„Krisensicher“ sei das Geschäft, freute sich vergangenen Freitag SES-CEO Romain Bausch, als die Satellitengesellschaft mit Sitz am Betzdorfer Waldrand ihre Halbjahreszahlen vorstellte. Die lagen ein ganz klein wenig über den Erwartungen der Analysten. Der Umsatz im ersten Semester stieg um 4,8 Prozent auf 891,9 Millionen Euro, der Betriebsgewinn um 2,4 Prozent auf 411,5 Millionen Euro und der Konzerngewinn auf 298,7 Millionen Euro. In Krisenzeiten, erklärte Bausch, schraubten die Verbraucher eher ihre Ausgaben für Ferien, Restaurant- und Kinobesuche zurück, nicht aber die fürs Fernsehen. Denn Nordamerikaner und Europäer verbringen trotz immer vielfältigerer Unterhaltungstechnik immer mehr Zeit vor dem Bildschirm. In den USA sind es 287 Minuten täglich, in Europa 228 Minuten, wie SES seinen Investoren im Mai mitteilte. Weil die Verträge über die Nutzung der Transponder-Kapazitäten sehr langfristig ausgelegt sind, erleben Satellitenbetreiber anders als andere Branchen kaum konjunkturbedingte Einbrüche. Und: Als Vorzeigeunternehmen in einer krisenfesten Branche hat SES durch die Schuldenkrise in Europa sogar manche Vorteile. Auf der Suche nach sicheren Geldanlagen, würden die Anleger lieber einer SES Kredit geben als Staatsanleihen kaufen, ließ Bausch durchblicken. SES habe jedenfalls keine Probleme, Finanzierungen zu finden.
Alles rosig ist dennoch auch bei der SES nicht. Der Umsatz in Nordamerika war im ersten Semester rückläufig, die Entwicklung in Europa flach. Weil Ende April in Deutschland das analoge Fernsehsignal abgeschaltet wurde, werden dieses Jahr 107 Millionen Umsatz fehlen, auf zwölf Monate gerechnet, sind es 150 Millionen Euro. Zwar hat die SES bereits 13 der dadurch frei gewordenen Transponder neu vermietet. Doch der europäische Markt ist wegen der hohen Preise, die für die Transponderkapazitäten bezahlt werden, trotz aller Bemühungen, die Geschäfte in den Schwellenländern zu entwickeln, besonders wichtig: 54 Prozent der SES-Transponderkapazität war 2011 auf die Industrieländer ausgerichtet, 45 Prozent auf die Schwellenländer. Dafür stammten 78 Prozent der Einnahmen aus den Industrieländern, davon allein 54 Prozent aus Europa, während nur 22 Prozent der Einnahmen auf die Schwellenländer entfielen.
Es geht es in den kommenden Monaten und Jahren für SES also darum, die Kundschaft in Europa bei der Stange und die Preise hochzuhalten, während es außerhalb Europas gilt, sicherzustellen, dass der Inhalt auf den Fernsehgeräten in den aufsteigenden Wirtschaften möglichst über SES-Satelliten gesendet wird.
In Europa soll das Wachstum durch HD-Fernsehen entstehen. Eine Entwicklung, die in Großbritannien oder Frankreich beispielsweise durch die Anbieter von Bezahlfernsehen vorangetrieben wird. Auf dem wichtigen deutschen Markt hatte die SES Plattform HD+ Ende Juni 2,6 Millionen Haushalte in der Kundenliste registriert. Allerdings bezahlten davon nur 634 000 ein Abonnement. Die anderen nutzen das Angebot für zwölf Monate Gratis-Fernsehen. Bis Ende dieses Jahres sollen es aber über eine Million Kunden sein, die 50 Euro jährlich zahlen. Insgesamt bedient SES in Europa 57 Prozent der TV-Kunden: 142 Millionen Haushalte, 83,6 Millionen empfangen ihr Signal direkt mit einer Schüssel. Anders als in Luxemburg, wo die Post mit ihrem Internet-Fernsehangebot Furore macht, ist laut SES der Anteil der Haushalte in Europa, die Satellitenfernsehen schauen, in den vergangenen vier Jahren gestiegen.
Den Analysten erklärte Bausch vergangenen Freitag seine Vision vom Fernsehmarkt in den Industriestaaten. Binnen zwölf Monaten sei die Zahl der HD-Kanäle in Europa von 220 auf 300 angestiegen und auch in den kommenden Jahren werde das HD-Angebot substanziell wachsen. Das werde dazu führen, dass in drei bis vier Jahren Ultra-HD als neuer Standard eingeführt werde, während das Standard-Digital-Signal verschwinden werde. Was das SES-Management so optimistisch macht? Bis Ende 2011 wurden allein in Europa 245 Millionen HD-TV-Geräte verkauft, und digitale Kanäle würden darauf nicht besonders gut aussehen. Hinzu kommt: HD- und später Ultra-HD-Fernsehen setzt den Transfer von größeren Datenmengen voraus. Die ließen sich auch mit der neuesten Komprimierungstechnik nicht eng genug zusammenfassen, so dass die Anbieter auf jeden Fall mehr Kapazität bräuchten, erklärte Bausch den Finanzanalysten vergangenen Freitag. So könnte Ultra-HD in einigen Jahren sogar wieder Wachstum in den USA bescheren.
In der Zwischenzeit verlagert SES Satelliten-Kapazitäten von Nord- nach Mittel- und Südamerika, wo sich das Angebot an Direct-to-Home-Plattformen sehr dynamisch entwickelt. Gleiches gilt beispielsweise auch für Indien, wo derzeit 45 Millionen Haushalte via Satellit fernschauen, eine Zahl, die sich binnen drei Jahren nahezu verdoppeln soll. Zwei von sechs Pay-TV-Anbietern senden via SES. Neu Kapazität wird SES deswegen in den kommenden Jahren vor allem über den Schwellenländern aufbauen. Von dem geplanten Transponderkapazitätszuwachs von rund 20 Prozent bis Ende 2014 werden 90 Prozent diese Märkte bedienen.
