Eigentlich hatte alles verheißungsvoll geklungen: Nach der Gemeinderatssitzung am Mittwochmorgen vergangener Woche schrieb die Gemeinde Grevenmacher auf Facebook: „Wichtiger Fortschritt für den Osten: Einrichtung eines IRM-Geräts in Grevenmacher/Potaschberg dank des unermüdlichen Einsatzes von Bürgermeister Léon Gloden und Privatinvestoren. Das IRM-Gerät kann voraussichtlich Anfang des Jahres 2022 in Betrieb genommen werden. Des Weiteren ist eine Radiologiestation geplant.“
Nun aber will darüber lieber niemand reden. Weder der Ärzteverband AMMD, noch die Fachgesellschaft der Radiologen, die sich eigentlich seit Jahren wünschen, dass IRM (Magnetresonanztomografen) nicht nur in Krankenhäusern eingesetzt werden dürfen. Oder Ferdinand Steffen, der Gründer der Firma Steffen Holzbau SA in Potaschbierg. Dabei hatte er schon vor drei Jahren, am 10. Oktober 2018, mit dem Grevenmacher CSV-Bürgermeister Léon Gloden eine Pressekonferenz gegeben und dort erklärt, er habe eine „Vision eines Gesundheitszentrums als Komplettprogramm“ (Lëtzebuerger Journal, 11.10.2018). Steffen und Gloden kündigten damals an, im September 2019 öffne in Potaschbierg ein „Fachärztezentrum“. Orthopädie, Kardiologie, Neurologie, Rhumatologie und Sportmedizin würden unter einem Dach angeboten. Sollte das „vom Staat erlaubt werden“, werde auch ein IRM installiert. Baukosten von 14,3 Millionen Euro wurden genannt. 6,2 Millionen für das Ärztezentrum selbst, der Rest unter anderem für 140 Parkplätze in einer Tiefgarage und auf einem offenen Parkdeck. Die Gemeinde Grevenmacher versprach, „sich finanziell zu beteiligen, unter der Bedingung, dass samstags die Ärzte Bereitschaftsdienst leisten“ (Bulletin Municipal, 08/2018).
Doch damals wie vergangene Woche waren die öffentlichen Erklärungen eine Frage des politischen Timings. Die Pressekonferenz fand 2018 vier Tage vor den Kammerwahlen statt. Vielleicht brachte sie dem Grevenmacher député-maire im Osten Extrastimmen. Vergangene Woche war Léon Gloden vorgesprescht: Hätte Tage zuvor im Parlament die Echternacher DP-Abgeordnete Carole Hartmann sich nicht beschwert, wie unterentwickelt die Gesundheitsversorgung im Osten sei, hätte Gloden sich noch zurückgehalten, wird erzählt. Dass ihm gerade jetzt an guter Publicity liegt, ist verständlich: Nach der populistischen Kehrtwende der CSV-Fraktion zum Verfassungsreferendum vor fünf Wochen war keiner so düpiert Gloden, der Vizepräsident des parlamentarischen Institutionenausschusses. Die frohe Kunde vom IRM soll das wettmachen.
Allerdings berührt sie brisante Zusammenhänge. Denn in ihr steckt nicht nur „IRM“, sondern auch „Privatinvestoren“. Dass es in Luxemburg nicht genug Kernspintomografen gebe, wurde vor fünf Jahren immer öfter festgestellt: Die Wartezeit für nicht dringende Analysen betrage drei, in Extremfällen sechs Monate. Radiologen verlangten die Freigabe der Geräte auch für Praxen außerhalb der Spitäler. Regierung und CNS stimmten zu, für die Kliniken vier zusätzliche Tomografen anzuschaffen, was ihre Zahl auf landesweit insgesamt elf hob. Die CNS war davon ausgegangen, dass zunächst auch zwei genügt hätten. Um Streit mit den vier Akutspitalgruppen aus dem Weg zu gehen, genehmigte sie jeder Gruppe einen Apparat mehr.
Inzwischen aber hatte Flavio Beccas Entwicklungsgesellschaft Promobe SA für das neue Hauptstadtviertel Cloche d’Or mit Ärzten (vor allem aus der Zithaklinik) die Idee für ein pluridisziplinäres Centre médical entwickelt. Radiologie sollte dort inklusive sein, mit IRM, CT-Scannern und später vielleicht Mammografen eines state of the art, wie noch kein Spital ihn bieten kann. Der Radiologe Renzo del Fabbro zog stellvertretend für Promobe vors Verwaltungsgericht und gewann den Prozess gegen den Staat und eine großherzogliche Verordnung aus dem Jahr 1993, die Ärzt/innen die Ausübung ihres Beruf mit bestimmten Apparaten und Techniken nur im Spital gestattete.
