Zufallsgespräch mit dem Mann in der Eisenbahn

Eins-a Reform

d'Lëtzebuerger Land du 04.04.2025

Gesetze, Vorschriften, Einrichtungen müssen ab und zu an veränderte Verhältnisse angepasst werden. Vorsichtig verlangen Liberale, Linke dann eine Reform. Die Konservativen wehren sich empört. Um die Reform am Ende selbst vorzunehmen. Liberale, Linke fühlen sich wieder verschaukelt.

Ausgerechnet die Klerikalen ernannten vor 30 Jahren die erste Frauenministerin. Gerade machten sie den Mindestlohn steuerfrei. Ein alter Schlager linker Wahlprogramme. Zwei Legislaturperioden lang versprachen DP, LSAP, Grüne die Individualbesteuerung. Einen ersten Versuch machten sie 2017 auf Kosten von Grenzpendlern. Nun will die CSV ganze Arbeit leisten.

Die Nazis versprachen, die Arbeitslosigkeit zu senken. Sie führten 1934 die Einkommensteuerklassen ein. Um Frauen und Juden aus dem Arbeitsmarkt zu drängen. Später auch im besetzten Luxemburg. Nach der Befreiung wurden die Juden aus dem Gesetz gestrichen. Die Steuerklassen blieben.

Die katholische Hausfrauenehe breitete sich im 20. Jahrhundert aus. Die CSV bezuschusste sie mit Zusammenveranlagung und Ehegattensplitting. Damit die Steuerersparnis am größten ist, wenn es nur einen Brotverdiener im Haushalt gibt.

Heute sind die meisten Frauen wieder erwerbstätig. Wollen nicht mehr als Hinzuverdienerinnen besteuert werden. Die liberale Leistungsgesellschaft verbucht Erwerbstätige als abstrakte Arbeitskräfte. Als alleinstehende Individuen mit gleicher Steuerkraft: Dazu braucht es nur noch eine einzige Einkommensteuerklasse.

Finanzminister Gilles Roth will im Juli die Details liefern: „Eng Méiglechkeet kënnt jo dran bestoen, dass deen neie Steiertarif, dass dat dee wier, dee relativ no un där aktueller Steierklass 1a ugesidelt wier“ (RTL, 29.3.25).

Alle sollen in die Steuerklasse 1a. CSV, LSAP erfanden sie 1990. Um mit Klasse 2 die Ehe aufzuwerten. Die Steuerklasse 1a ist die Steuerklasse 1 mit einem Rabatt von 193 Euro für Alleinerziehende, Verwitwete, Geschiedene. Für die soll sich nichts ändern. Alleinstehende sollen dagegen 193 Euro im Monat sparen. Wenn Klasse 1 abgeschafft wird.

Auch Verheiratete, „Gepacste“ sollen in der Klasse 1a als Alleinstehende besteuert werden. Dann steigt ihre Steuerschuld empfindlich: Wenn der Ehemann ein Drittel mehr verdient als die Ehefrau, sollen sie auf einem Lohn von 4 167 Euro 157 Euro mehr zahlen. Beim Durchschnittslohn von 6 327 Euro macht die Steuererhöhung 601 Euro im Monat aus. Beim vierfachen Mindestlohn von 10 500 Euro werden 1 000 Euro mehr fällig (Finanzministerium, Entlaaschtungs-Pak, 2025, S. 4). Verdient ein Partner gar nichts, soll die Steuererhöhung am größten werden.

Die CSV weiß: So verlöre sie die Wahlen. Sie bräuchte gar nicht zu kandidieren. Hierzulande wohnen rund 130 000 Haushalte, die nach Klasse 2 besteuert werden (CES, Analyse des données fiscales au Luxembourg 2021, S. 110). Gut die Hälfte ist wahlberechtigt. Schon bei der Einführung der Steuerklasse 1a erhielt Finanzminister Juncker Morddrohungen.

Gilles Roth ist vorsichtig: „Da muss een also kucken, dass déi Leit, déi de Moment an der Steierklass 2 sinn, déi en Avantage hunn par rapport zu deenen, déi och nach an der 1a sinn, dass een déi iwwer eng Iwwergangsphas behält, dassen se net méi Steiere musse bezuelen.“ Die Steuerklasse 2 soll schrittweise abgeschafft werden wie die 5/6-Pension im öffentlichen Dienst: Die Alten sollen mehr Netto vom Brutto erhalten als die Jungen.

Gutgläubige Zeitgenossen sorgen sich: Die versprochene Steuerreform koste Geld. Sie könnte der Hochrüstung zum Opfer fallen. Das Gegenteil ist der Fall. Sie soll Geld eintreiben. Die Abschaffung der Steuerklasse 2 bringt dem Staat mittelfristig mehr ein, als die Abschaffung der Klasse 1 kostet.

Romain Hilgert
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