Dass die Musik künftig außerhalb von Nordamerika und den USA spielt, daran glauben natürlich auch die Konkurrenten der SES, die nach Umsatz der zweitgrößte Anbieter nach Intelsat ist. SES konnte vom Industrieumsatz von 11,1 Milliarden Dollar 2011 21,8 Prozent für sich verbuchen, Intelsat 23,2 Prozent und Eutelsat fünfzehn Prozent. Dass sich der Markt verändert, zeigt sich aber vor allem an der bis 2015 vorhersehbaren Verschiebung in der bereitgestellten Transponderkapazität. Von im Jahr 2011 insgesamt 7 399 Transpondern auf geostationären Satelliten wurden 28 Prozent von Intelsat betrieben, 18 Prozent von SES, elf Prozent von Eutelsat, vier Prozent von Telesat und die restlichen 39 Prozent von vielen kleinen Anbietern. Bis 2015, wenn die Kapazität durch die bereits geplanten Starts auf voraussichtlich 9 718 Transponder ansteigen soll, wird der Anteil vom Branchenprimus Intelsat auf 22 Prozent fallen, der von SES auf 16 Prozent. Der Anteil von Eutelsat wird mit elf Prozent stabil bleiben, der Anteil von Telesat auf drei Prozent fallen, erklärte Romain Bausch auf der Investorenkonferenz in London vergangenen Mai. Die „kleinen“ Anbieter werden ihren Anteil bis dahin auf 48 Prozent steigern, SES an Bedeutung verlieren.
Die Ursachen dafür sind auch in der großzügigen Exportfinanzierung der Satellitenherstellerländer Frankreich, USA und vor allem China zu finden, was zum Start von 24 nationalen Satellitenprogrammen geführt hat, von denen 13 in der Ausführungsphase sind. So werden nicht nur Bolivien, Brasilien, Mexiko und Argentinien eigene Satelliten betreiben, sondern beispielsweise auch Bangladesh und Laos. Eine Entwicklung, durch die sich auch der Wettbewerb um die Orbitalpositionen verschärft. Um mehr Durchschlagskraft auf dem internationalen Markt zu haben und auch die Synergien zwischen den durch die Zukäufe von Americom und New Skies entstandenen Unternehmensfilialen zu verbessern, hat der Konzern vergangenes Jahr einerseits alle Unternehmen unter der Marke SES zusammengefasst – Astra war gestern – und vor allem das Netz an Außenstellen auf- und ausgebaut. Die Präsenzen in Singapur und Johnnesburg sind stark besetzt, zudem gibt es Büro in Mexiko, Argentinien, Brasilien; ein weiteres ist in Ghana geplant. Denn SES bietet nicht nur Transponderkapazität auf den eigenen Satelliten, sondern verkauft auch andere Dienstleistungen um den Satellitenbetrieb. Vergangenes Jahr gingen 20 Prozent des Firmenumsatzes auf die „Service-Sparte“ zurück.
Weil in den Schwellenländern aber nicht nur mehr ferngesehen wird, sondern vor allem der Bedarf an Bandbreite für die Telekommunikation steigt – ein Geschäftsfeld, auf dem SES weniger aktiv ist –, ist der Konzern aus Betzdorf bereits 2009 in ein ambitiöses Investitionsprojekt eingestiegen. O3B steht für other three billion, die drei Milliarden Menschen ohne Zugang zum Kabel. Die Firma, zu deren Investoren neben SES auch Google und HSBC zählen, hat eine neue Art Satellitensystem geplant. Die Trabanten sind kleiner und werden auf 8 000 Kilometer in Position gehen. Weil sie näher an der Erde sind, verkürzt sich die Übertragungszeit, so dass das Angebot mit Glasfaser vergleichbar ist. „Zielmärkte sind die Telekommunikationsgesellschaften der Schwellenländer“, sagt SES-Sprecher Yves Feltes. „Es ist ein reines B-2-B-Geschäft“. Laut O3B soll das eigene Angebot deutlich günstiger sein als das anderer Anbieter. SES gehören mittlerweile 46 Prozent der Firma, die 2013 acht Satelliten starten wird und 2014 noch einmal vier. Bis auf 120 Trabanten kann das System ausgebaut weden. Konkurrenten, die Vergleichbares anbieten würden, gibt es keine, sagt Feltes. Das Kontrollzentrum für O3B wird gerade in Betzdorf gebaut. Denn SES beteiligt sich an O3B vor allem durch Sacheinlagen. Insgesamt 190 Millionen Euro hat SES bisher in das Projekt investiert, dessen Wert Romain Bausch gegenüber den Analysten abzüglich der Firmenschulden auf zwischen 700 Millionen und 2,2 Milliarden Dollar schätzte. SES kann auf Abruf die Mehrheit an der Firma übernehmen, wird das laut Bausch aber nicht vor 2014 machen. Erst soll sich das Modell technisch und geschäftlich bewähren. Einen prominenten Kunden konnte O3B schon gewinnen. Davon Unterprivilegierten Zugang zu modernen Kommunikationsmitteln zu verschaffen, kann aber keine Rede sein. Erster Vorzeigekunde ist Harris Cap Rock Communications, der das größte Kreuzfahrtschiff der Welt, die Oasis of the Seas, mit schnellem Internet versorgt. Dem Schiff wird, wo es auch hinfährt, das Satellitensignal folgen.
Olivier Lemaire
Kategorien: Telekommunikation
Ausgabe: 20.04.2012