Im Windschatten von Beccas Projekt reifte in Potaschbierg das zwischen der Gemeinde und Steffen Holzbau heran: Firmengründer Steffen sprach vor drei Jahren von der „Vision eines Komplettprogramms“, weil die von ihm 2014 mitgegründete Aktiengesellschaft Aktiva-Fit quer über die Straße vom Holzbau-Firmensitz in Potaschbierg eine Kombination aus Fitnesszentrum und Kinesitherapie-Praxis betreibt. Zu ihr sollte 2019 das „Fachärztezentrum“ kommen. Zunächst interessierten sich Mediziner/innen aus der Ostregion für eine Tätigkeit dort. Später wollte die Schuman-Krankenhausstiftung in Potaschbierg eine „Antenne“ ihrer Spitäler einrichten. Am Ende gab es keine Einigung über das Profil des Ärztezentrums und über den Preis. Schuman suchte sich eine neue Gemeinde als Partner und fand sie in Junglinster.
So dass es jetzt mindestens drei potenzielle Anbieter von Radiologie außerhalb der Kliniken gibt: in Potaschbierg, Junglinster und Cloche d’or. Aber wer genau investiert dort jeweils? Das ist für den Ärzteverband delikat. Im Wahlkampf 2018 hatte die AMMD aggressiv für eine Gesundheitsreform geworben. Leichtere Klinikaktivitäten sollten in Ärztezentren ausgelagert, die Zentren möglichst von Ärztegesellschaften geführt werden. Auf jeden Fall sollten Finanziers als Investoren in solche Projekten nicht in Frage kommen. Seit die AMMD Anfang des Jahres die Schuman-Stiftung verdähctigte, in Junglinster Finanzier und Betreiber eines Centre médical werden zu wollen, vertritt sie ihre Auslagerungs-Ideen vorsichtiger.
Noch ist weder Radiologie außerhalb der Spitäler möglich, noch sind es Ärztegesellschaften. Das geht nur über Gesetzesänderungen, beziehungsweise über neue Gesetze. Radiologie in Grevenmacher sei ohne Änderung des Spitalgesetzes nicht genehmigungsfähig, erklärte LSAP-Gesundheitsministerin Paulette Lenert am Montag. Ärztegesellschaften will sie ermöglichen. Dazu hat die Ministerin im Oktober einen Gesetzes-Vorentwurf in die informelle Konsultation gegeben. Ginge es nach der AMMD, sollten hierzulande am besten nur Luxemburger Ärztegesellschaften tätig werden.
Vielleicht aber ist Potaschbierg ausgerechnet ein Vorbote für die ausländische Konkurrenz, die die AMMD gern vor der Grenze halten würde. Das 2018 versprochene „Fachärztezentrum“ besteht schon. Ein Internist, ein Orthopäde und ein Kardiologe praktizieren dort. Der Internist und Sportmediziner Dominik Doerr und der Orthopäde Martin Bauer sind die beiden Partner und die bénéficiaires effectifs des Groupement d’intérêt économique (GIE), welches das Zentrum seit 2019 trägt, wie parperjam.lu am Montag schrieb. Das GIE wurde als Übergangsstruktur gegründet, um zu gegebener Zeit in eine Gesellschaft überführt zu werden. Doch w
enn in Luxemburg praktizierende Ärzte ein GIE gründen können, können das Mediziner aus dem Ausland natürlich auch. In Paulette Lenerts Gesetzes-Vorentwurf steht, dass auch ausländische Ärztegesellschaften in Luxemburg aktiv werden könnten; in der EU gilt Niederlassungsfreiheit.
Die Sache mit der Konkurrenz ist obendrein eine besondere in der Radiologie: Streng genommen, ist in einem Ärztezentrum kein Facharzt für Radiologie erforderlich, um IRM-Analysen durchführen und interpretieren zu können. Die Luxemburger Ärzte-Gebührenordnung erlaubt sämtlichen Arztdisziplinen, Kernspintomografie in Rechnung zu stellen. Es gab schon Krach deshalb: Kardiologen und Radiologen stritten darüber, wem es in den Spitälern zukommt, Herz-IRM auszuwerten. Orthopäden wiederum interpretieren an manchen Kliniken IRM vom Bewegungsapparat schon länger selber. Ein Zentrum, das sich in Orthopädie und Sportmedizin spezialisiert und eine Kiné-Praxis und ein Fitnesszentrum zum Nachbarn hat, könnte interessante Synergien bilden. Und von der etablierten Luxemburger Radiologie als Bedrohung empfunden werden.
Das liegt auch daran, dass IRM-Analysen an der Schulter, dem Knie oder dem Fuß sich schnell realisieren lassen. Nicht selten dauerten sie nur zehn Minuten, berichtet ein Radiologie-Insider dem Land. Die IRM von heute seien natürlich nicht mehr mit denen von vor 20 Jahren zu vergleichen. Dank IT gehe alles viel besser und schneller. Und es wirbelt durcheinander, wer in der Radiologie was macht und was abrechnet.
