergeleitete Notiz, laut der schon Ex-Finanzminister Luc Frieden die nun von der CSV heftig kritisierte Abschaffung der „alloc d’éducation: 45 mio“ erwogen habe.
Seit Dienstag vergangener Woche warten die Regierung und ihre Gegner gespannt darauf, ob der Widerstand gegen die Steuererhöhungen und die 258 Einsparungen zu einem ernsthaften Problem für die Koalition werden kann. Denn der Haushaltsentwurf für 2015 und das damit verbundene Sparpaket ist nach einem Jahr der erste große Test für DP, LSAP und Grünen. Die Regierung hatte sich ein ausgeglichenes Staatsbudget als übergeordnetes Ziel ihrer Legislaturperiode vorgenommen, war angetreten, alles anders und besser zu machen als die müden Männer von CSV und LSAP.
Dass es Widerstand geben würde, darüber machte sich niemand Illusionen. Als Chefideologe der Koalition berief sich Wirtschaftsminister Etienne Schneider sogar auf den Public-choice-Klassiker Mancur Olson, um den Widerstand als Reformunwilligkeit einer wohlhabenden Nation vorherzusagen. Damit sich der für unvermeidlich gehaltene Widerstand aber eindämmen lässt, versuchte die Regierung nicht bloß, das fünfte Sparpaket seit der Finanz- und Wirtschaftskrise als „Zukunftspak“ zu beschönigen. Sie beschloss auch, die Tripartite auszuschließen, und vorzugsweise auf Kosten von Bevölkerungsgruppen zu sparen, die nicht in der Tripartite vertreten sind: Hausfrauen, Grenzpendler, Arbeitslose…
Denn nach dem Fiasko der CSV/LSAP-Koalition wollte die Regierung keine Anstalten mehr machen, die Sozialpartner formell in ihre Entscheidungen einzubinden. Weil die finanziellen Mittel fehlen, um Zugeständnisse zum Erlangen eines Kompromisses zu machen, überging sie, anders als ihre Vorgängerin, von Anfang an die Berufsverbände. Stattdessen versuchte sie, sich mit Hilfe elektronischer Medien und einer Werbeagentur direkt an die Öffentlichkeit zu wenden.
Damit die politische Rechnung aufgeht, trifft die geplante Mehrwertsteuererhöhung und Kindergeldsteuer alle Haushalte und sogar weitgehend unabhängig von ihrer Einkommenslage, aber von den gleichzeitig verfügten Einsparungen bleibt die gesellschaftliche Kerngruppe der in der Privatwirtschaft beschäftigten und gewerkschaftlich organisierten Erwerbstätigen weitgehend verschont. Den Unternehmern machten DP, LSAP und Grüne sogar noch kurz vor der Veröffentlichung ihres Sparpakets Zugeständnisse bei der Mehrwertsteuererhöhung im Wohnungsbau und der staatlichen Bezuschussung der Mutualität. Seither können die Unternehmersprecher ihre Zufriedenheit nur mühsam hinter einigen taktischen Einwänden verbergen.
Bisher scheint die Rechnung tatsächlich aufzugehen: Der OGBL ließ sich fast eine Woche lang Zeit, bevor er am Dienstagnachmittag eine Erklärung seiner Exekutive veröffentlichte. Darin wird mit markigen Worten vorgerechnet, dass neben der für sozial ungerecht gehaltenen Mehrwertsteuererhöhung 61 Prozent der geplanten Einsparungen auf Kosten der Familien-, Beschäftigungspolitik und Sozialversicherung gingen. Das Sparpaket sei absurd, die Finanzsituation werde angsterregend und tendenziös dargestellt.
Der Regierung wirft die Gewerkschaft vor, ihre falsche Austeritätspolitik während der nächsten Jahre fortzusetzen und zu verschärfen. Sie müsse sich fragen lassen, ab wie viel Prozent Wirtschaftswachstum sie überhaupt eine sozial fortschrittliche Politik einzuleiten gedenke, wenn sie nun bei nicht weniger als drei Prozent Wachstum Austerität für nötig halte. Aber was aus der Aufregung des OGBL zu folgern ist, steht schon in der ersten Zeile seiner Erklärung: Er nimmt den Sparhaushalt „zur Kenntnis“. Damit scheint es sich dann zu haben.
Markige Worte verbreitete auch die CGFP nach einer Sitzung ihres Nationalvorstands am Freitag: Es sei ein „Vertrauensbruch“, dass die Regierung ohne Vorwarnung die Regelung abschaffen will, laut der pensionierte Beamte noch drei Monate Anrecht auf ihr Gehalt haben. Denn damit ändere sie einseitig den mühsam ausgehandelten Kompromiss über die Reform des Beamtenstatuts. Aber die CGFP weiß ebenso gut wie die Regierung, dass sie angesichts des seit Jahren gegen die Beamten geschürten Sozialneids auf verlorenem Posten kämpft. Deshalb wagte sie es nicht einmal, die Abschaffung des Trimestre de faveur, die Kürzung von Sonderurlauben oder die kostenfreien Stellplätze der Beamten glattweg abzulehnen, sondern kritisiert bloß lautstark, dass sie nicht zuvor um ihre Meinung gefragt worden sei.
