Etwas moralinsauer stellte die grüne Abgeordnete Renée Wagener bei den Parlamentsdebatten um die Regierungserklärung die Frage an den verbliebenen Parlamentarierrest: "Und wenn Politik doch ein Spiel wäre?" Wenn dem so wäre, dann gehörte Eugène Berger wohl zu den Hauptverlierern. Der Primärschullehrer hatte sich im Vorfeld der Parlamentswahlen abgerackert, die leere Formel einer liberalen Bildungsoffensive mit ein paar intelligenten Inhalten zu füllen. Doch letztlich wollte ihn die neue DP-Bildungsministerin nicht mal als Staatssekretär. Nun sitzt er in der neuen Regierung, wenn er denn zu den Kabinettssitzungen eingeladen wird, am Katzentisch. Als Staatssekretär im Umweltministerium verwaltet Berger die Konkursmasse eines Ressorts, das in der neuen Regierung komplett unter die Räder gekommen ist.
Kernbereiche der Umweltpolitik, wie Energie und Verkehr, wurden vollends direkt oder indirekt dem Wirtschaftsminister unterstellt und sind damit umweltpolitisch in puncto BTB und Stromliberalisierung klar einzuordnen; zusätzlich wurde das Umweltressort mit der Übertragung des Wasserwirtschaftsamtes an das Innenministerium und der Förderung der Biodiversität an das Landwirtschaftsministerium, personell und budgetär erheblich beschnitten - die umweltpolitische Akzentsetzung könnte in diesen Bereichen noch stärker als bisher verblassen. Wie auch im Bereich Landesplanung, ein Politikfeld das zwar einem verwandten Ressort zugeordnet wird, doch Gefahr läuft, auf die kommunale Ebene eingeengt zu werden und durch den Verlust eines eigenen, an Umweltbelangen interessierten Ministers bei der Planung von Umgehungsstrassen oder Hochwasserschutzzonen an Profil zu verlieren.
Durch die neue Kompetenzaufteilung werden das Umweltministerium und die angeschlossene Verwaltung auseinandergerissen und verlieren damit politisch an Stärke. Sollte der neue Umweltminister, Charles Goerens, keine visionäre Kraft aufbringen, droht das Ressort, zwischen den aufgeblähten Ministerien für Inneres, Wirtschaft und Landwirtschaft aufgerieben zu werden und zu einer Verwaltung zu verkrüppeln, in der unter den Tempovorgaben des neuen Staatssekretärs Kommododossiers möglichst rasch verabschiedet werden. Denn ob das Ressort seinen starken Stellenwert bei betrieblichen Umweltauflagen behält, ist nach den bisherigen Äußerungen der Liberalen eher ungewiß: Bis zum Ende des Jahres wird das neue Kabinett mit den Ausführungsreglements zur Kommodoreform befasst und entscheiden, wie weit der Spielraum der Umweltverwaltung bei den betrieblichen Umweltauflagen noch reicht.
Nicht immer stehen hinter der Ressortzusammenführung in der neuen Regierung ernsthafte inhaltliche Absichten. Im Umweltbereich deuten die Verschiebungen jedoch deutlich auf ein roll-back hin. Daran läßt sich selbst dann kaum rütteln, wenn Umweltschutz in den Verfassungsrang und Nachhaltigkeit zum Regierungsziel erhoben werden: Der nationale Plan zur nachhaltigen Entwicklung findet im Koalitionsabkommen keine Erwähnung.
In anderen Politikfeldern, vor allem jenen, die bisher von sozialistischen Ministern behütet wurden, läßt die Ressortlogik andere Schlüsse zu: Züge einer konsequenteren Politik gegen verbriefte Monopolstellungen werden erkennbar. So sorgt die neue Kompetenzaufteilung in einigen parastaatlichen Unternehmen für Zukunftsängste, die auch durch das syndikalistisch-korporatistische Gegengewicht in der Regierung nicht recht ausbalanciert werden. Selbst wenn die CGFP künftig direkt mitregieren darf und der LCGB-geprüfte Fränz Biltgen in der neuen Regierung gleichzeitig die Zuständigkeit für das Arbeitsressort und die Regulierungsbehörde ILT, die die Liberalisierung in den Bereichen Post und Energie (und Schienenverkehr) kontrolliert, übernimmt. Die schönen Zeiten der über die OGB-L-Schwester LSAP artikulierten Protektion scheinen ihrem Ende zuzugehen.