159 Euro dürfen laut Gebührenordnung beim aktuellen Indexstand für ein IRM in Rechnung gestellt werden. Mit dem Argument, wenn Luxemburger nach Trier gingen, bezahlten sie dort als Privatpatienten 500 Euro, wird argumentiert, es müsse neben den 159 Euro für den „intellektuellen Akt“ noch einer für die „location d’appareil“ festgelegt werden. Solche Miet-Tarife gibt es in der Gebührenordnung viele, jeweils für Apparate, die auch im Cabinet eingesetzt werden können, Ultraschallanalysen oder EKGs zum Beispiel. Die Idee dahinter lautet, dass der Patient mit der Apparatemiete anteilig zu den Anschaffungs- und Wartungskosten beiträgt, die der Arzt decken muss. Der Radiologe Renzo del Fabbro vom Projekt Cloche d’Or schätzte 2018 gegenüber dem Land, für IRM rechne er mit „frais connexes“ von 260 Euro pro Analyse (d’Land, 5.1.2018). Zwei Jahre später sagte er, es seien eher 360 Euro.
Um diese Frage abschließend zu klären, hat die AMMD die Nomenklaturkommission mit IRM-Tarifen befasst. Die Kommission liefert dem Sozialminister Gutachten; dieser legt anschließend dem Regierungsrat einen Tarifvorschlag vor, der per großherzogliche Verordnung in Kraft gesetzt wird. Doch bereits 159 Euro sind nicht unbedingt wenig: Wenn einfache IRM-Analysen sich schon in zehn Minuten erledigen lassen, ergibt das bei einem Betrieb des Apparats zwischen 7 Uhr und 19 Uhr pro Arbeitstag 72 Analysen. Bei jährlich 225 Arbeitstagen sind es 16 200 Analysen im Jahr. Mit 159 Euro multipliziert, kommt man auf knapp 2,6 Millionen Euro.
Was davon zu halten ist, muss die Nomenklaturkommission diskutieren. Die Anschaffung eines IRM-Apparats koste neu zwischen 750 000 und 3,5 Millionen Euro, ist dem deutschen Branchen-Informationsportal medizinio.de zu entnehmen. Für gebrauchte IRM lägen die Preise zwischen 160 000 und 1,5 Millionen Euro. Land-Informationen nach ist ein Neupreis von 900 000 Euro typisch. Rund 75 000 Euro kostet nach Ablauf des Garantiejahres ein Rundum-Sorglos-Paket zur Wartung und Instandsetzung. Wenngleich in einer Arztpraxis auch noch weitere Kosten zu decken sind, scheint der aktuelle Einheitstarif von 159 Euro pro IRM dennoch nicht so schlecht. Und vielleicht tut ein gebrauchter Apparat es ja? Wer weiß: Der IRM-Tarif ist – bisher – immer derselbe.
Dass solche Erwägungen sehr politisch sind, liegt auf der Hand. Einerseits erwarten die Radiologen von der AMMD einen Einsatz für die location d’appareil von IRM. Doch der Konkurrenz aus dem Ausland regelrecht den Boden zu bereiten, wäre für den Ärzteverband ein gewerkschaftliches Fiasko. Für die LSAP steht ebenfalls einiges auf dem Spiel: Die Partei der Gesundheitsministerin und des Sozialministers hat politisch nicht nur dafür einzustehen, wie das IRM-Angebot über Land sich entwickeln soll, sondern auch, ob die CNS alle Kosten deckt. Dieselbe CNS, die diese Woche erklärt hat, womöglich in vier Jahren an ihre Reserven gehen und Beiträge erhöhen oder Leistungen kürzen zu müssen – und das liege nicht etwa nur an der Covid-Seuche.
Kein Wunder, dass in der LSAP-Fraktion die Alarmglocken läuteten, als die Ostabgeordnete Tess Burton, die auch im Grevenmacher Gemeinderat sitzt, Léon Glodens Vorfreude teilen wollte und am Donnerstag vergangener Woche dem Radio 100,7 erzählte, womöglich müssten die Patient/innen für IRM in Potaschbierg „in einer ersten Phase aus ihrer eigenen Tasche zuzahlen“. Am Montag dieser Woche ruderte Burton im RTL Radio zurück: „Gerade meine Partei setzt sich seit eh und je gegen eine Zwei-Klassen-Medizin ein“, versicherte sie tapfer. Deshalb müsse für IRM „ein gesetzlicher Rahmen“ her, der „eine Zwei-Klassen-Medizin vermeidet“.
Wie das gehen soll, muss sich zeigen. Paulette Lenert sagte am Montag, demnächst werde sie einen Vorschlag machen, wie der „secteur extrahospitalier“ definiert und reguliert werden soll. Wegen Corona sei das Vorhaben in Verzug geraten. Doch wollen Lenert und die LSAP dafür sorgen, dass für ein ausgeweitetes IRM-Angebot garantiert keine Zuzahlungen der Patienten nötig werden, dürften sie es womöglich am besten gar nicht ausweiten lassen. Vermutlich aber hofft jede LSAP-Hochburg auf Versorgung. Düdelingen ohne IRM? Oder Wiltz? Nicht einfach. Doch die Radiologie ist die Disziplin, in der in Luxemburg traditionell besonders viel verdient wird.