Mit Ausnahme der Steuererhöhungen setzt der LCGB kaum mehr an den seine Mitglieder weitgehend verschonenden Sparmaßnahmen aus als der OGBL. Aber die christliche Gewerkschaft ist sich bewusst, dass die CSV, der viele LCGB-Mitglieder angehören, erstmals seit Jahrzehnten in der Opposition und die LSAP, der viele OGBL-Mitglieder angehören, in der Regierung ist. Diesen Umstand will der LCGB entschieden nutzen, um sich auf Kosten der Escher Konkurrenz zu profilieren.
Kaum hatte der Finanzminister sein USB-Kärtchen mit dem Haushaltsentwurf im Parlament überreicht, legte der LCGB schon eine druckfrische Brandschrift vor unter dem grammatikalisch etwas verunglückten Titel Der LCGB widersetzt sich gegen die antidemokratische und antisoziale Politik der Regierung. Darin heißt es: „Die von der Regierung angekündigten Haushaltsmaßnahmen sind von nie dagewesener Brutalität; sie reichen bis hin zur Zerstörung des Luxemburger Sozialmodells“. Denn „die antisozialen Grausamkeiten der Regierung kennen keine Grenzen“. Nach einem Jahr im Amt „enthüllt die Regierung endlich ihr wahres Gesicht“ und betreibe eine „schändliche Politik“, die nicht vor der „Bestrafung von Alleinerziehenden, Schwangeren und Müttern“ zurückschrecke.
Mit dem unvermeidlichen Tritt gegen den großen Bruder warf LCGB-Präsident Patrick Dury zudem während einer Pressekonferenz am Dienstag LSAP-Arbeitsminister Nicolas Schmit vor, dem OGBL die „bittere Pille“ der Steuererhöhungen und Sparmaßnahmen „mit einem zuckersüßen Geschenk“ schmackhaft zu machen, nämlich mit den LCGB diskriminierenden Änderungsanträgen zum Reformentwurf des Ausschussgesetzes.
Die christliche Gewerkschaft hat beschlossen, sich in nächster Zeit vermehrt der Familienpolitik zu widmen. Denn nicht die Sozialversicherung, sondern die Familienpolitik ist derzeit die große Baustelle, wo die Regierung den Umbau des Sozialstaats versucht. Und es ist auch in der Familienpolitik, wo sich der Widerstand gegen das Sparpaket zu kristallisieren scheint.
Während er sich mit den Sparabsichten der Regierung identifizieren konnte, hatte CSV-Fraktionssprecher Claude Wiseler schon vergangene Woche vor dem Parlament vor allem die Absicht der Regierung kritisiert, einseitig die Berufstätigkeit von Frauen zu fördern. Während einer Fernsehdebatte am Sonntag hatte RTL den eingeladenen Ministern eine lediglich als kinderreiche Mutter vorgestellte CSV-Politikerin untergejubelt, um das Lob der Hausfrauenehe und zu besingen und Berufstätige als Rabeneltern darzustellen.
In den vergangenen zwei Wochen gingen bereits sieben Anträge beim Parlament ein, um Unterschriften auf dessen Internet-Seite zu sammeln: vier gegen die Abschaffung der Erziehungs- und Mutterschaftszulagen, eine gegen Sparmaßnahmen in der Familienpolitik, eine gegen die Haushaltskürzungen für 2015 und eine gegen die 0,5-prozentige Kindergeldsteuer. Petitionen, die mindestens 4 500 Unterschriften tragen, werden Gegenstand einer öffentlichen Anhörung in der Kammer.
Um sich nicht wieder in der konservativen Ecke zu isolieren, verteidigt die CSV wohlweißlich nicht das Ideal des Heimchen am Herd, sondern die Wahlfreiheit von Eltern, sich dem Beruf oder dem Nachwuchs zu widmen. Aber die liberal klingende Losung „fir de Choix“ in der Familienpolitik ist auch eine Einladung, gemeinsam mit den Verteidigern des Religionsunterrichts in den öffentlichen Schulen zu marschieren, die dies ebenfalls „fir de Choix“ tun wollen.
Da gesellschaftliche Gruppen wie Arbeitslose, an deren Entschädigung gespart wird (siehe Seite 6 in dieser Nummer) und Grenzpendler, die vom Übergang zu Sachleistungen in der Familienpolitik benachteiligt werden sollen (Seite 5), nur über wenige politische Ausdrucksmöglichkeiten verfügen, könnte der Widerstand gegen das Sparpaket weniger die klassische Ablehnung durch Gewerkschaften und linke Politiker sein, als eine Fronde gottesfürchtiger Hausfrauen mit Unterstützung rechter Politiker und katholischer Ultras. Was der sich als Modernisierer darstellenden Regierung insofern gelegen käme, als sie lieber Gegner hat, die sie als Ewiggestrige darstellen kann, als Kritiker aus dem eigenen Lager.
Das durch das Euthanasiegesetz, die gleichgeschlechtliche Ehe, die Abtreibungsreform und die Abwahl der CSV politisch geschwächte Erzbistum könnte sich sogar samt seiner einflussreichen Tageszeitung einer solchen Pro-Choice-Bewegung anschließen. Auch wenn es sich erst einmal bis zum Ende der laufenden Verhandlungen über die künftige Finanzierung der Priestergehälter diskret zurückhält.