Erst einmal sollte sich die Cegedel wohl darauf einstellen, dass der Gesetzentwurf zur Liberalisierung des Strommarktes, der von der DP vor den Wahlen als zu protektionistisch attackiert wurde, abgeändert wird. Ein neuer Entwurf wird im Einklang mit dem Gebot der wettbewerbsfähigen Energiepreise, das in der Regierungserklärung hervorgehoben wird, auch mittleren Stromverbrauchergruppen (darunter die Stadt Luxemburg) das Recht einräumen, ihren Strom europaweit frei einzukaufen. Auch das Post- und Telekommunikationsunternehmen muss sich unter dem neuen Wirtschaftsminister für einen härteren Winter rüsten. Unter der Belegschaft des Dienstleisters ist die Angst vor den Folgen eines Splittings zwischen der Briefpost und dem Telekommunikationsbereich und den Auswirkungen, die mit der Öffnung des Kapitals auf den Stil des Managements einher gehen könnten, wieder geweckt worden. Zudem geht die Sorge um, unter dem neuen Regime könnten die Chancen schwinden, das neue Gesetz über die Postdienste, das aufgrund einer EU-Direktive zur Verabschiedung ansteht, im Sinne des Postunternehmens umzubiegen: Laut dem vorliegenden Gesetzentwurf gehören etwa die Privilegien, die bisher dem Postscheck-dienst, einem wichtigen Zweig des Unternehmens, eingeräumt wurden, abgeschafft. Würden allerdings wie vorgesehen die Staatsbeamten und die Unternehmen, die im Auftrag des Staates arbeiten, von ihrer Verpflichtung befreit, ein Konto bei der Post anzulegen, so könnte dies die Klientel der Postbank arg schrumpfen lassen. Umso mehr, als diese in ihrem Aktionsradius als Finanzinstitut durch das Verbot, Kredite zu vergeben, stark eingeschränkt ist. Die Sorge um die Zukunft dieses Standbeins der Post, treibt um so seltsamere Blüten, als die Staatssparkasse und die Banque Générale immer häufiger als etwaige Erben dieses Geschäftszweiges genannt werden.
Etwas bangen auch die Beschäftigten der Eisenbahn um ihre Zukunft. Selbst wenn das Transportressort organisch nicht mit dem Wirtschaftsressort verschmilzt, so unterstehen beide doch demselben Minister. Die vorige Transportministerin hat ähnlich wie im Bereich der Telekommunikation versucht, eine Liberalisierung der Bahn so weit wie möglich hinauszuzögern. Gemeinsam mit dem belgischen und dem französischen Transportminister bildete Mady Delvaux eine Phalanx gegen die Verabschiedung der Liberalisierungsdirektive, die auch organisch eine Trennung zwischen der Infrastruktur und dem Betrieb des Schienennetzes herbeiführen und das CFL-Netz für andere europäische Teilnehmer öffnen würde. Nun stellt sich die Frage, ob Henri Grethen diese Abschottungspolitik weiterführt. Immerhin könnte die Bahn, die ihre Zukunft auch im Rahmen des versackten BTB geplant hat, durch die Liberalisierung im Güterbereich auf ernsthafte Konkurrenz aus den Nachbarländern stoßen.
Umweltschutz, Post, Energie und Transport: Das Zufalls- oder das Lustprinzip hat kaum darüber entschieden, unter welche Obhut diese Ressorts in der neuen Regierung geraten. Viel eher scheint die Neuaufteilung an den Leitlinien der makroökonomischen Standorttheorie inspiriert zu sein. Durch die Zusammenlegung der einzelnen Ressorts werden nicht nur verwandte Politikfelder vereint, die Verbindung zeigt auch an, dass sich die Regierung im internationalen Wettbewerb der Länder besser positionieren möchte. Sie tut dies in erster Linie, in dem sie ihre Politik nahe an die Forderungen der Wirtschaftsverbände anlegt: In der Umweltpolitik wird auf ein möglichst unternehmerfreundliches Kommodo hingearbeitet, in der Steuerpolitik die Abschaffung der kommunalen Gewerbesteuer beschlossen; bei der Organisation der neuen Regierung besticht die Entscheidung, das störende Umweltministerium mit möglichst wenig Kompetenzen auszustatten und strategische Politikbereiche, in denen über die Kostenstruktur der Unternehmen entschieden wird, einer Partei zu übertragen, die Liberalisierungs- und Privatisierungstendenzen ausgesprochen offen gegenüber steht. Standortgunst, so läßt sich deutlich dem Regierungsabkommen entnehmen, wird nun mal auch durch die Höhe der Energie-, der Telekommunikations- und der Transportpreise bestimmt.
Auch die Beiträge zur Krankenkasse, die angesichts der drohenden Defizite wieder steigen könnten, reihen sich in den Katalog der Kriterien ein, die Investoren gerne kritisch begutachten: daher ist der Entschluss, das Gesundheits- und das Sozialministerium demselben Minister anzuvertrauen, auch aus dieser Sicht zu deuten. Und selbst die Zusammenführung des Hochschul- und des Forschungsressorts in einem Rumpf-
bildungsministerium entspricht dieser Logik des Länder-Benchmarking: Die Fedil hatte zwar in ihrem Forderungskatalog eine direkte Angliederung der Forschungskompetenz an das Wirtschaftsministerium gefordert, wird sich aber auch mit dem nun vollzogenen Wandel zufrieden geben. Hochschulpolitik erscheint nur mehr als Anhängsel einer auf rein nationale (wirtschaftliche) Interessen getrimmten Forschungspolitik.
Die neue Regierung macht durch ihre Organisation und den Inhalt ihrer Politik unmißverständlich Zugeständnisse an den zunehmenden Standortwettbewerb, der nicht nur zwischen Unternehmen, sondern immer mehr auch zwischen Ländern ausgetragen wird. Und wer in den Chefetagen der Unternehmen fit für die Globalisierung erscheinen will, muss eben auch strukturell niedrige Lohnnebenkosten und ein möglichst anschmiegsames Umweltressort garantieren und sich auch nicht scheuen, behäbigen Verwaltungen durch Studien und Audits (zwölf sind geplant) auf die Beine zu helfen. Im internationalen Vergleich, der auch durch verläßliche Statistiken im Erziehungswesen endlich möglich sein soll, schneidet immer noch das Mittelstandsministerium am besten ab, das nach außen mit dem Gütesiegel ISO 9 000 für seine Leistungen werben kann.