Sie ist vielleicht fünfzehn Zentimeter lang, fünf Zentimeter breit und passt unter ein Gaspedal: Die elektronische Platine mit einem Mikrochip in der Mitte. Unter dem Gaspedal eines E-Smart angebracht, übernimmt die Elektronik das Gasgeben in dem Elektro-Kleinwagen. Der E-Smart gehört der Uni Luxemburg. Die Platine sowie noch andere Elektronik und die Idee hinter allem hat ein Team aus dem Automation Lab der Fakultät für Naturwissenschaft und Technik entwickelt. Elektroautos sollen damit sparsamer im Verbrauch werden.
Wer sich für Elektroautos interessiert, weiß: Die Hochleistungsbatterien machen die Fahrzeuge nach wie vor teuer, und mit einer vollgeladenen Batterie fährt man typischerweise 150 bis 180 Kilometer weit, ehe nachgeladen werden muss. Das reicht für Kurzstrecken, etwa von daheim zur Arbeit und wieder zurück, bei längeren Fahrten wird die beschränkte Reichweite der Elektromobile dagegen zum Ärgernis.
Das Wissenschaftlerteam von uni.lu um Professor Holger Voos hat deshalb einen mathematischen Regelalgorithmus entwickelt und in einem digitalen Regler untergebracht, der in einem kleinen Computer an Bord steckt. „Geregelt“ wird damit, weil die Elektronik die Fahrtgeschwindigkeit erfasst, die Kurvenlage auf der Straße und den Abstand zu eventuell vorausfahrenden Fahrzeugen. Daraus ermittelt der Regler das optimale Fahrverhalten: Nicht zu langsam, damit das jeweils geltende Tempolimit ausgeschöpft wird, aber auch nicht zu schnell, damit sich Strom sparen lässt. Vor allen in Kurven, vor Bergabfahrten, aber auch im Kolonnenverkehr. Die Platine unterm Gaspedal ersetzt elektronisch den Druck mit dem Fuß auf dieses. Die Bremse wird bei Bedarf durch einen elektromechanisch betätigten Antrieb aktiviert.
Herzstück der Abordnung ist der mathematische Algorithmus, der in dem Regler steckt. Er optimiert nicht nur die Geschwindigkeit im jeweiligen Augenblick und damit den Stromverbrauch. Er berechnet auch voraus, welches Fahrverhalten demnächst das beste wäre. Dazu erhält der Regler per GPS-Empfänger Auskunft über den Streckenverlauf 400 Meter im Voraus. Außerdem berücksichtigt er, ob ein Abstandssensor vorausfahrende Autos entdeckt. „Unser Regler“, sagt Holger Voos, „verringert zum Beispiel die Geschwindigkeit vor einer Kurve eher als der durchschnittliche Autofahrer das tut. In der Kurve bleibt er aber schneller als dieser und muss nach der Kurve weniger Gas geben.“ Das spart Strom.
Was sich recht einfach anhört, ist mathematisch und informatisch ein ziemlicher Aufwand und elektronisch gar nicht so einfach zu realisieren. „Vorhersage“ und „Optimierung“ sind als mathematische Konzepte in der Regelungstechnik schon seit Jahrzehnten geläufig. Bei Ersterer besteht die Herausforderung darin, den Prozess, den der Regler beeinflussen soll, möglichst genau zu kennen und in einem mathematischen Modell abzubilden. Auf das greift der Regler dann zu und kann, so ähnlich wie der planende Mensch die wahrscheinlichen Folgen seines Handelns im Voraus bedenkt und seine Aktio-nen gegebenenfalls anpasst, seine Aufgabe besonders schnell und zielsicher erfüllen.
Mit „Optimierung“ wiederum ist ein mathematischer Ansatz gemeint, der das beste Ergebnis liefert, das unter verschiedenen Rahmenbedingungen und Zwängen möglich ist. Im Elektro-Versuchsfahrzeug der Uni soll der Verbrauch eben nicht nur minimiert werden – denn das hieße, das Auto nie zu benutzen –, sondern optimiert je nach Fahrsituation.
Dass diese Aufgaben simultan und aufeinander abgestimmt erledigt werden, ist selbst mit schnellen Computerchips keine Kleinigkeit. Algorithmus und Elektronik müssen flink genug sein, damit ein durch sie geregeltes Fahrzeug nicht plötzlich unerwartet reagiert. Voss erklärt stolz, er wüsste nicht, dass anderswo auf der Welt schon eine ähnliche Lösung existiere. Vertreter der Autobranche, denen sein Team die Entwicklung vorgeführt hat, hätten gesagt: „Wow, ihr habt so was implementiert!“ Und Strom spart der Fahrverhaltensregler tatsächlich: Beim aktuellen Stand der Dinge sind es pro Batterieladung fünf bis zwanzig Prozent.
Ist das viel? Wie man’s nimmt. „Bezieht man es auf einen Durchschnitts-Autofahrer, der sich um den Verbrauch nicht ständig sorgt, dann ist das nicht wenig“, sagt Voos. Gegenüber einem vorausschauenden Fahrer spare die Elektronik dagegen entsprechend weniger. In Kurvenfahrten aber werde vermutlich immer Energie gespart – und womöglich werde durch eine solche Lösung das Fahren sogar sicherer.
Voos und sein Team denken schon weiter. Zum einen könne man noch andere Parameter in die Verbrauchsoptimierung einbeziehen. Bekannt ist ja, dass die offiziell für Elektroautos angegebene Batteriereichweite eine ziemlich theoretische ist und wesentlich kleiner werden kann, wenn im Sommer im Auto die Klimaanlage eingeschaltet wird und im Winter die Heizung. Hinzu kommt, dass niedrige Außentemperaturen an der Speicherkapazität der Batterie zehren. „Diese Aspekte beziehen wir derzeit noch nicht ein, das kommt noch“, kündigt der Professor an.
Zum anderen muss der Regelalgorithmus, den die Forschergruppe entwickelt hat, nicht auf rein batteriegetriebene Elektroautos beschränkt sein. „Man könnte damit im Prinzip auch das Fahrverhalten von Hybridfahrzeugen steuern und ebenso das von Benzin- und Dieselautos.“ Denkbar sei ebenfalls, sagt Voos im Hinblick auf die Abgasaffäre bei VW, den Regler zu beauftragen, den Ausstoß von Stickoxiden aus einem Dieselantrieb zu minimieren.
Eine Elektronik, die dem Fahrer die Entscheidung zum Gasgeben und zum Bremsen abnimmt, ist aber auch ein Schritt in Richtung selbstfahrender Autos. Und um das autonomous driving geht es Voos’ Team eigentlich. Als der Professor für Automatisierungstechnik vor fünf Jahren einen Lehrstuhl im Fachbereich Ingenieurwissenschaften der Universität übernahm, setzte er sich als Forschungsaufgabe, Elektromobilität und selbstfahrende Autos miteinander zu verbinden. Der Fahrverhaltensregler zur Verbrauchsoptimierung ist für ihn der erste Schritt innerhalb einer größeren Agenda.
Früher oder später würden selbstfahrende Autos Realität, ist Holger Voos überzeugt. Die Impulse kämen nicht nur von IT-intensiven Firmen wie Google oder Apple, die mit Ideen fürs autonomous driving die etablierten Autohersteller unter Zugzwang setzen. „Haupttreiber sind neue Roboterlösungen.“ Und da bereits heute immer mehr Assistenzsysteme im Auto dem Fahrer wichtige Entscheidungen abnähmen, sei die Technik „gar nicht mehr so weit weg von der Fahrzeug-Autonomie“.
Zahlreiche Hürden seien aber noch zu nehmen, damit die Technik funktions- und ausfallsicher wird, räumt der Professor ein. „Zum Beispiel kann ein selbstfahrendes Auto, wie es derzeit in Prototypen getestet wird, noch nicht zwischen dem farbigen Licht einer Verkehrsampel und dem Anblick eines bunten Plakats am Straßenrand unterscheiden.“ Und wer Vorfahrt erhalten soll, wenn vier selbstfahrende Autos einander an einer Kreuzung aus vier gleichrangigen Straßen begegnen, sei vielleicht eine Herausforderung für Künstliche Intelligenz, oder aber eine für den Gesetzgeber. An diesem werde es auf jeden Fall sein festzulegen, wer haftpflichtig würde, falls ein autonomes Fahrzeug in einen Unfall verwickelt wird.
Für Unfallsicherheit sorgen zu wollen, werde darüber hinaus „regelrecht ethische Fragen“ aufwerfen, meint Voos. „Man stelle sich eine Extremsituation vor, in der die Maschinenintelligenz an Bord entscheiden müsste, ob sie das Auto in eine Menschenmenge rasen lässt, damit die Insassen im Fahrerraum vergleichsweise wenig zu Schaden kommen, oder ob sie das Fahrzeug in eine Mauer steuert, um die Menschenmenge zu schützen, dabei aber die Mitfahrer verletzt oder gar getötet werden.“
Eine große Herausforderung stelle auch die informatische Integrität eines solchen Fahrzeugs dar, spinnt Voos seine Zukunftsüberlegungen weiter. Die gegenwärtigen Entwicklungen autonomer Autos folgten zwei Trends: Der eine bestehe in über Computernetzwerke verbundenen Fahrzeugen, der andere in der Entwicklung völlig autonomer Autos. Voos glaubt, dass voll autonome technisch machbar wären; ob dieser Trend sich durchsetzen wird, sei aber schwer abzusehen. Ein Netzwerk aus Fahrzeugen bilde jedoch auf jeden Fall ein potenzielles Ziel für Cyberattacken. „Dass so ein System sich hacken lässt, wurde schon demonstriert.“ Es abzusichern, sei keineswegs einfach.
An der Universität Luxemburg wollen Forscher bei diesen Entwicklungen jedenfalls eine Rolle spielen, sowohl am Fachbereich Ingenieurwesen wie auch am interdisziplinären Zentrum für IT-Sicherheit (SnT). Und wie die Dinge liegen, wird autonomous driving auf sehr lange Sicht Forschungsstoff hergeben: In der Autoindustrie zählt die Selbstfahrerei zu den zehn Top-Themen für die nächsten fünfzig Jahre.